»Ich bin ein blonder Rheinländer«, trällerte Hendrik Höfgen, vom Sektgenuß wie vom Resultat seiner Überlegungen erheitert, und er ging guter Dinge zu Bett.
Am nächsten Morgen freilich war ihm wieder viel beklommener zumute. Wie würden die Kollegen ihn behandeln, die ihrerseits nie im »Sturmvogel« aufgetreten und die vom Dichter Muck niemals als »Kulturbolschewisten« bezeichnet worden waren? Wirklich schien ihm, daß sie sich etwas frostig gegen ihn zeigten, als man gemeinsam zu den Außenaufnahmen fuhr. Nur der jüdische Komiker begann eine längere Unterhaltung mit ihm, was eher als ein besorgniserregendes Zeichen zu nehmen war. Da Hendrik sich isoliert und schon ein wenig als Märtyrer fühlte, wurde er trotzig und unbeherrscht. Dem Komiker gegenüber gab er der Meinung Ausdruck, daß die Nazis sehr bald abgewirtschaftet und sich lächerlich gemacht haben würden. Der kleine Humorist aber sagte ängstlich: »Ach nein – wenn die erst einmal dran sind, dann bleiben sie lange. Gebe Gott, daß sie ein bißchen Vernunft annehmen und etwas Nachsicht üben gegen unsereinen. Wenn man sich ganz still verhält, kann einem ja wohl nicht viel passieren«, hoffte der Drollige, und Hendrik hoffte es im Grund mit ihm, war jedoch zu stolz, es auszusprechen.
Schlechtes Wetter hinderte die deutsche Schauspielertruppe mehrere Tage lang, Aufnahmen im Freien zu machen; man war genötigt, bis zum Ende des Februars in Madrid zu bleiben. Die Nachrichten, die aus der Heimat kamen, waren widerspruchsvoll und erregend. Außer jedem Zweifel schien zu sein, daß Berlin sich in einem wahren Delirium der Begeisterung für den nationalsozialistischen Reichskanzler befand. Ganz anders standen die Dinge – wenn man den Berichten der Zeitungen und den privaten Informationen glauben durfte – in Süddeutschland und besonders in München. Man wollte wissen, daß die Lostrennung Bayerns vom Reich und die Ausrufung der Wittelsbacher-Monarchie zu erwarten sei. Vielleicht waren aber das nur hohle Gerüchte oder doch Übertreibungen tendenziöser Natur. Jedenfalls tat man besser daran, sich auf sie nicht gar zu fest zu verlassen und die Sympathie mit der neuen Macht demonstrativ zu betonen. So hielten es denn auch die deutschen Schauspieler, die in Madrid versammelt waren, um einen Detektivfilm zu drehen. Der jugendliche Liebhaber – ein schöner Mann mit einem langen, slawisch lautenden Namen – prahlte plötzlich damit, daß er schon seit Jahren Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei sei, was er bis dahin konsequent verschwiegen hatte; seine Partnerin, deren weiche, dunkle Augen und sanft gebogene Nase zu Zweifeln an ihrer germanischen Reinrassigkeit berechtigten, gab zu verstehen, daß sie mit einem hohen Funktionär derselben Partei so gut wie verlobt sei; den jüdischen Komiker aber sah man immer bedrückter werden.
Höfgen seinerseits hatte sich zu der einfachsten und wirkungsvollsten Taktik entschlossen: er hüllte sich in ein geheimnisvolles Schweigen. Niemand sollte ahnen, wieviel Sorgen er zu verbergen hatte. Denn die Mitteilungen, die er von Fräulein Bernhard und anderen Ergebenen aus Berlin erhielt, waren niederschmetternd. Rose schrieb, man müsse auf das Schlimmste gefaßt sein. Sie erging sich in finsteren Andeutungen über »schwarze Listen«, die von den Nazis schon seit Jahren geführt wurden, und auf denen weder Geheimrat Bruckner noch der Professor noch Hendrik Höfgen fehlten. Der Professor befand sich in London und gedachte, vorläufig nicht nach Berlin zurückzukehren. Fräulein Bernhard legte ihrem Hendrik nahe, sich auch seinerseits zunächst fernzuhalten von der deutschen Hauptstadt – ihm lief es eiskalt über den Rücken, als er es las. Gerade noch war er einer der Feinsten gewesen, und nun sollte er plötzlich ein Verbannter sein! Es fiel ihm nicht leicht, vor den argwöhnischen Kollegen eine kühle Miene zu wahren und bei den Aufnahmen so flott und »aasig« zu sein, wie man es von ihm erwartete.
