Herzstolpern. Tara McKay. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tara McKay
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753192536
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taub zu werden, es kribbelt bis in die Arme hinauf und mein Kopf fühlt sich an, als sei er voller Watte. Doch jetzt bin ich endlich zu Hause, der Atem strömt wieder völlig gleichförmig in meine Lungenflügel und wieder hinaus.

       Geschafft!

      Die Symptome ebben diesmal schnell ab. Meine Finger entkrampfen sich, das Kribbeln in meinen Armen lässt nach und verschwindet schließlich ganz. Ich bin in meinem sicheren Hafen angekommen.

      Noch ein wenig wackelig auf den Beinen stemme ich mich aus dem rosa geblümten Chintzsessel hoch und hebe meinen Schlüsselbund auf, der in aller Eile nicht auf dem dafür vorgesehenen weißlackierten Holztischchen gelandet ist, sondern auf dem abgewetzten lindgrünen Teppich, mit dem sowohl der Flur, als auch die Treppe nach oben ausgelegt sind.

       Ich sollte ihn austauschen.

      Nicht zum ersten Mal denke ich über die Renovierung des kleinen Reihenhäuschens in Portobello nach, das ich von meiner Patentante Mhairi geerbt habe. Die Teppiche und Böden sind alt und abgewohnt und befinden sich hier im Haus seit ich denken kann – und vermutlich noch viel länger. Eine Renovierung kommt jedoch nicht in Frage, alles erinnert mich hier an glückliche Tage mit meiner Großtante. Erinnerungen, die ich gerade jetzt nicht aufgeben kann, wo ich das Gefühl habe, dass es mir jeden Tag schlechter geht. Auch wenn ich das nur ungern zugebe.

      Das Telefon klingelt und reißt mich aus meinen Gedanken. Da ich die schlechte Angewohnheit habe, es überall liegen zu lassen, ist es meist unauffindbar oder der Akku leer. Das Klingeln kommt aus dem Wohnzimmer, wo ich es schließlich unter einem dicken Sofakissen finde.

      „Ja?“, frage ich misstrauisch, als ich auf den Knopf mit dem Hörer drücke. Meist sind es Anrufe von einer Telefongesellschaft, die mir unbedingt ihre günstigen Tarife andrehen will. Für derartige Gespräche habe ich keinen Nerv.

      „Liebes, wie war es beim Arzt?“ Meine Mutter schreit in den Hörer, als wäre sie tausende von Meilen entfernt auf dem Kontinent und nicht im selben Land wie ich.

      „Gut“, antworte ich wortkarg und könnte mich in den Hintern beißen, dass ich ihr von meinem Verdacht, etwas könne mit meiner Lunge nicht in Ordnung sein, erzählt habe.

      „Wie, gut? Hast du nun etwas oder nicht?“

      Die Antwort ‚gut‘ sollte ihr eigentlich sagen, dass ich an keiner lebensbedrohlichen Krankheit leide, das versteht doch nun wirklich jeder. Nicht so meine Mutter. Sie ist Meisterin darin, nicht zu verstehen, was ihre Umgebung ihr sagen will oder Dinge falsch zu interpretieren. Was wohl der Grund dafür ist, dass keiner ihrer Geschwister noch mit ihr spricht. Das oder dass sie mit Vorliebe über jeden herzieht, egal ob er ihr nahesteht oder nicht.

      „Nein, ich habe nichts.“ Zumindest nichts, was ich nicht wüsste.

      Meine Mutter zieht die Luft laut ein. Ein äußerst missbilligendes Geräusch.

      „Du bist ein ebensolcher Hydrodingsda wie dein Vater.“

      „Hypochonder“, verbessere ich sie genervt.

      Ich versuche nicht mal, meiner Stimme einen freundlicheren Klang zu geben. Danach ist mir nun wirklich nicht zumute. Die letzte Panikattacke hat zwar nicht lange angedauert, aber mich nichtsdestotrotz ziemlich ausgelaugt.

      „Sag ich doch.“ Ich sehe förmlich vor mir, wie sie beleidigt das Gesicht verzieht.

      „Ich bin kein Hypochonder, Ma.“

      Sie besteht schon seit ich klein bin darauf, dass ich sie ‚Ma‘ nenne und sieht sich gerne als Mutter aus der Serie ‚Die kleine Farm‘. Nun gut, sie ist blond und kümmert sich gerne um ihre Familie, aber da hört die Ähnlichkeit auch schon auf.

