Marionette des Teufels. Dagmar Isabell Schmidbauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Isabell Schmidbauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737561884
Скачать книгу
mit der toten Sopranistin zusammenzubringen, als die Mutter von einem weiteren Detail erzählte. „Dabei war Sophia sehr konservativ. Sie wünschte sich nichts sehnlicher als eine große Hochzeit, ganz in weiß, mit vielen Gästen und einem wunderbaren Ehemann. Für ihn wollte sie sich aufheben. Das war ihr großer Traum“, schniefte sie und der Kommissar sah verlegen weg.

      Brauser fragte sich, ob diese Vorstellung, die in der heutigen Zeit nicht gerade üblich war, vielleicht eher den Wünschen der Eltern entsprach.

      „Kam Ihre Tochter denn oft nach Hause?“

      „Leider nicht. Sie war sehr beschäftigt. Das Leben einer Sängerin ist ja nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellt. Und sie hatte ja auch ihre eigene Wohnung, die ihr sehr viel bedeutete.“

      „Warum hat sie sich eigentlich keine Wohnung gesucht, die näher beim Theater lag?“, fragte Brauser.

      „Sophia legte viel Wert auf ihre Privatsphäre und sie meinte, wenn sie so dicht beim Theater wohnen würde, dann käme nur ständig einer der Kollegen vorbei.“ Reinhilde warf einen Blick zu ihrem Mann hinüber und fügte dann hinzu: „Seit mein Mann so schlimm Asthma hat, bleibt er lieber zu Hause. Aber ich habe sie schon hin und wieder in Passau besucht.“

      Auf einmal schien sie eine Idee zu haben. „Möchten Sie vielleicht ihr Zimmer sehen?“

      Der Kommissar nickte. Vor allem wollte er raus aus diesem Wohnzimmer, in dem es fast noch mehr nach Tod roch, als in der Wohnung der Tochter, nachdem man sie gefunden hatte.

      Gemeinsam stiegen sie eine massive Eichenholztreppe in den ersten Stock empor. Die Stufen waren mit weinroten Teppichhalbrunden belegt. An den weißen, rau verputzten Wänden hingen große goldgerahmte Landschaftsbilder aus der Umgebung und auf dem Absatz eine geheimnisvoll lächelnde Mona Lisa von Leonardo da Vinci. Zu Sophias Zimmer am Ende des Flures gehörte ein hell gekacheltes Bad mit Dusche und Bidet. Der Raum war, genau wie in ihrer Wohnung in Passau, mit hellen Möbeln eingerichtet, hatte rosageblümte Vorhänge und in der Mitte des Zimmers lag ein Flokati. Über dem Bett hing ein Einhornposter, Stofftiere und Puppen mit ordentlich gekämmten Zöpfen auf dem weißen Bettüberwurf schienen die ehemalige Besitzerin nicht zu vermissen. Vor dem Kleiderschrank hing ein Tutu auf einem umhäkelten Holzbügel, an der Wand daneben die dazugehörenden Ballettschuhe – bestimmt die ersten in Sophias Leben. Auf den Brettern des Regals lag kein Krümelchen Staub. Es war das Zimmer eines Kindes, eines kleinen Mädchens, das von einem Prinzen träumte, aber nicht das einer lebenslustigen jungen Frau, die auf der Bühne Karriere machte.

      Während Brauser sich umsah, ließ sich Reinhilde Weberknecht schwer aufs Bett sinken und nahm eine der Puppen in den Arm. „Wir hätten sie nicht gehen lassen sollen“, sagte sie mehr zu der Puppe, als zu ihrem Begleiter. „Sie war für so ein Leben nicht geschaffen“, dabei blickte sie gedankenverloren aus dem Fenster in Richtung Fabrikgebäude.

      „Natürlich, deshalb wurde sie ja auch Sängerin.“ Mit pfeifenden Lungen stand Karl Weberknecht im Türrahmen und sah den Kommissar aufmerksam an, bevor er ihm erklärte. „Als einziges Kind hätte sie auch das Geschäft übernehmen können. Hinbekommen hätte sie es bestimmt. Sie hat ein glänzendes Abi in Mathe hingelegt, aber wir wollten beide nicht, dass sie in die Firma einsteigt.“

      Brauser nickte, wobei ihm nicht klar war, ob das wir beide auch Sophia einschloss. „Und Ihre Tochter hatte das auch nie in Erwägung gezogen?“

      „Nein. Ein Neffe von mir hat das Geschäft bereits übernommen.“

      Der Alte setzte das Spray an den Mund und nahm einen kräftigen Zug, dann erst fuhr er fort. „Wissen Sie, unsere Senfproduktion ist seit neunzehnhundertvierzehn fest in Familienhand. Anfangs gehörten mehrere Metzgereien dazu und der Senf war eigentlich nur ein Nebenprodukt. Der wurde damals nämlich noch in den Haushalten selbst gemacht, was aber sehr mühsam war. Senfkörner und Blütensaat müssen gemahlen und teilweise entölt werden, bis gelbes und braunes Senfmehl entsteht. Dann kommen Farinzucker, Wasser, Brandweinessig hinzu und natürlich weitere Gewürze, für die jede Familie ihr eigenes Rezept hatte. So wie meine Urgroßmutter. Nur dass die ihren Senf in den Metzgereien portionsweise zur Wurst verkauft hat.“ Der Alte hustete und Brauser hoffte, er würde mehr erzählen. Die Herstellung von Senf hatte ihn schon immer sehr interessiert.