Als die Truppe sich zur Heimreise anschickte und selbst der jüdische Komiker mit besorgter Miene seine Koffer packte, behauptete Hendrik, wichtige Besprechungen in Filmangelegenheiten riefen ihn nach Paris. Sein Gedanke war: Ich muß Zeit gewinnen. Es dürfte kaum ratsam sein, sich gerade jetzt in Berlin zu zeigen. In einigen Wochen hat man sich wahrscheinlich beruhigt …
Hingegen standen die fulminanten Überraschungen erst bevor. Als Höfgen in Paris eintraf, war das erste, was er erfuhr, die Nachricht vom Brande des deutschen Reichstags. Hendrik, durch seine langjährige Tätigkeit als Schurkenspieler geübt im Erraten krimineller Zusammenhänge und nicht ohne natürlichen Instinkt für die niedrigen Kombinationen der Unterwelt, begriff sofort, wer diese provokatorische Untat ersonnen und ausgeführt hatte: die ruchlose und dabei infantile Schlauheit der Nazis hatte sich ja eben an jenen Filmen und Theaterstücken geübt und entzündet, in denen Hendrik die Hauptrollen zu spielen pflegte. Höfgen konnte sich nicht verbergen, daß sich in den Schauer, den er über den rohen Trick dieser Brandstiftung empfand, ein anderes Gefühl mischte, welches Behagen und beinahe Wollust war. Die verderbte Phantasie von Abenteurern entschloß sich zu dem frechen, leicht durchschaubaren Betrug, der nur deshalb Erfolg haben konnte, weil in Deutschland selber niemand mehr wagen durfte, die Stimme gegen ihn zu erheben, und weil die übrige Welt, auf ihre eigene Ruhe mehr bedacht als auf die Sittlichkeit europäischen Lebens, nicht geneigt schien, sich in die unheimlichen Affären dieses verdächtigen Reiches zu mischen.
›Wie stark das Böse ist!‹ dachte der Schauspieler Höfgen unter ehrfürchtigen Schauern. ›Was es sich alles leisten und ungestraft herausnehmen darf! – Es geht in der Welt wirklich zu wie in den Filmen und Stücken, deren Held ich so häufig gewesen bin.‹ Dies war für den Augenblick das kühnste, was er zu denken wagte. Aber ahnungsweise und ohne es sich noch eingestehen zu wollen, empfand er zum ersten Male einen geheimnisvollen Zusammenhang zwischen dem eigenen Wesen und jener anrüchigen, verderbten Sphäre, in der vulgäre Schurkenstreiche wie diese Brandstiftung ersonnen und ausgeführt wurden.
Zunächst freilich war Hendrik kaum geneigt, über die Psychologie der deutschen Missetäter und über das, was ihn etwa mit diesen Unterwelt-Typen verbinden mochte, lange nachzugrübeln; er hatte Anlaß, sich über die nächste Zukunft ernste Sorgen zu machen. Nach dem Reichstagsbrand waren in Berlin mehrere Personen verhaftet worden, mit denen er auf vertrautem Fuße gestanden hatte, darunter auch Otto Ulrichs. Rose Bernhard hatte ihren Posten an den Kurfürstendamm-Bühnen verlassen und war überstürzt nach Wien abgereist. Von dort aus beschwor sie brieflich ihren Freund Höfgen, er solle unter keinen Umständen deutschen Boden betreten. »Dein Leben wäre gefährdet!« So alarmierend schrieb Rose aus dem Hotel Bristol in Wien.
Hendrik meinte, dies dürfe er für romantische Übertreibung halten. Trotzdem war er beunruhigt. Von Tag zu Tag verschob er seine Abreise. Unbeschäftigt und nervös schlenderte er durch die Pariser Straßen. Er kannte die Stadt nicht, war aber keineswegs in der Stimmung, sich jetzt an ihrem Zauber zu erfreuen oder ihn auch nur zu bemerken.
Das waren bittere Wochen, die bittersten vielleicht, die er