Wem gehört das Huhn?. Alexander Laszlo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Laszlo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753192796
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später löste mich köstlicher Duft aus meinen Gedanken. Ich kannte diesen Geruch nur zu gut. Rinderhackfleisch, erst scharf angebraten, dann in Rosalies selbstgemachter Tomatensalsa mit Koriander geschmort. Mit frischem Salat, geriebenem Cheddar und garniert mit einem Klecks saurer Sahne landete diese köstliche Mischung in einer knusprigen Maisschale – gefüllte Tacos! Ich aß sie für mein Leben gerne! Schon als Kind waren sie mein absolutes Lieblingsgericht, und ich kann mich an keine einzige Woche in meinem Leben erinnern, in der meine Mutter nicht mindestens einmal selbstgemachte Tacos auf den Tisch gestellt hatte. Wenn es um köstlich gefüllte Tacos ging, war ich schon immer ein echter Mexikaner, auch wenn ich damit ein Klischee erfüllte. Mexikaner essen gerne Tacos, sagen die gutmütigen Menschen. Mexikaner sind Tacofresser, die bösen.

      Rosalie wusste, wie sehr sie mit diesem Essen für unseren Zusammenhalt sorgte. Sie zauberte uns damit ein Stück Heimat nach Santa Roca. An diesem Abend konnten wir die Sorgen beiseiteschieben, wenigstens für ein paar glückliche Momente. Nach dem Essen setzten wir uns mit einer Flasche Rotwein auf den Balkon und blickten Hand in Hand in den prächtigen Sternenhimmel. Es war der erste Abend in unserer neuen Heimat und einer der letzten, an dem die Dinge zwischen Rosalie und mir so harmonisch waren. Denn unser Asylverfahren sollte schon bald zu einer schweren Belastungsprobe für unsere Beziehung werden. Doch davon war an diesem ersten Abend in Santa Roca nichts zu erahnen. In dieser wunderbaren Nacht war alles gut, und wir schliefen eng umschlungen ein.

      Am nächsten Morgen weckte mich die frühe Sonne, während Rosalie noch tief und fest weiterschlief, und auch die Mädchen lagen noch in ihren Betten. Leise schlich ich mich in die Küche, kochte mir einen Kaffee und ging damit raus auf den Balkon. Die Sonne lachte mich an, ich lächelte ihr zu und ließ meinen Blick über den wunderschönen Garten hinter dem Haus schweifen. Er sollte schon bald zu dem Ort werden, an dem Rosalie viel Zeit verbrachte. Mit jedem Tag blühte sie wieder ein Stück mehr auf.

      Die Gartenarbeit half ihr dabei, mit dem Verlust unseres Lebens in Mexiko umzugehen. Ein mexikanisches Sprichwort sagt: Heilen heißt, das Herz glücklich zu machen. Und genau das tat dieser Garten. Er heilte Rosalies Herz, in kleinen Schritten, aber er tat es. Ich war glücklich, dass sie eine Beschäftigung gefunden hatte, die ihr Freude bereitete. Was mich anging, so machte ich mir in der Gemeinde schnell einen Namen als Handwerker. Natürlich ohne Bezahlung, denn solange wir keinen positiven Asylbescheid bekamen, durften wir keine bezahlte Arbeit annehmen. Und wenn unser Antrag abgelehnt würde, dann hätten wir ohnehin andere Sorgen.

      In Santa Roca lebten etwa 5000 Menschen, und von einer kanadischen Großfamilie abgesehen waren wir die einzigen Ausländer und damit etwas Besonderes. Natürlich kann ich nicht sagen, dass wir alle Menschen im Ort persönlich kannten, doch schon nach ein paar Monaten fühlte es sich so an. Jeder, der regelmäßig Pfarrer Browns Gottesdienst besuchte, kannte uns. Dort hatte er den Menschen von den Neuankömmlingen in der Gemeinde berichtet, und alle schienen sich darüber zu freuen. Santa Roca war ein Ort von guten Menschen. Und war es ein Zufall, dass es kein republikanischer Ort war? Die Menschen hier wählten schon seit Jahrzehnten fast geschlossen demokratisch.

      Rosalie hatte wieder begonnen, Blumen zu züchten, die schon bald zahlreiche Wohnzimmer und Küchen in Santa Roca schmückten. Dorothy Brown, selbst eine leidenschaftliche Gärtnerin, hatte Rosalie geholfen, seltene Orchideensamen zu besorgen. Als Handwerker hatte ich irgendwann praktisch für jeden schon mal irgendetwas repariert. Regelmäßig wurden wir zu Grillfesten oder zum Kaffeetrinken eingeladen. Niemand mit Ausnahme der Browns kannte unsere ganze Geschichte, aber Pfarrer Brown hatte jedem von Anfang an versichert, dass wir gute Menschen waren. Und sein Wort hatte Gewicht in der Gemeinde.

      Drei Jahre vergingen, und es waren für uns als Familie und besonders die Mädchen drei gute Jahre, doch kamen wir mit unserem Asylantrag keinen Schritt voran. Rosalie und ich stritten uns deswegen jetzt immer öfter und leider auch immer heftiger. Nur für Ana und Teresa rauften wir uns immer wieder zusammen. Die Zwillinge blühten in ihrer neuen Heimat richtig auf, sie durften in den Gemeindekindergarten und hatten schnell Freunde gefunden, was auch uns half, uns noch mehr zu integrieren. Aber eine Entscheidung über unseren Asylantrag wurde alle drei Monate auf den nächsten Termin vertagt, nur um an diesem dann erneut um drei Monate verschoben zu werden. Das hatte System. Und dieses System hieß Ruth Buttworth.

