Renaissance 2.0. Christian Jesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Jesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754127643
Скачать книгу
nur einmal hier blicken lassen."

      "Er sagt, er kommt aus Nuhåven. Mehr weiß ich auch nicht."

      "Und wo ist er jetzt?", fragte der Chef weiter.

      "Ich glaube, er ist in die Laboratorien gegangen. Oder in die Produktion. Keine Ahnung. Kann ich was zu trinken haben? Ich werde sonst ohnmächtig." Der Leiter der Produktionsanlage hörte die Frage schon gar nicht mehr. Bereits nach dem ersten Satz seines Sekretärs war er in Richtung Tür unterwegs gewesen, um sich auf die Suche nach dem unerwünschten Besucher zu machen. Dabei beschäftigte ihn nur zwei Gedanken. Was wollte er hier und warum jetzt?

      Sein Weg führte ihn, ohne dass man ihn aufhielt, in die Laboratorien in der ersten Etage. Schnell durchschritt er die Schleuse, warf sich einen der blauen Kittel über, nahm einen Mund- und einen Haarschutz, um dann mit sich beschleunigenden Schritte weiter voran zu stürmen. Endlich im dritten Labor traf er auf die Person, die dreisterweise so unangemeldet hier aufgetaucht war. Die Mitarbeiter, an denen er vorbeistürmte, machten erschreckte Gesichter. Er musste wie jemand aussehen, der sich gleich ein Messer vom Tisch griff, um dann den Mann ohne Hals von Hinten niederzustechen.

      "Iver!", rief er laut und freudestrahlend aus. "Was für eine Ehre. Ich hatte keine Ahnung, dass Sie kommen würden. Sonst hätte ich doch etwas vorbereitet."

      "Das mach überhaupt nichts. Und Sie konnten auch nicht wissen, dass ich komme. Keiner konnte wissen, dass irgendjemand die Biosphäre Nuhåven sprengen würde."

      "Was ist geschehen?", fragte der Mann entsetzt.

      "Irgendjemand oder irgendeine Gruppe hat die komplette Stadt Nuhåven in die Luft gejagt. Oder besser gesagt, im Boden versenkt. Haben sie noch nichts davon gehört?"

      "Nein. Entschuldigen Sie. Aber ich konzentriere mich immer auf meine Arbeit hier. Nachrichten sehe ich dann höchstens, wenn ich zu Hause bin."

      "Naja, jetzt wissen Sie es aus erster Hand. Ich kann von Glück reden, dass ich überhaupt hier bin. Hätte nicht viel gefehlt und meine Wnigkeit wäre mit im Erdboden verschwunden. Ich glaube, diese kleine Hexe hat etwas damit zu tun. Die muss ich einfach haben." Die Gesichtszüge der Kröte veränderten sich stark bei dem Gedanken an Ysana. Zum einen war da Wut zu lesen, zum anderen ein verklärter Enthusiasmus gemischt mit Anerkennung und Euphorie. Sol Iver war schon ein gestörter Mann, dachte der Produktionsleiter. Deswegen hatte er ihn auch lieber in einer anderen Stadt, als hier bei sich.

      "Nun, wenn das so ist, dann will ich Ihnen gerne anbieten, bei mir zu wohnen, bis Sie etwas anderes gefunden haben." Kaum, dass er diese Worte ausgesprochen hatte, gab er sich eine gehörige gedanklicher Ohrfeigen. Was für ein Idiot bist du eigentlich, schrie er sich im Geiste zu. Du willst den Kerl lieber unter der Erde sehen und jetzt lädst du ihn auch noch zu dir ein. Und das auch noch ohne deine Frau vorher zu fragen. Junge, du bist so was von tot. Du weißt es nur noch nicht. Doch der Leiter hatte Glück. Iver lehnt das Angebot ab, mit der Begründung, er wolle eigentlich nach Deksar, wo er Geschäftliches zu erledigen hatte.

      "Akeḿ liegt nur auf dem Weg. Deswegen wollte ich mal bei Ihnen vorbeischauen und sehen, wie unser gemeinsames Geschäft läuft."

      "Das läuft alles bestens, Iver. Die Produktion ist ausgelastet und die Weiterentwicklungen bringen uns auch alles, was wir wollten."

      "Das heißt, er ist mit unserer Arbeit zufrieden und ahnt nichts?", vergewisserte sich die Kröte.

      "Da können Sie von ausgehen. Wir produzieren am Tag mehr als hundert Netze in Handarbeit, in 1A Spitzenqualität, und verkaufe diese zu einem überhöhten Preis an ihn."

      "Und unsere Zusatzleistung?", grinste Iver.

      "Die ist sicher."

      "Wann können wir alles einsetzen?"

      "Das ist eine Frage, die kann ich Ihnen leider nicht beantworten."

      "Soll das bedeuten, dieser Hurensohn hat auch nicht einen Ton darüber verlauten lassen, was genau er vorhat und wann?"

