Wem gehört das Huhn?. Alexander Laszlo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Laszlo
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753192796
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sich all ihrer Hemmungen, ihrer Moral und vor allem ihres Geldes. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis davon die organisierte Kriminalität angezogen wurde. Prostitution und Drogen waren das Geschäft. Vor allem Kokain. Sehr gutes und sehr teures Kokain. Und immer mehr Touristen bedeutete immer mehr Kokain.

       Die kleine Kommunalverwaltung war mit dem rasanten Tempo, in dem Los Santos gewachsen war, völlig überfordert. Neue Leute zogen ins Rathaus, und die brachten wiederum ihre Leute mit. Schnell war der alte, verschlafene Verwaltungsapparat ausgetauscht gegen junge und hungrige Beamte. Vor allem aber korrupte Beamte. Die Drogenbanden machten ihre Geschäfte, und die Beamten kassierten mit. Baugenehmigungen und Restaurantkonzessionen wurden im Rekordtempo erteilt, immer begleitet von üppigen Schmiergeldern. Sogar ein großes Kasino eröffnete mit einer Sondergenehmigung. Die ehemals so friedliche Stadt wusch das schwarze Drogengeld blendend weiß. Die Korruption war offensichtlich. Jeder wusste es, doch jeder schien zu profitieren. Auch wir, obwohl wir uns so gut es ging aus dem Treiben in der Stadt raushielten. Unsere Ranch war eine Oase des Friedens und der Ruhe, hoch oben über der Stadt. Hier fühlten wir uns sicher und unerreichbar vor dem schmutzigen Griff der Stadt. Doch diese Ruhe war trügerisch und nicht von Dauer. Mit etwas Abstand frage ich mich nun, warum ich uns für unantastbar hielt.“

      Ich blickte auf die Uhr an der Wand. Es war bereits eine volle Stunde vergangen, seit ich Browns Büro betreten hatte. Ich holte tief Luft und drückte den Rücken durch.

      „Ok“, sagte ich energisch und atmete kräftig aus, „ich versuche es nun wirklich kurz zu machen.“

      Brown hob die Augenbrauen und räumte mit seinen Händen einen imaginären Weg frei, damit ich meine Geschichte in Ruhe weitererzählen konnte.

      „Wir haben also profitiert, ohne dass sich für uns persönlich zunächst viel geändert hatte. Doch das änderte sich von einem auf den nächsten Tag. Zuerst sind zwei Mitarbeiter vom Gewerbeamt bei mir im Hafen aufgetaucht. Junge Typen in Anzügen. Ich hatte eben die letzte Kiste mit Fisch in den Transporter geladen, Schwertfisch, ich erinnere mich genau, und wollte gerade los.

       Sie wollten sich mal mein Geschäft anschauen, sagten die beiden in einem Tonfall, der mir sofort klarmachte, dass es hier um etwas ganz anderes ging. Ich war inzwischen einer der größten Fischlieferanten der ganzen Region, und das hatte offenbar Begehrlichkeiten geweckt, ohne dass ich dies bemerkt hatte. Offiziell wollten die Männer die Einhaltung der Hygienevorschriften kontrollieren. Offiziell. Zunächst gaben sie sich Mühe, nicht direkt den wahren Grund ihres Besuches anzusprechen, aber dann dauerte ihnen ihr eigenes Spielchen selbst zu lang, und sie redeten Klartext. Schmiergeld. Darum ging es. Oder vielmehr, denn es gab ja keine Gegenleistung, blanke Erpressung. Entweder sie verdienen mit an meinem Geschäft, oder die Verwaltung würde mir Probleme bereiten.

       Mit ein paar besonders schönen Fischen konnte ich den ersten Versuch noch abwiegeln und die Männer loswerden. Aber nach ein paar Tagen kamen sie zurück. Und sie kamen nicht allein. Zwei finstere, muskelbepackte Typen folgten ihnen, einer hielt einen Pitbull nur mit Mühe an seiner Leine. Mein Herz blieb fast stehen. Das würde nicht gut ausgehen, und so war es. Diese beiden Typen gehörten der größten Drogenbande an, die in der Stadt mittlerweile das Sagen hatte. Und dass sie von Offiziellen der Stadt begleitet wurden, war eine klare Botschaft. Das Gesetz hatte die Seiten gewechselt. Und ich hatte ein riesiges Problem, denn es ging ihnen gar nicht um Schutzgeld. Zumindest nicht um Schutzgeld allein.

       Ab sofort sollte ich nicht mehr nur Fisch transportieren, sondern auch Kokain, das auf diese Weise unauffällig über die ganze Stadt verteilt werden sollte. Ich verstand überhaupt nicht, warum solch eine Tarnung überhaupt notwendig war, schließlich hatte es den Anschein, als stünden die gesamte Polizei und alle Mitarbeiter der Stadtverwaltung auf der Lohnliste der Kriminellen. Doch anscheinend gab es doch noch ein paar letzte aufrichtige Beamte, an denen vorbei es zumindest einer gewissen Tarnung der Drogengeschäfte bedurfte. Und das Risiko, erwischt zu werden, lag bei mir. Doch diese bösen Menschen wollten noch mehr. In den Gewächshäusern auf unserem Grundstück sollte von nun an Marihuana angepflanzt werden. Schon in ein paar Tagen würden die ersten Pflanzen geliefert. Ich war geschockt und hilflos.