      „Und Sie produzieren heute noch nach diesem alten Rezept?“

      „Ja. Und nur ganz wenige wissen, welche Gewürze tatsächlich verwendet werden. Der Reifungsprozess ist streng geheim. Aber natürlich nehmen wir nur beste Zutaten. Das Originalrezept befindet sich übrigens im Safe.“

      Wieder hustete der Alte und dann huschte ein Schmunzeln über sein Gesicht. „Meine Urgroßmutter hatte einfach das Beste. Die Leute mochten ihren Senf so sehr, dass sie schließlich mit der professionellen Produktion beginnen konnte, allerdings in einer eher bescheidenen Fabrik. Mit den Jahren wurde die Firma dann immer größer. Heute könnte sich niemand mehr vorstellen, seinen Senf im Kochtopf selbst zu machen.“

      So wie der Alte das sagte, klang es kein bisschen eingebildet, sondern einfach nur stolz. Wie ein Mann, der sein Leben genutzt hatte, und nun zufrieden zurück sah. „Heute laufen wöchentlich rund eine halbe Million Gläser und Tuben vom Band“, erklärte er abschließend.

      „Trotzdem hat sich Ihre Tochter nicht dafür interessiert?“, führte der Kommissar wieder zu seinem eigentlichen Anliegen zurück.

      „Unsere Tochter hat getanzt, Geige gespielt und von einer Karriere als Sängerin geträumt. Wir waren in der glücklichen Lage, ihr diese Wünsche zu erfüllen.“

      Jetzt besann sich Weberknecht, denn er hatte sich von der Geschichte davontragen lassen und für einen Moment den Grund der Befragung durch den Hauptkommissar vergessen. Er war schlagartig wieder da und fuhr mit milder Stimme fort. „Ich wollte immer nur das Beste für sie. Aber welcher Vater weiß schon, was das Beste für sein Kind ist?“

      ***

      Für die Passauer Bevölkerung war es einfach nur „das Stadttheater“, das da am südlichen Steilhang des Domberges, der Schokoladenseite der Stadt, entlang der Gottfried-Schäfer-Straße lag. Im 17. Jahrhundert war es als Ballhaus für ein beliebtes spanisches Hallenballspiel erbaut worden und hatte dann in seiner wechselvollen Geschichte viele Pächter erlebt. Vom anspruchsvollen Musentempel war es zum mittelmäßigen Theater abgestiegen, in dem Varietés und schlechte Inszenierungen gegeben wurden, bis es wieder zu dem wurde, was es heute war: ein liebevoll restauriertes und modernisiertes Kleinod der Theaterszene.

      Schon von unterwegs hatte Hannes sie beim Verwaltungsdirektor angemeldet und so stand dieser, als sie am Nachmittag vor dem Haus anhielten, auf der obersten Treppenstufe, um sie zu empfangen. Die Sonne versank gerade zwischen den Bäumen entlang des Inns, einem der drei Passauer Flüsse, was ein ganz besonderes Schauspiel nach den Tagen im zähen Nebel war.

      Lutz Schaffroth schien vom Tod seiner Sopranistin betroffen, wenn auch nicht am Boden zerstört. Die Luft in seinem Büro wirkte so alt wie das Gebäude, obwohl das kleine Fenster, mit Blick auf den Inn, weit offen stand und Franziska ahnte, dass die vielen Zigarettenstummel in seinem Aschenbecher der Grund dafür waren. Der Verwaltungsdirektor war über einen Meter und achtzig groß, trug einen Anzug, der dringend gebügelt werden sollte, und hatte kurze, sehr dunkle Haare. Ob er besonders stark war oder zu Wutausbrüchen neigte, konnte man in diesem Moment nicht sagen, aber schließlich stand der Mann ja auch nicht unter Verdacht.

      „Wie konnte so etwas Schreckliches nur passieren?“, fragte er, nachdem alle Platz genommen und seine Sekretärin Kaffee und Mineralwasser angeboten hatte. Er fügte schnell hinzu: „Ich meine, auf der Bühne stirbt man selbstverständlich hundert Tode, aber in der Realität?“ Wie um weitere Gedanken an dieses Thema von sich zu weisen, schüttelte er den Kopf.

      „Sie kannten Frau Weberknecht gut?“, fragte die junge Kommissarin und musterte ihn aufmerksam, während sie das Wasserglas in ihren Händen drehte. Es strahlte eine so angenehme Frische aus.

      „Was heißt gut? Ich bin seit einem Jahr hier am Theater und da lernt man schon den einen oder anderen kennen. Aber nicht näher, wenn Sie das meinen.“ Schaffroth