Wem gehört das Huhn?. Alexander Laszlo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Laszlo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753192796
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geklagt. Selbst der wütende Sturm seiner Anhänger auf das Capitol hatte das nicht verhindert. Trumps Gegner zweifelten weiterhin öffentlich an seinen mentalen Fähigkeiten, sein Amt auszuführen, aber den Präsidenten scherte das nicht – er fühlte sich unbesiegbar! Und die Tatsache, dass er noch immer im Amt war, gab ihm recht. So war es in seiner Logik nur konsequent, dass er sich nicht mit vier weiteren Jahren begnügen wollte. Kaum hatte er seine zweite Amtszeit angetreten, fingen er und seine willigen Helfer an, die öffentliche Meinung zu manipulieren wie nie zuvor. Er verkaufte den Menschen seine eigenen Wünsche als die ihren und twitterte immer häufiger, dass er bereitstehe, wenn Amerika ihn länger als weitere vier Jahre an der Spitze bräuchte.

      Für seine Tweets nutzte er nun immer häufiger die Accounts prominenter Freunde, weil Twitter ihn immer wieder sperrte. Doch das stoppte Trump nicht. Im Gegenteil, es spielte ihm in die Karten, denn so konnte er seinen Anhängern beweisen, dass die Lügenpresse und die großen Medienunternehmen ihn Hand in Hand mit den Demokraten zum Schweigen bringen wollten. Natürlich war das nicht der Fall, aber seine Fans glaubten es nur zu gerne. Trump wurde jeden Tag größenwahnsinniger. POTUS klang plötzlich viel mehr nach einem römischen Kaiser als nach President of the United States. Doch je absurder Trumps Äußerungen wurden, desto mehr verehrten ihn seine Anhänger. Jeder einzelne von ihnen, und das waren fast fünfundsiebzig Millionen Amerikaner, hatte bei der letzten Wahl einen ganz persönlichen Grund gehabt, für Trump zu stimmen. Auch Schwarze, Latinos und Frauen. Selbst tiefgläubige Christen haben für den Ehebrecher und überführten Lügner gestimmt. Und so wie die Meinungsumfragen aussahen, würden sie es bei der anstehenden Wahl wieder tun. Die Stimmung im Land war so aggressiv wie nie zuvor und Donald Trumps Boshaftigkeit auf ihrem bisherigen Höhepunkt. Er hatte den Graben, der das Land seit seinem Amtsantritt immer weiter gespalten hatte, scheinbar unüberwindbar gemacht.

      Und offensichtlich führte dieser Riss auch mitten durch das Auto, in dem ich jetzt gezwungen war zu sitzen, bewacht von gleich drei FBI-Agenten. Nach einer Dreiviertelstunde erreichten wir einen flachen, weißen Gebäudekomplex und verschwanden kurz darauf in dessen weitläufiger Tiefgarage. Barnett las eine Nachricht auf seinem Mobiltelefon und zog mich kurz zur Seite, als wir den Wagen verließen. Die restlichen fünf Beamten ließ er ein paar Meter weiter warten. „Ihre Frau und Ihre Töchter wurden nicht festgesetzt. Sie befinden sich in Kirchenasyl. Ich habe gerade eine Nachricht bekommen. Ihrer Familie geht es gut, und es wird ihr nichts geschehen. Denken Sie immer daran, heute und in den nächsten Tagen. Egal, was passiert.“

      „Was wird passieren?“, fragte ich. Inzwischen fühlte ich gar nichts mehr. Meinen unerschütterlichen Glauben daran, dass am Ende immer alles gut wird, hatte ich noch nie verloren, nicht mal in dieser ausweglosen Situation. Doch schlimme Beklemmungen packten und schüttelten mich immer wieder heftig durch, bevor der Optimismus wieder die Oberhand gewann.

      „Gehen wir“, antwortete Barnett, ohne auf meine Frage einzugehen.

      Eine Stunde, nachdem die sechs FBI-Agenten mich im Vorgarten des Gemeindehauses von Santa Roca verhaftet hatten, eskortierten sie durch einen langen Flur mit blassgrünen Wänden, in den das Licht nur durch milchige Oberlichter fiel, bevor wir schließlich vor einer schweren grauen Metalltür stehen blieben. Durch einen Sicherheitsglaseinsatz in der Tür konnte ich einen kleinen offenen Innenhof sehen. Er sah aus wie ein Gefängnishof und war umgeben von einer Mauer, vielleicht drei Meter hoch. Zur rechten Seite schloss sich ein flaches Gebäude an. Dem gegenüber war ein großes Gitter in die Mauer eingelassen, durch das ich auf eine belebte Straße blicken konnte. Die Menschen fuhren dort in ihren Autos, liefen auf dem Bürgersteig oder saßen auf Bänken, lasen Zeitung oder aßen ein Sandwich. Alles ganz normal. Was Menschen eben normalerweise so tun. Diese Normalität versetzte mir einen heftigen Stich ins Herz, denn ich war nur wenige Meter von ihr entfernt, und doch war sie unerreichbar. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so einsam und hilflos gefühlt wie in diesem Moment.

      »In der Falle« Dienstag, 29. Oktober 2024, 10:00 Uhr. Noch 7 Tage bis zur Wahl.

