Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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Jahre vergehen – die letzten Jahre dieser mit soviel Hoffnung begrüßten, nun so jammervoll verscheidenden Weimarer Republik: die Jahre 1930, 1931, 1932? Der Schauspieler Höfgen lebt von einer Premiere zur nächsten, von einem Film zum andern; er zählt »Aufnahmetage«, »Probentage«, aber er weiß kaum davon, daß der Schnee schmilzt, daß die Bäume und Gebüsche Knospen tragen oder Blätter, daß ein Wind die Düfte mit sich trägt, daß es Blumen gibt und Erde und fließendes Wasser. Eingesperrt in seinen Ehrgeiz wie in ein Gefängnis; unersättlich und unermüdlich; immer im Zustand höchster hysterischer Spannung, genießt und erleidet der Schauspieler Höfgen ein Schicksal, das ihm außerordentlich scheint, und das doch nichts ist als die vulgäre, schillernde Arabeske am Rande eines todgeweihten, dem Geist entfremdeten, der Katastrophe entgegentreibenden Betriebes.

      Es ist doch nicht zu schildern – es ist doch überhaupt nicht aufzuzählen, was er alles treibt, durch wieviel verschiedenartige Einfälle und Überraschungen er das öffentliche Interesse auf sich lenkt. – Den Vertrag mit den Bühnen des Professors hat er, zum fassungslosen Kummer des Fräulein Bernhard, gelöst, um frei zu sein für all die verlockenden Chancen, die sich ihm bieten. Nun spielt und inszeniert er einmal hier, einmal dort – wenn die einträgliche Filmtätigkeit ihm Zeit für die Bühne übrig läßt. Auf der Leinwand oder auf der Bühne sieht man ihn in kleidsamer Apachentracht – rotes Halstuch zum schwarzen Hemd; das Haar einer blonden Perücke, die seine Miene noch verdächtiger wirken läßt, tief in die Stirn frisiert; im gestickten Kostüm des dandyhaften Rokokofürsten; im üppigen Gewand orientalischer Despoten; in der römischen Toga oder im Biedermeierrock; als preußischen König oder als degenerierten englischen Lord; im Golfanzug, im Pyjama, im Frack oder in der Husarenuniform. In der großen Operette singt er Albernheiten auf so klug pointierte Manier, daß die Dummen sie für geistreich halten; in klassischen Dramen bewegt er sich mit so eleganter Nachlässigkeit, daß die Werke Schillers oder Shakespeares wie amüsante Konversationsstücke wirken; aus mondänen Farcen, die in Budapest oder Paris nach billigen Rezepten hergestellt sind, zaubert er raffinierte kleine Effekte, die des Machwerks Nichtigkeit vergessen lassen. – Dieser Höfgen kann alles! Seine brillante, vor keiner Zumutung versagende Wandlungsfähigkeit scheint genialen Einschlag zu haben. Wollte man jede seiner Leistungen einzeln betrachten, so käme man wohl zu dem Resultat, daß keine von ihnen allerersten Ranges ist: als Regisseur wird Höfgen niemals den »Professor« erreichen; als Schauspieler kann er es mit seiner großen Konkurrentin Dora Martin nicht aufnehmen, die der erste Stern an einem Himmel bleibt, über den er sich als ein schillernder Komet bewegt. Es ist die Vielfalt seiner Leistungen, die seinen Ruhm ausmacht und immer wieder erneuert. Da gibt es nur eine Stimme im Publikum: Fabelhaft, was er alles fertigbringt! Und in gewählteren Ausdrücken wiederholt die Presse die gleiche Meinung.

      Er ist der Liebling der links-bürgerlichen und linken Blätter – wie er der Favorit der großen jüdischen Salons ist und bleibt. Gerade der Umstand, daß er kein Jude ist, läßt ihn diesen Kreisen besonders schätzenswert erscheinen; denn die jüdische Berliner Elite »trägt blond«. – Die Zeitungen der radikalen Rechten, die täglich die Erneuerung deutscher Kultur durch die Rückkehr zum volkhaft Echten, zu Blut und Boden zornig propagieren, verhalten sich mißtrauisch und ablehnend gegen den Schauspieler Höfgen; er gilt ihnen als »Kulturbolschewist«. Daß die jüdischen Feuilletonredakteure ihn schätzen, macht ihn ebenso verdächtig wie seine Vorliebe für französische Stücke und die exzentrisch-volksfremde Mondänität seiner Erscheinung. Außerdem verfolgen ihn die nationalistischen Dramatiker mit ihrem Haß, weil ihre Stücke von ihm abgelehnt werden. Cäsar von Muck zum Beispiel, repräsentativer Dichter der aufstrebenden nationalsozialistischen Bewegung, in dessen Dramen erwürgte Juden und erschossene Franzosen die Pointen des Dialogs ersetzen – Cäsar von Muck, höchste Kapazität für kulturelle Fragen im Lager der dezidierten Kulturfeindlichkeit, schreibt über die Neuinszenierung einer Wagner-Oper, mit der Höfgen eben Sensation gemacht hat: Dies sei übelste Asphaltkunst, zersetzendes Experiment, durchaus jüdisch beeinflußt und freche Schändung deutschen Kulturgutes. »Der Zynismus des Herrn Höfgen kennt keine Grenzen«, schreibt Cäsar von Muck. »Um dem Kurfürstendammpublikum eine neue Unterhaltung zu bieten, wagt er sich an den ehrwürdigsten, größten der deutschen Meister – an Richard Wagner.« – Recht herzlich amüsiert Hendrik sich, gemeinsam mit ein paar radikalen Literaten, über diese Redensarten des Blut-und-Boden-Skribenten.