      „Wenn du sagst, dass dir etwas fehlt und dann ist es doch wieder ein Fehlalarm, dann bist du eben das. Dein Vater stirbt auch bereits seit Jahren und ist immer noch da.“

      „Wie geht es Da?“, versuche ich das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. Mein Vater hat sich standhaft geweigert, dass ich ihn ‚Pa‘ nennen soll, weil er Mas Vorliebe für amerikanische Serien und Filme nicht teilt. Das etwas altmodische, schottische ‚Da‘ hat sich als Kompromiss durchgesetzt.

      „Er rechnet stündlich mit einem Herzinfarkt, aber ansonsten ist alles in Ordnung. Ich habe ihn dazu verdonnert, den Rasen zu mähen.“

      Ich sehe meine Vater förmlich vor mir, wie er in seinen khakifarbenen Shorts und einem seiner unvermeidlichen Polohemden, den Schlapphut gegen die Sonne tief ins Gesicht gezogen, über den Rasen trabt und seinen uralten roten Rasenmäher vor sich herschiebt. Sein Traum ist so ein Ding, auf das man sich draufsetzen kann, aber da er damit in dem kleinen Quadrat, das zu dem Reihenhäuschen meiner Eltern gehört, gerade einmal hin und zurück fahren könnte, wird er den wohl nie bekommen. Eine Welle der Zärtlichkeit überkommt mich und das überwältigende Gefühl, nach Hause fahren zu wollen.

      „Sag ihm liebe Grüße, Ma“, sage ich stattdessen. „Ich muss jetzt noch zur Arbeit.“

      Bevor meine Mutter noch weitere Fragen stellen kann – und das würde sie mit Sicherheit gerne tun, man muss bei ihr ziemlich auf der Hut sein -, lege ich rasch auf. Dann bleibe ich auf dem Sofa sitzen, als wäre ich dort festgetackert.

       Ich muss jetzt noch zur Arbeit…

      Eine ziemlich dreiste Lüge, angesichts der Lage. Denn was meine Eltern nicht wissen: vor über einem Jahr habe ich meinen sicheren und gar nicht so schlecht bezahlten Job als Lehrerin an der Portobello High School gekündigt und verdiene meinen Lebensunterhalt als Schriftstellerin. Das klingt nun wirklich nicht so schlimm, dass man es vor seinen Eltern geheim halten müsste. Es sei denn…

      „Es sei denn, man kann nicht mehr arbeiten gehen und hat glücklicherweise ein Hobby, das recht erträglich ist und ein Haus, für das man weder Miete, noch eine Hypothek zahlen muss.“

      Ich stöhne auf und raufe mir die roten Locken, während ich in der Küche an dem kleinen Tisch aus Kiefernholz sitze und warte, dass Izzy mit dem Tee fertig wird, den sie gerade aufbrüht.

      „Wann willst du es ihnen denn endlich sagen?“, fragt meine beste Freundin und stellt einen dampfenden Becher vor mich hin.

      Der Duft von Kamillenblüten steigt mir in die Nase und ich atme tief ein und aus.

      „Nie.“, antworte ich wahrheitsgemäß.

      „Das kannst du nicht machen!“

      „Kann ich nicht? Du siehst doch, wie gut das geht.“

      „Irgendwann werden sie es merken.“

      „Was? Dass ich nicht mehr in der Schule arbeite? Ich wüsste nicht, wie sie es erfahren sollten.“

      „Das meine ich nicht.“

      Izzys Stimme klingt ungeduldig und versetzt mich in einen Zustand permanenter Anspannung. Meine Handflächen beginnen feucht zu werden und mein Herz klopft etwas heftiger als noch kurz zuvor.

      Natürlich weiß ich, was sie mir sagen will - und was sie mir mit Sicherheit mit der schonungslosen Offenheit einer besten Freundin an den Kopf schleudern wird. Fast bedauere ich, dass ich sie nach meinem Telefonat mit Ma angerufen habe, um sie für heute einzuladen.

      „Dein Radius wird immer kleiner, Lauren.“

      „Das ist nicht wahr“, protestiere ich schwach, will hinzufügen, dass sich mein Zustand seit meinem großen Zusammenbruch vor etwas über einem Jahr nicht verändert hat. Aber es wäre eine Lüge und tief in mir drinnen weiß ich das auch. Vor einem Jahr bin ich noch einkaufen gegangen. Nicht gerne und nicht oft und am Liebsten auch nicht alleine. Aber ich bin gegangen.

      „Wohin gehst du, außer zum Arzt?“

      Mist! Mit dem Zusatz ist sie meiner Antwort zuvor gekommen. Außerdem habe ich irgendwie das Gefühl, als hätte ich ein Déja-vu. Nur mit Izzy als Großinquisitor statt Dr. Walker.

      „Ich fahre ab und an zu dir.“

      Izzy