Marionette des Teufels. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737561884
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was das heißt, wissen Sie so gut wie ich.“

      Schwertfeger nickte Brauser aufmunternd zu und ging nach einem kurzen Gruß Richtung Tür, dort drehte er sich noch einmal um. „Was ist eigentlich mit den Eltern?“

      Alle Augen richteten sich auf Brauser, während es im Raum ganz still wurde. Und tatsächlich bot er sich an, nach Regensburg zu fahren, um mit den Eltern über den Tod ihres einzigen Kindes zu sprechen. Keine begehrte Aufgabe, aber vielleicht wollte er seinem Mädchen wenigstens die unangenehmen Dinge abnehmen, bevor sie lernen musste, ohne ihn zurechtzukommen. Als er gemeinsam mit Schwertfeger zu seinem Wagen ging, spielte ein kleines Lächeln um seinen Mund.

      ***

      Der Mann, der an diesem Morgen allein an dem schmuddeligen Tisch saß und seinen Blick nicht von der Zeitung wenden konnte, mochte Mitte vierzig sein. So genau ließ sich das bei ihm nicht sagen, denn sein Gesicht war gezeichnet von den Spuren eines unsteten Lebens, das von einem üblen Charakter getrieben worden war.

      Im Laufe der letzten Jahre hatte er viele Namen getragen, einige länger, manche auch nur für wenige Stunden. Er war ein Meister im Tarnen und Täuschen und am Ende hatte stets er den anderen die Maske vom Gesicht gerissen. Inzwischen trug er teure Jeans und ein Hemd von Armani. Früher war das anders gewesen, aber diese Zeiten lagen lange hinter ihm. Seine Schuhe waren Maßarbeit aus feinstem Leder und noch kaum getragen. Dass er sich das alles leisten konnte, hatte nicht unbedingt mit seinem Arbeitseifer zu tun. Im Grunde war er nur skrupelloser als andere und das schlug sich eben auf seiner Habenseite nieder.

      Der Bericht über die tote Sopranistin war das erste, was ihm seit langer Zeit wirklich nahe gegangen war und das machte ihn vielleicht noch wütender als ihr Tod. Seit drei Jahren hatte sie für ihn in den himmlischsten Tönen jubiliert, egal, was alle anderen behaupteten, egal, was die Zeitungen berichteten, sie war sein Engel gewesen. Langsam ließ er seinen Kopf auf das Schwarz-Weiß-Foto sinken und versuchte sich an ihren erregenden Duft zu erinnern. Vor zwei Tagen noch hatte er sie gesehen, hatte sie umfangen, ihre zarte Taille unter dem Stoff ihres Kleides gespürt und voller Genugtuung erlebt, wie sie immer nachgiebiger wurde, immer gieriger, wie sie zu allem bereit war. Wie konnte sie jetzt tot sein? Sie, die immer so voller Leben war! Auf dem Foto lag sie friedlich auf ihrem Bett, es sah alles so unschuldig aus. Wenn nicht all diese Strahler sie beleuchten würden und die vielen geschäftigen Menschen um sie herum so unpersönlich wirkten.

      „Am späten Vormittag des gestrigen Tages wurde die beliebte Sopranistin Sophia W. tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Die Polizei geht von Mord aus, konnte bis jetzt aber noch keinen Hinweis auf einen möglichen Täter ermitteln.“ Seine Stimme war voller Sarkasmus, als er die Sätze geradezu aus sich heraus spie. Immer wieder, immer lauter, bis er sie schrie.

      Voller Wut fegte er die Zeitung vom Tisch. Wer immer das geschrieben hatte, hatte sie nicht gekannt, nichts von ihrem wirklichen Leben gewusst. Der Mann schlug mit der Faust auf den Tisch. Es war ein kräftiger Schlag, denn seine Faust schien aus Stahl zu sein. Wehe dem, der sie zu spüren bekam. Nur langsam beruhigte er sich wieder. Er und Sophia waren ein ausgesprochen erfolgreiches Team gewesen. Gemeinsam hatten sie jede Inszenierung mit Erfolg gekrönt. Sie hätten alles erreichen können! Er lachte laut bei dem Gedanken an ihre gemeinsamen Spielchen. Doch jetzt sollte das alles wirklich vorbei sein?

      Aber höchstens für sie!

      Er dagegen musste weitermachen, so als wäre nichts geschehen. Und er musste wissen, wem er die Schuld zuschieben konnte und wem seine Rache gelten würde. Aber zunächst musste er mehr erfahren, mehr, als die Zeitungen schrieben. Die Devise seines Erfolges war: Wissen ist Macht, das durfte man nie außer Acht lassen!