      Sie war eine unangenehme, geradezu bösartige Person. Klein, hager und verhärmt, um ihren Mund lagen böse Züge. Ihre grünen Augen waren winzig und von durchdringendem Blick hinter einer großen schwarzen Hornbrille. Die grauen Haare hatte sie zu einem strengen Dutt gebunden, der in einem Netz am Hinterkopf steckte. Bezirksrichterin Buttworth mochte keine Mexikaner und gab sich nur wenig Mühe, dies zu verhehlen. Aber es gab etwas, das sie mochte, sehr sogar, ja geradezu verehrte. Den amerikanischen Präsidenten und seine Art, das höchste Amt im Staate auszuführen. Seit Trump wieder unverhohlen gegen Mexikaner hetzte, gegen die man sich nur mit absoluter Härte zur Wehr setzen konnte, fühlte sich Ruth Buttworth bestätigt.

      Bei unseren Anhörungen genoss sie es, uns ihre Macht zu demonstrieren. Wenn wir sprachen, schnitt sie uns das Wort ab, setzten wir erneut an, hob sie drohend ihren knochigen Zeigefinger, an dem sie einen riesigen Siegelring trug. Sie verachtete uns einzig, weil wir Mexikaner waren. Seit Trump vor acht Jahren das Präsidentenamt übernommen und vor vier Jahren schmutzig und blutig verteidigt hatte, war es für viele Amerikaner immer normaler geworden, Menschen nur aufgrund ihrer Herkunft öffentlich zu schlechten Menschen zu erklären, zu unerwünschten Menschen. Der Präsident selbst machte es ihnen vor und forderte sogar in den USA geborene Menschen, deren Wurzeln außerhalb der Vereinigten Staaten lagen, auf, in die Scheißlochländer zurückzukehren, aus denen ihre Eltern einst in die USA emigriert waren.

      Donald Trump hatte die Amerikaner endgültig gegeneinander aufgehetzt. Und je näher die schicksalhafte Wahl rückte, mit der Trump eine dritte Amtszeit erreichen wollte, desto drastischer wurden seine Worte, und er wandte sich nun wieder dem Thema zu, das schon in seinem ersten Wahlkampf vor acht Jahren so gut funktioniert hatte: kriminelle Mexikaner. Und damit meinte er alle Mexikaner. Die demokratische Partei hatte er längst zu Komplizen Mexikos erklärt, zu Kommunisten, Sozialisten, Linksradikalen, kurzum zu Feinden Amerikas. Wer die Demokraten wählt, greift damit all das Großartige an, für das Amerika steht. Das war seine simple Botschaft. Und er hatte Erfolg damit. Trump saß fester im Oval Office als je zuvor. Mindestens die Hälfte der Amerikaner unterstützte ihn, die andere Hälfte nicht. Fünfzig-fünfzig ist eine denkbar schlechte Ausgangslage für eine Versöhnung.

      Für Bezirksrichterin Ruth Buttworth waren die Obama-Jahre acht verlorene Jahre gewesen. Die beiden Amtszeiten, in denen Trump jetzt schon das Sagen hatte, schien Amerika für sie wieder zu dem Ort gemacht zu haben, der er sein sollte. Ein Ort, an dem amerikanische Interessen immer an erster Stelle kamen. Wie schmutzig und skrupellos sich Trump seine zweite Amtszeit ergaunert hatte, spielte für sie überhaupt keine Rolle, im Gegenteil. Wie so viele Amerikaner war auch sie fest davon überzeugt, dass die Demokraten bei der letzten Wahl betrogen hatten und Trump in Wahrheit gewonnen hatte. Und war er nicht im Recht? Wie sonst hätte er sich im Amt halten können? Das war die krude Logik von Menschen wie Bezirksrichterin Ruth Buttworth.

      Und so fand sie alle drei Monate einen weiteren Grund, warum nicht jetzt über unseren Asylantrag entschieden werden konnte. Und alle drei Monate mussten wir damit rechnen, noch in Buttworths Büro festgesetzt und abgeschoben zu werden. Es führte kein Weg an der knochigen Richterin vorbei zu einer höheren Instanz. In diesem Bezirk hatte sie das Sagen. Und woanders leben durften wir nicht. Wir waren an Santa Roca gebunden und Ruth Buttworth ausgeliefert. Hätte sie unseren Antrag abgelehnt, so hätten wir dagegen Einspruch einlegen können, und über den würden dann andere Richter entscheiden. Aber Buttworth ließ uns nicht von ihrem Haken.

      Nach jeder Anhörung waren wir am Boden zerstört, und Pfarrer Brown hatte seine rechte Mühe, uns wieder aufzurichten. Er begleitete uns fast zu jedem Termin und wartete geduldig vor der Tür. Auch ihm entging nicht, dass Buttworth im Begriff war, Rosalie und mich zu entzweien. Doch er war klug genug, nicht alleinige Partei für einen von uns beiden zu ergreifen. Aber selbst dem stets zuversichtlichen Pfarrer Brown fiel es von Anhörung zu Anhörung schwerer, nicht die Hoffnung zu verlieren. Sosehr er sich auch bemühte, uns das nicht spüren zu lassen, so gelang es ihm von Mal zu Mal weniger.

      Doch