      Höfgen hat seine Beziehungen zu kommunistischen oder halbkommunistischen Kreisen keineswegs aufgegeben; zuweilen bewirtet er in seiner Wohnung am Reichskanzlerplatz junge Schriftsteller oder Parteifunktionäre, denen er in immer neuen und immer effektvollen Redewendungen seinen unversöhnlichen Haß gegen den Kapitalismus und seine glühende Hoffnung auf die Weltrevolution versichert. Umgang mit den Revolutionären pflegt er nicht nur, weil er meint, diese könnten doch vielleicht einmal an die Macht kommen, und dann würden alle Diners sich reichlich bezahlt machen; sondern auch zur Beruhigung des eigenen Gewissens. Man ist anspruchsvoll und möchte doch mehr sein als nur ein gut verdienender Komödiant; man will nicht ganz aufgehen in einem Betrieb, den man im Grunde zu verachten behauptet, während man doch ganz in seinem Banne steht.

      Hendrik schmeichelt sich, daß sein Leben Inhalte und Probleme habe, deren sich die Kollegen kaum rühmen können. Dora Martin zum Beispiel, diese großartige Dora Martin, die immer noch um eine entscheidende Nuance berühmter ist als er selbst: was mag schon vorgehen in ihrem Innern? Sie schläft ein mit dem Gedanken an ihre Gagen und erwacht mit Hoffnungen auf neue Filmverträge: So sagt sich Hendrik, der von Dora Martin nichts weiß. In seinem Innern aber begeben sich die originellsten Dinge.

      Die Bindung an Juliette, das grausame Naturkind – sie ist mehr als nur sexuelle Angelegenheit, sondern kompliziert und geheimnisvoll – Hendrik legt Wert auf diesen interessanten Umstand. Manchmal glaubt er auch, daß seine Beziehung zu Barbara – Barbara, die er seinen guten Engel genannt hat – durchaus nicht abgeschlossen und zu Ende sei, sondern noch Wunder, Rätsel und Überraschungen bringen könne. Wenn er vor sich selbst die bedeutenden Faktoren seines Innenlebens Revue passieren läßt, vergißt er nie, Barbara – zu der er in Wahrheit den Kontakt mehr und mehr verliert – mit zu nennen.

      Die wichtigste Nummer auf dieser Liste seiner außerordentlichen inneren Vorgänge bleibt jedoch die revolutionäre Gesinnung. Auf diese Rarität und Kostbarkeit, die ihn so vorteilhaft von den übrigen »Prominenten« des Berliner Theaterlebens unterscheidet, möchte er um keinen Preis verzichten. Deshalb pflegt er, eifrig und geschickt, die Freundschaft mit Otto Ulrichs, der seine Stellung am Hamburger Künstlertheater aufgegeben hat und im Norden Berlins ein politisches Kabarett leitet.

      »Jetzt müssen alle unsere Kräfte der politischen Arbeit zur Verfügung gestellt werden«, erklärt Otto Ulrichs. »Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Der Tag der Entscheidung ist nahe.«

      In seinem Kabarett, welches »Der Sturmvogel« heißt und durch die Schärfe wie durch die Qualität seiner Darbietungen Aufsehen nicht nur in den Proletariervierteln erregt, produzieren sich junge Arbeiter neben berühmten Schriftstellern und Schauspielern.

      Hendrik glaubt es sich leisten zu können, in eigener Person auf der engen Bühne des »Sturmvogels« zu erscheinen. Anläßlich einer Feier, die Ulrichs zu Ehren eines Besuches von russischen Autoren veranstaltet, wird dem Publikum als besondere Attraktion der berühmte Höfgen vom Staatstheater angekündigt. Ehe Ulrichs aber ausreden kann, springt Höfgen, der seinen schlichtesten grauen Anzug angelegt hat und übrigens nicht im eigenen Mercedeswagen, sondern im Taxi vorgefahren ist, elastisch hinter der Kulisse hervor. »Nichts von Berühmtheit, nichts von Staatstheater!« ruft er mit der metallisch leuchtenden Stimme und reckt mit schöner Geste die Arme. »Ich bin euer Genosse Höfgen!« Ihm antwortet Jubel. Am nächsten Tag erklärt der streng marxistische Kritiker Doktor Erding im »Neuen Börsenblatt«, der Schauspieler Höfgen habe sich die Herzen der Berliner Arbeiterschaft mit einem Schlag erobert.

      So bewegende Erlebnisse in den proletarischen Außenbezirken beschwichtigen sein Gewissen, das sonst dagegen rebellieren könnte, daß man im Westen nur mondäne Albernheiten inszeniert und spielt. Man gehört doch zur Avantgarde: nicht nur das eigene Bewußtsein sagt es einem; vielmehr bestätigen es auch die Literaten, die es wissen müssen – zum Beispiel Erding – und die Angriffe, mit denen so lächerliche Figuren wie Cäsar von Muck einen bedenken. Man gehört doch zur geistigen