      "So sehr ich Ihnen gerne etwas anderes sagen möchte, genau so ist es. Wir wissen aufgrund der Baupläne nur, wozu die Netze fähig sind, weswegen wir ja auch unsere Zusatzleistung verbaut haben. Wer damit ausgestattet werden soll, wann er was damit vorhat oder wo, liegt jedoch völlig im Dunkel."

      "Haben Sie denn schon einmal einen Test durchgeführt? Vielleicht bewegt das etwas?"

      "Haben wir schon. Drei oder viermal. Ich weiß es schon gar nicht mehr. Nichts. Rein gar nichts. Als würde er unsere Ware irgendwo lagern für bessere Zeiten. Ich verstehe sein Verhalten nicht."

      "Uns soll es egal sein. Hauptsache das Geld trifft immer regelmäßig ein."

      "Das tut es."

      "Ich weiß. Schließlich überweisen Sie mir ja immer fleißig meinen Löwenanteil." Die Kröte grinste und hüpfte zum Ausgang des Labors. "Kommen Sie mit. Ich lade Sie zum Essen ein. Aber irgendein Restaurant, wo man drinnen sitzen kann. Die Luft hier ist ja das reinste Giftgas."

      Der Leiter der Fabrik verzog das Gesicht. Ungern wollte er, dass man ihn mit der Kröte zusammen sah. Auch, wenn in Deusakem nicht jeder wusste, dass Sol Iver ein schmieriger Gangsterboss ist, war es mehr als schadhaft, mit ihm gesehen zu werden.

      "Wieso zweigen wir nicht ein paar der Netze für uns ab?", fragte der Firmenchef seinen Gast. Der schien überrascht.

      "Natürlich könnten wir einige für uns produzieren. Das würde noch nicht einmal auffallen. Aber mir ist es lieber, wir können alles diesem Jachwey in die Schuhe schieben, falls etwas schiefläuft, als dass die Behörden irgendwo anders herumschnüffeln."

      "Das verstehe ich. Aber was genau haben Sie eigentlich vor?" Iver blieb abrupt stehen und wendete sich dem Fabrikleiter zu. Dann lächelte er.

      "Warten Sie es ab. Sobald Jachwey die Netze einsetzt, werden Sie es als Erster erfahren. Da bin ich mir sicher. Und jetzt lassen Sie uns endlich etwas essen. Ich bin am Verhungern. Den ganzen Weg von Nuhåven hier her bin ich zu Fuß gelaufen. Ich wusste gar nicht, dass das geht." Wohl eher gehüpft, dachte sich der Leiter und musste innerlich grinsen, während er sich vorstellte, wie die Kröte den ganzen Weg durch die Dædlænds bergauf und bergab in ihrem watschelnden, hüpfenden Gang zurückgelegt hatte. Das hätte er gerne miterlebt. Vermutlich hat er dazu auch noch geflucht und gequakt wie ein Ochsenfrosch.

      Kapitel 12

      Es hatte der kleinen Gruppe etwas Mühe bereitet die Adresse von Shilanés Onkel zu finden. Kurz vor Sonnenuntergang standen sie jedoch endlich vor seiner Haustür. Der Siebzigjährige öffnete und war mehr als erfreut, Tandra und ihr Begleiter zu sehen. Im Wohnzimmer saß Shilané, die ebenfalls erfreut aufsprang und die vier begrüßte. Ihr Onkel verschwand umgehend in der Küche, wo er auf die Schnelle etwas zum Essen zauberte, damit, wie er sagte, seine Gäste keinen Hunger leiden mussten. Nachdem alle gesättigt waren, lehnte man sich mit einem Glas Wein gemütlich zurück und erzählte sich das Neueste. Dabei war Shilané am meisten daran interessiert, wo Tandra die letzten Monate nach ihrem plötzlichen Verschwinden gewesen war.

      "Darf ich dich zunächst einmal fragen, wann ich hier war und wie wir uns begegnet sind? Ich hatte dir ja schon gesagt, dass ich mich an einige Dinge nicht mehr erinnern kann", bat sie das junge Mädchen. Die lehnte sich in ihrem Sessel nach Vorne, um sich dann mit ihren Unterarmen auf den Oberschenkeln abzustützen. Dabei fielen ihr die langen, leicht welligen und brünetten Haare ins Gesicht, die sie mit einer Kopfbewegung wieder an ihren Platz brachte, bevor sich darauf ein Lächeln abzeichnete, als sie an die damalige Zeit dachte.

      "Du bist vor etwas mehr als drei Monaten hier gewesen und warst täglich bei mir an der Essensausgabe. Jedes Mal, wenn du gekommen bist, hast du dich mit deiner Bestellung an mich gewandt, nach meiner Meinung oder dem Gericht des Tages erkundigt. Irgendwann haben wir angefangen herumzualbern. Wir haben so getan, als wärest du eine hochgestellte Persönlichkeit, die sich in die Niederungen der Küche begibt, um dort unerkannt die Köstlichkeiten der unteren Schicht zu probieren." Shilané stockte und schaute ihren Onkel an, der scheinbar schon wusste, was jetzt kommen würde. "Dabei sind wir uns immer näher gekommen."