      Auf dem Boden neben dem alten Tisch standen zwei Flaschen Bier, die irgendjemand dort hingestellt und vergessen hatte. Aber Bier mochte er seit damals nicht mehr, davon hatte er in seinem Leben schon zu viel getrunken. Wenn, dann half ihm nur etwas Härteres, ein Schnaps vielleicht. Als er aufstand, fiel sein Blick auf den blauen Arbeitskittel und eine Schiebermütze in der Ecke. Dinge, die er im Gefängnis getragen hatte, damals, bevor er sich schwor, dieses armselige Leben für immer hinter sich zu lassen. Er hatte sie zur Erinnerung mitgehen lassen. Als Mahnung, sagte er sich, während er zum Schrank ging und sich einen doppelten Schnaps einschenkte. Doch bevor er das Glas ansetzen konnte, überkam ihn ein Gedanke, der sehr schnell eine sehr konkrete Form annahm. Er stellte das Glas zur Seite, nahm den Kittel und probierte ihn an. Ein Knopf hing lose an einigen Fäden. Knöpfe annähen war nicht sein Ding, aber vielleicht würde seine Verkleidung dadurch ja nur noch glaubhafter sein? Und dann hob er doch das Glas und trank es in einem Zug aus. „Für Sophia! Meinen Engel!“, rief er. Als er ausgetrunken hatte, warf er das Glas gegen die Wand. Es war ein Ausdruck seines Zornes, es war ein Vorgeschmack seiner fürchterlichen Rache, die keine Gnade kennen würde. Denn wer sich ihm in den Weg stellte, der musste auf alles gefasst sein!

      ***

      Noch in der Nacht hatte das Team um den Rechtsmediziner Professor Anton Wassly Sophia Weberknecht auf den Seziertisch gelegt und sich angesehen, was kein Mensch im Vorbeigehen je geahnt hätte: Ihr Blinddarm war latent entzündet, sie hatte eine Zyste an der linken Niere, vielleicht ihr nie geborener Zwilling, was gar nicht so selten vorkam. Gestorben war sie jedoch – und das relativ zügig – an der bekannten Kopfverletzung.

      „Es liegt eine klare Impressionsfraktur vor, wobei die Tabula interna stärker gesplittert ist. Außerdem konnte ich mehrere konzentrische äquatoriale Bruchlinien finden.“

      Hannes, der Franziska nach München in die Frauenlobstraße begleitet hatte, versuchte sich ganz stark auf die Worte des Professors zu konzentrieren. Trotzdem verstand er nicht, was dieser ihnen sagen wollte, bis seine Kollegin nachfragte. „Das heißt in einfachen Worten?“

      „Das Schädeldach ist eingebrochen.“ Professor Wassly ergriff das weiße Tuch und enthüllte die obere Körperhälfte der toten Sängerin, sodass nicht nur das Gesicht und der zum Teil rasierte Kopf, sondern auch die Brust mit dem grob zusammengenähten Y-Schnitt zu sehen waren.

      „Und mit was?“, Franziska räusperte sich ein wenig verlegen, während sie zusah, wie der Professor der Toten fast liebevoll die verbliebenen Haare aus dem Gesicht strich.

      „Mit einem breitflächigen Gegenstand, der gut in der Hand lag. Es war keine glatte Oberfläche, aber da die Vertrocknungsspuren in den Haaren liegen, konnten wir die Zeichen nicht genau erkennen. Ein Kollege hat Fotos gemacht.“

      „Kann es sein, dass sie nach dieser Verletzung noch handlungsfähig war?“

      „Wohl kaum.“

      „Gab es irgendwelche Abwehrspuren?“ Franziska warf dem Professor einen abschätzenden Blick zu. Er trug die dunklen Haare brav gescheitelt, seine Brille war randlos, das Gesicht frisch rasiert. Die Fünfziger lagen hinter ihm.

      „Nein, entweder war sie arglos oder sie wurde überrascht, was kein Wunder wäre, denn der Schlag wurde von links hinten oben ausgeführt. Ich denke, sie stand dem Täter gegenüber, der holte mit der rechten Hand aus und schlug einmal zu. Er muss größer als sie gewesen sein.“ Der Pathologe hatte sich vor sie hingestellt und Franziska recht anschaulich seine Theorie vorgeführt. Dabei hatte sie sein dezentes Parfüm gerochen: sportlich fruchtig.

      „Hatte sie Geschlechtsverkehr vor ihrem Tod?“ Franziska warf Hannes einen kurzen Blick zu, aber dieser schien keine Fragen zu haben. In Gedanken versunken starrte er auf das Gesicht der Toten.

      „Nein, und auch nicht danach. Dem Täter ging es nicht um die Befriedigung des Geschlechtstriebs. Er war nicht besonders grausam zu ihr. Er hat sie mit einem Schlag getötet. Ich würde sagen, es war ein Totschlag im Affekt.“ Franziska nickte, das hatte sie auch gedacht, als sie die Sängerin zum ersten Mal in ihrem Bett gesehen hatte, dass sie friedlich gestorben war.

      „Sie hat sich nicht gewehrt, weil sie gar keine Zeit dazu hatte. Vor ein paar Jahren lag eine Studentin aus Passau auf diesem Tisch. Die junge Frau war mit 27Messerstichen grausam getötet worden. Der Täter muss vor Wut wie von Sinnen gewesen sein. Dieses Mädchen“, nun sah auch er Sophia an, „hat zumindest nicht gelitten.“

      „Und ist das alles?“ Eigentlich reichte es Franziska