Renaissance 2.0. Christian Jesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Jesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754127643
Скачать книгу
jetzt anfingen "Shila! Shila!" zu skandieren.

      "Ich habe es genau gesehen. Deine Lesbenhure ist wieder in der Stadt! Bist du jetzt glücklich?", brüllte Marah plötzlich laut los. Sofort hörten die aufmunternden Zurufe der Umstehenden auf.

      "Im Gegensatz zu dir habe ich wenigstens jemanden, der mich liebt", antwortete sie ganz ruhig. "Noch nicht einmal die Oberin, für die du so gerne spionierst, liebt dich. Und das, obwohl sie deine Mutter ist." Durch die umstehende Menge ging ein leises Raunen. Das hatte gesessen. Marah lief blutrot an, um dann laut schreiend auf die zierliche Ankilla zu zurennen. Doch die machte nur eine Vierteldrehung und ließ sie an sich vorbei ins Leere laufen, wo das Mädchen durch die Gasse stolperte, welche die Umstehenden geöffnet hatten, um sie ja nicht aufzuhalten und um zu beobachten, wie Marah aus vollem Lauf in den Dreck fiel. Keiner lachte über dieses Missgeschick. Die Gruppe verlagerte sich lediglich und bildete nun einen Kreis um die immer noch wütende Ankilla auf dem Boden. Schweigend betrachteten sie die junge Frau, um sich dann nach und nach abzuwenden. Shilané blieb bis zum Schluss. Marah rappelte sich langsam auf. Mit Mordlust in ihren Augen schaute sie ihre Erzfeindin an, drehte sich mit einem Ruck um und verschwand in Richtung des Gemeindehauses, wo sie ihre Mutter fand.

      "Wie siehst du denn aus?", wurde sie von dieser empfangen.

      "Shilanés kleine Hure ist wider in der Stadt", antwortete sie, statt sich zu erklären. Sie ging zu einem Schrank an der gegenüberliegenden Wand, öffnete dessen Türen, zog sich dann vollständig aus und suchte schließlich nach sauberer Wäsche, die sie wieder anzog.

      "Wer ist sie?", wollte ihre Mutter wissen.

      "Keine Ahnung. Will ich auch gar nicht wissen."

      "Aber ich will es wissen", herrschte die Oberin das Mädchen an. "Finde es gefälligst heraus. Wofür habe ich dich sonst in die Welt gesetzt?"

      "Ja Mutter Oberin", antwortete Marah sarkastisch und machte einen Knicks, woraufhin sie sich eine schallende Ohrfeige einfing, die sie erneut zu Boden warf. Diese Demütigung war zu viel. Wutentbrannt rannte sie an ihrer Mutter vorbei zur Tür. Bevor sie aus dem Haus stürmte, rief sie der Oberin aber noch eine Warnung zu.

      "Eines Tages werde ich dich bei lebendigem Leib verbrennen. Das schwöre ich dir."

      "Dazu müsstest du erst einmal ein Streichholz anzünden können", erwiderte ihre Mutter ironisch. "Aber selbst dazu bist du zu blöd."

      Marah folgte Shilané den ganzen Tag, um sie aus sicherer Entfernung zu überwachen. Sie hoffte auf diese Weise mehr über die Frau zu erfahren, mit der sich die junge Ankilla über so viele Wochen vergnügt hatte. Die beiden wiesen eine gewisse Ähnlichkeit auf. Sie waren schlank und zierlich, hatten ein hübsches, verführerisches Gesicht, nur die Haare von Shilané waren länger und brünett. Wie sie die beiden so beobachtete, veränderte sich etwas in ihr. Die zwei gingen völlig ungezwungen miteinander um. Es schien sie nicht zu stören, dass sie andere Menschen dabei betrachteten, wie sie ihre Zuneigung austauschten. Auch den jungen Mann, der sie begleitete, schien dies nicht zu beunruhigen, obwohl Marah das Gefühl hatte, Shilanés kleine Nutte würde ihm mehr bedeuten, als es eine Bekannte tun würde. Doch er hielt sich zurück und ließ die Frauen gewähren. Je länger sie die drei beobachtet, die zärtlichen Berührungen und Küsse, welche die Frauen immer wieder tauschten, desto mehr Gefühl regte sich auch in Marah und das machte sie erneut wütend. Endlich trennte sich die Gruppe wieder. Die Ankilla folgte diesmal nicht Shilané, sondern dem Pärchen, das jetzt Hand in Hand die Straße entlang ging. Dabei legte die Frau ihm den Kopf auf die Schulter oder küsste ihn. Sie hatte also recht gehabt mit ihrer Vermutung. Wusste Shilané davon? Das würde sie später noch herausfinden, nahm sie sich vor.