       Eine Woche verging, doch nichts geschah. Dann noch eine Woche, in der wir weder von den korrupten Behördenmitarbeitern noch von den Kriminellen etwas hörten. Aber wir wussten, dass sich das jeden Tag ändern konnte. Und so hatten wir längst einen Entschluss gefasst, auch wenn der unser Leben auf den Kopf stellen würde. Wir wollten alles verkaufen! Die Fischerei, die Gärtnerei und nicht zuletzt auch mein Elternhaus, so schwer mir das auch fiel. Aber an solch einem Ort konnten wir nicht mehr leben, und auf gar keinen Fall sollten unsere Mädchen hier aufwachsen.

       So rasch es möglich war, leiteten wir alles in die Wege. Die Fischerei mit dem gesamten Kundenstamm übernahm ein Konkurrent, und meine Mitarbeiter behielten ihre Arbeit. Die Ranch verkauften wir mitsamt der Gärtnerei an unsere Bank. In der boomenden Stadt war unser Grundstück begehrt und für beide Seiten ein gutes Geschäft. Innerhalb weniger Tage hatten wir unser gesamtes bisheriges Leben aufgelöst. Aber wir hatten zu wenig Zeit und zu viel Angst, ihm nachzutrauern. Wo sollten wir jetzt hin? Innerhalb einer Woche mussten wir die Ranch verlassen haben. Wir entschlossen uns, in der Baja California zu bleiben, und hatten die Hoffnung, dass es einhundert Kilometer weiter nördlich möglich war, ein neues Leben aufzubauen, ohne in der Reichweite des alten zu sein.“

      „Was ist dann geschehen?“ Mr. Brown nahm einen Schluck Wasser aus einer Kaffeetasse.

      „Was dann passiert ist, fragen Sie …“, ich stockte. Was ich nun erzählen musste, brachte mein Herz schon beim Gedanken daran fast zum Stehen, und ich wusste nicht so recht, wo ich beginnen sollte, also begann ich mittendrin.

      „In der Küche sind sie über sie hergefallen.“ Ich bemühte mich, stark zu bleiben und nicht in Tränen auszubrechen.

      „Hergefallen?“ Brown zog sich mit einer raschen Handbewegung die Brille von der Nase.

      „Rosalie war mit Ana und Teresa allein auf der Ranch, als plötzlich vier Männer aufgetaucht sind, einer von ihnen war sogar Polizist, zumindest trug er eine Polizeiuniform. Sie sind mit einem kleinen Lastwagen gekommen und hatten die ersten Marihuanapflanzen dabei, die wir für sie anbauen sollten. Ohne Vorwarnung standen sie plötzlich vor dem Haus. Zwei haben angefangen, die Pflanzen abzuladen, die anderen beiden aber haben bemerkt, dass Rosalie allein war und sie sofort ins Haus gedrängt. Einer von ihnen war der Polizist. Der andere ein dicker, widerlicher Kerl.“

      Ich holte tief Luft.

      „Das waren Tiere. Nach Schweiß stinkende, wilde Tiere. In der Küche sind sie über sie hergefallen, sie haben Rosalie vergewaltigt, ich meine, sie haben es versucht, sie haben ihre Kleider zerrissen, Rosalie hat sie angefleht. Und die ganze Zeit über hatte sie Angst, dass die Mädchen plötzlich im Zimmer stehen würden. Doch die Männer ließen sich nicht von ihrem Plan abbringen. Sie haben Rosalie mit einem Messer bedroht. Der Polizist war ein brutaler Sadist. Der Dicke hat Rosalie dann auf die Knie gezwungen, sie musste ...“

      „Ist gut, ist gut!“ Brown stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch auf und nahm einen weiteren Schluck aus seiner Tasse. „Sie müssen nicht jedes Detail erzählen. Versuchen Sie, ganz nüchtern zu erzählen, was passiert ist. Wie gesagt, Sie müssen nicht jedes Detail erzählen.“

      „Doch, ich muss. Es geht nicht anders. Denn wenn in unserer Akte später steht, meine Frau sei eine Mörderin, dann müssen Sie wissen, dass sie es nicht ist. Stellen Sie sich die Situation genau vor, denn genau so war es.“

      Ich blickte Brown eindringlich an.

      „Rosalie kniet auf dem Küchenboden, zitternd, flehend, doch der sadistische Polizist lacht nur. Mit seinen gelben Zähnen lacht er immer lauter, dann holt er seinen verschwitzten Schwanz aus der Hose und hält ihn drohend in der Hand wie eine Waffe. Der Dicke hat das Messer in der Hand, er leckt es ab, fuchtelt damit vor Rosalies Gesicht rum.

       Dann macht er einen Schritt vorwärts, doch er rutscht auf dem Teppich aus. Er stolpert,