      Ich war in Trumps Menschenfalle getappt wie in eine Bärenfalle, die sich schmerzhaft tief in mein Fleisch riss und bei jeder Bewegung noch tiefer eindrang. Ich war unfähig, mich zu bewegen, fest im Würgegriff eines Amtes, das von einem größenwahnsinnigen, schweren Narzissten gekapert worden war. Ein Teil des Präsidenten-Apparates führte dessen Befehle sicher nicht gerne aus, doch das Einzige, was für mich zählte, war die Tatsache, dass er es tat.

      Seit zwanzig Minuten warteten wir nun schon im Halbdunkel des Flurs. Niemand sprach ein Wort. Eine Uhr an der Wand tickte laut. Ich fragte nach einem Anwalt. „Nicht jetzt“, war die knappe Antwort. Endlich öffnete einer der Beamten die schwere Tür mit einem heftigen Ruck und ich trat, eingerahmt von den Agenten, auf den Hof und atmete tief ein. Ich erinnere mich noch ganz genau an das Wetter an diesem Tag. Es war schwül und heiß, schon am Morgen hatte es fünfundzwanzig Grad gehabt, jetzt waren es sicher über dreißig. Es war ein ungewöhnlich heißer Herbsttag. Ein Wolkenfetzen schob sich vor die Sonne. Die Luft war feucht und stickig. Nicht das kleinste Lüftchen bewegte sich hier unten an diesem grauen und trostlosen Ort.

      Die Stimmung war gedrückt, auch die Agenten in ihren dunkelblauen Bomberjacken machten nicht den Eindruck, als wären sie gerne hier. Nur einer von ihnen, ein junger Weißer mit kahlrasiertem Schädel, ich schätzte ihn auf höchstens fünfundzwanzig, hörte nicht auf, mich anzustarren, während seine Kollegen es vorzogen, ins unscharfe Nichts zu blicken. Es war derselbe Agent, der im Auto das Radio eingeschaltet hatte. Noch immer sprach niemand ein Wort, auch der Kahlschädel nicht. Er starrte mich einfach nur an. Ich konnte nicht sagen, was in seinem Kopf vorging. War er überzeugt davon, gerade das Richtige zu tun und seinem Land zu dienen, indem er einen schlechten Menschen (mich!) verhaftet hatte? Oder war er fasziniert, einen dieser mordenden und vergewaltigenden Mexikaner, von denen er durch seinen Präsidenten so viel gehört hatte, endlich mal aus der Nähe zu sehen? Vielleicht war sein regungsloser Blick aber auch einfach Ausdruck seines Nachdenkens über die Situation und seine Rolle darin. Vielleich war er privat ein feiner Kerl.

      Bis zu diesem Tag hatte mich in meinem Leben der tiefe Glaube an das Gute in jedem Menschen geleitet. Es waren dieser Glaube und die unerschütterliche Zuversicht, dass ich jede Situation meines Lebens kontrollieren konnte, was mich so stark machte. Doch jetzt spürte ich diese Zuversicht nicht mehr. Sollte ich mich mein ganzes Leben lang geirrt haben?

      Ich löste meinen Blick von dem des Agenten und schaute über die Mauer hinter ihm. Dort stand ein großer Baum mit einer dichten grünen Krone. Irgendwo zwischen seinen Blättern musste ein Vogelnest sein. Ich konnte es nicht sehen, doch die Schreie des hungrigen Nachwuchses waren nicht zu überhören – jedes Mal, wenn sich eines der Elterntiere mit einem saftigen Wurm im Schnabel näherte und vorsichtshalber noch eine Runde um den Baum flog, um Feinden nicht das Versteck der Kleinen zu verraten. Ich spürte, dass ich die Luft angehalten hatte, und atmete tief aus.

      Die Handschellen schmerzten und machten diese Situation noch unerträglicher. Was hatte ich getan, um diese Behandlung zu verdienen? Welche Gefahr ging von mir aus, dass man mich fesseln und von sechs bewaffneten Beamten bewachen lassen musste? Mein Herz schlug schwer, sehr schwer. Es fühlte sich an, als wäre es mit Stacheldraht umwickelt, der sich mit jedem Schlag tiefer in meinen Lebensmuskel riss und das Blut herauspresste, bis nichts mehr davon übrig war. Mein Nacken brannte heiß, mir wurde schwindelig. Nur mit Mühe hielt ich mich aufrecht und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Das Rasseln eines großen Schlüsselbundes riss mich schließlich aus meinem Gedankenkarussell. Eine schwere schwarze Metalltür wurde langsam von innen geöffnet und einen kleinen Spalt weit aufgeschoben. Was im Raum dahinter lag, konnte ich nicht sehen, denn es war alles schwarz. Nur das unverwechselbare Licht eines Fernsehers flackerte im Dunkel.

      „Ok, los geht`s”, sagte Barnett, der direkt neben mir stand. Er schien sich nicht nur als Leiter dieser Truppe verantwortlich für mich zu fühlen. Vielmehr hatte ich das Gefühl, er habe Mitleid mit mir. Vielleicht weil er wusste, was hinter dieser Tür auf mich wartete. Eskortiert von sechs FBI-Agenten, mit den Händen auf dem Rücken gefesselt, bewegte ich mich langsam auf die halbgeöffnete Tür zu. Ich holte tief Luft, drückte die Brust durch und nahm mir vor, stark zu sein, was immer mich hinter