      Nach einiger Zeit erreichte das Paar sein Ziel und verschwand in einem großen Gebäude. Von Außen sah es nach einer riesigen Lagerhalle aus. Als sie jedoch näher kam erkannte sie eine Wache an einem eisernen Tor, die eine Waffe trug. Neben dem Durchgang war eine große Achtzehn an die Wand gemalt worden. Die Gebäude rechts und links daneben trugen hingegen die Hausnummern Achtundzwanzig und Dreißig, was die genervte Ankilla verwunderte. Marah war sich nicht sicher, was für ein Gebäude dies war. Eventuell eine Fabrik. Oder ein großes Lager. Nur, was wurde hier gelagert? Oder gehörte das Bauwerk vielleicht zur ProTeq? Das würde den bewaffneten Posten erklären. Ihre letzte Vermutung erhärtete sich für sie, als sie einige militärisch aussehende Fahrzeuge im großen Hof der Anlage entdeckte. Dann bemerkte sie jedoch etwas, das ihr zuvor entgangen war. Niemand der Personen, die sie bislang gesehen hatte, trug eine Uniform. Entweder war dies eine zivile Einheit der Proteqtoren oder, plötzlich dämmerte es ihr, oder handelte es sich um Renegaten. Das musste es sein. Die dreckigen Widerstandskämpfer. Jene, die von Jachwey eingesetzt wurden, die Quolcosen und die Ankillas zu überwachen. Jachwey, dachte sie voller Hass. Der männliche Gottkaiser, der die Frauen in seinem Staat zur Arbeit zwang und ihnen sonst keine Privilegien erlaubte, weswegen sie nur in ihren Quolcosen leben durften. Und mit so einer durfte sich Shilané vergnügen. Das war einfach zu viel für die frustrierte Ankilla. Nicht nur, dass dieses Mädchen außerhalb der Quolcose übernachten durfte. Nein. Sie machte sogar noch mit einer dieser Renegaten rum. Aber dem würde jetzt ein Ende gesetzt. Entweder durch die Oberin oder aber sie würde es in die eigenen Hände nehmen. Marah warf noch einen letzten Blick über die Straße, bevor sie sich auf den Rückweg zu ihrer Mutter machte.

      Als sie das Gemeindehaus erreichte, war ihre Mutter nicht dort. Verärgert setzte sie sich in einen der unbequemen Stühle und wartet. Um sich die Zeit zu vertreiben, spielte sie mit ihrem Comtab, rief diverse Internetseiten auf, schaute in ihr digitales Postfach und verschickte ein paar Nachrichten. Als sie damit fertig war, legte sie das Gerät zur Seite und lehnte sich zurück. Dabei bemerkte sie überrascht einige Geräusche, die aus dem Nebenzimmer zu kommen schienen. Dumpfe Laute, die sie nicht einordnen konnte. Als ein unterdrückter Schrei laut wurde, stand die Ankilla auf und ging zu der Tür, die sie vorsichtig öffnete. Langsam wurde diese von ihr immer weiter aufgedrückt, bis sie freie Sicht auf das hatte, was die Geräusche verursachte. Angewidert schlug sie die Tür laut zu und verließ das Haus.

      Erst am späten Abend kam Marah wieder zurück. Sie war über mehrere Stunden ziellos durch die Stadt gelaufen und hatte eindeutig zu viel getrunken. In diesem Zustand steuerte sie ihr Zuhause an, wo ihre Mutter bereits auf sie wartete und sie mit unfreundlichen Worten empfing.

      "Wo bist du gewesen? Shilané ist schon längst wieder zurück und du treibst dich irgendwo herum."

      "Du verdammte Hure musst gerade 'nen Lauten machen", konterte sie in ihrem alkoholischen Delirium. "Kaum bin ich weg, rammelst du alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist."

      "Was fällt dir ein!", schrie die Oberin und kam mit schnellen Schritten auf ihre Tochter zu. Die blickte wie in Zeitlupe auf, um kurz darauf quer durch den Raum zu stolpern. Der Schlag hatte eine große Platzwunde an ihrer linken Wange hinterlassen. Eine weitere kam hinzu, als Marah mit dem Hinterkopf gegen den Kaminsims prallte. Bewusstlos blieb sie am Boden liegen, während sie aus beiden Wunden heftig blutete. Ihre Mutter betrachtete sie eine Weile. Als ihr klar wurde, dass Marah noch atmete, wendete sie sich ab und ging ins Schlafzimmer.

      Shilané bekam von all diesem nichts mit. Sie war immer noch beflügelt von dem Gespräch mit ihrer geliebten Freundin Tandra, die sich scheinbar immer häufiger an Bruchstücke ihrer Beziehung erinnerte. Das Einzige, was sie bedauerte, war ihre feste Bindung mit Jikav. Aber das konnte sie ihr nicht verübeln. Der Renegat war ein netter Mann, den es überhaupt nicht störte, dass die beiden ihre alte Beziehung für den Moment weiter pflegten. Lediglich auf die gemeinsamen Nächte musste die Ankilla verzichten. Doch dabei halfen ihr die Erinnerungen an jene liebevollen Abenteuer, die sie zuvor hatten und die sie im Geiste immer wieder neu durchlebte. Das war zwar nicht das Gleiche, kam dem jedoch sehr, sehr nah.

      Kapitel 16

      "Konnten Sie den Nachbau wiederfinden?", erkundigte sich Tandra, noch bevor sie den Kommandanten von Basis Achtzehn begrüßte.

      "Ja. Haben wir. Ist ihr Spezialist auch anwesend?", wollte dieser daraufhin wissen.

      "Thevog kommt in ein paar Minuten. Wir hatten zuvor noch etwas zu erledigen. Einer unserer Renegaten holt ihn im Augenblick