Klaus Mann - Das literarische Werk. Klaus Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940884
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argen Geheimnisse, ach, und der Schmerz über sie lähmt seine Glieder und läßt seine Miene versteinern zur Maske der Trostlosigkeit.

      Nach der »Faust«-Premiere, die mit Ovationen endet, verschließt sich der Schauspieler Höfgen in seine Garderobe: er will niemanden sehen. Eine Besucherin aber wagt der kleine Böck nicht abzuweisen. Es kommt selten vor, daß Dora Martin sich Vorstellungen ansieht, in denen sie selbst nicht beschäftigt ist. Ihre Anwesenheit heute abend hat Aufsehen gemacht. Der kleine Böck verneigt sich tief vor ihr und öffnet die Tür zum Heiligtum: zu Hendrik Höfgens Garderobe.

      Beide sehen überanstrengt aus, sowohl Höfgen als auch seine Kollegin und Konkurrentin: Er ist mitgenommen und erschöpft von den Ekstasen des Spiels, die hinter ihm liegen; sie von Sorgen, die ihm unbekannt sind.

      »Es war gut«, sagt die Martin leise und sachlich; sie hat sich sofort auf einen Stuhl gesetzt, ehe er ihn ihr noch anbieten konnte. Auf dem schmalen Sessel kauert sie sich zusammen, ihr Gesicht, mit der hohen Stirn, den weiten, kindlich sinnenden Augen, steckt tief im Kragen des braunen Pelzes. »Es war gut, Hendrik. Ich wußte, daß Sie das können. Der Mephisto ist Ihre große Rolle.«

      Höfgen, der am Schminktisch sitzend ihr den Rücken wendet, lächelt ihr durch den Spiegel zu. »Sie sagen das nicht ohne Bosheit, Dora Martin.«

      Sie erwidert, immer noch mit dem ruhigen, sachlichen Ton: »Sie irren sich, Hendrik. Ich nehme es niemandem übel, daß er ist, wie er ist.«

      Nun wendet Hendrik ihr sein Gesicht zu, von dem er die Teufelsbrauen und die Farbenpracht auf den Lidern entfernt hat. »Danke, daß Sie heute abend gekommen sind«, sagt er weich und läßt die Augen schimmern.

      Aber sie winkt ab, fast verächtlich, als wolle sie sagen: Lassen wir doch nun diese Scherze! – Er scheint ihre Geste zu übersehen und erkundigt sich zärtlich: »Was sind Ihre nächsten Pläne, Dora Martin?«

      »Ich habe Englisch gelernt«, antwortet sie.

      Er macht ein erstauntes Gesicht. »Englisch? Wieso das? Warum gerade Englisch?«

      »Weil ich in Amerika Theater spielen werde«, sagt Dora Martin, ohne den ruhigen, prüfenden Blick von ihm zu wenden.

      Da er immer noch den Verständnislosen spielt und wissen will, wieso und warum gerade in Amerika, spricht sie mit einer gewissen Ungeduld: »Weil hier Schluß ist, mein Lieber. Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«

      Da ereifert er sich. »Aber was reden Sie, Dora Martin! Für Sie wird sich doch nichts verändern! Ihre Position ist doch unerschütterlich! Sie werden doch geliebt – wirklich geliebt von so vielen Tausenden! Keiner von uns – Sie wissen es doch – keiner von uns empfängt so viel Liebe wie Sie!«

      Hier wird ihr Lächeln so traurig und höhnisch, daß er verstummt. »Die Liebe von vielen Tausenden!« sagt sie, beinah tonlos vor Verachtung. Dann zuckt sie die Achseln. Und, nach einem Schweigen, an Hendrik vorbei, ins Leere: »Man wird andere Lieblinge finden.«

      Er schwatzt aufgeregt weiter. »Aber die Theater machen doch Geschäfte! Das Theater wird die Leute immer interessieren, was sonst auch in Deutschland geschieht.«

      »Was sonst auch in Deutschland geschieht«, wiederholt Dora Martin leise und steht plötzlich auf. »Ja, dann wünsche ich Ihnen also alles Gute, Hendrik«, sagt sie schnell. »Man wird sich lange nicht sehen. Ich reise schon dieser Tage.«

      »Schon dieser Tage?« erkundigt er sich verwirrt; und sie erwidert, den dunklen Blick in die Ferne gerichtet: »Es hat keinen Sinn, noch zu warten. Ich habe hier nichts mehr zu suchen.« Nach einer Pause fügt sie hinzu: »Aber Ihnen wird es schon gut gehen, Hendrik Höfgen – was sonst auch in Deutschland geschieht.«

      Ihr Gesicht unter der rötlichen Fülle des Haares – ein etwas zu großes Gesicht für den schmalen und kleinen Körper – hat Züge von Stolz und Gram, während sie langsam auf die Tür zugeht und Hendrik Höfgens Garderobe verläßt.

      7

      Der Pakt mit dem Teufel

      Wehe, der Himmel über diesem Lande ist finster geworden. Gott hat sein Antlitz weggewendet von diesem Lande, ein Strom von Blut und Tränen ergießt sich durch die Straßen aller seiner Städte.

      Wehe, dieses Land ist beschmutzt, und niemand weiß, wann es wieder rein werden darf – durch welche Buße und durch welch gewaltigen Beitrag zum Glück der Menschheit wird es sich entsühnen können von so riesiger Schande? Mit dem Blut und den Tränen spritzt der Dreck von allen Straßen aller seiner Städte. Was schön gewesen ist, wurde besudelt, was wahr gewesen ist, wurde niedergeschrien von der Lüge.

      Die dreckige Lüge maßt sich die Macht an in diesem Lande. Sie brüllt in den Versammlungssälen, aus den Lautsprechern, aus den Spalten der Zeitungen, von der Filmleinwand. Sie reißt das Maul auf, und aus ihrem Rachen kommt ein Gestank wie von Eiter und Pestilenz: der vertreibt viele Menschen aus diesem Lande, wenn sie aber gezwungen sind zu bleiben, dann ist das Land ein Gefängnis für sie geworden – ein Kerker, in dem es stinkt.

      Wehe, die apokalyptischen Reiter sind unterwegs, hier haben sie sich niedergelassen und aufgerichtet ein gräßliches Regiment. Von hier aus wollen sie die Welt erobern: denn dahin geht ihre Absicht. Sie wollen herrschen über die Länder und über die Meere auch. Überall soll ihre Mißgestalt verehrt und angebetet werden. Ihre Häßlichkeit soll bewundert sein als die neue Schönheit. Wo man heute noch über sie lacht, soll man morgen vor ihnen auf dem Bauche liegen. Sie sind entschlossen, die Welt anzufallen mit ihrem Krieg, um sie dann demütigen und verderben zu können – so wie sie heute schon das Land, das sie beherrschen, demütigen und verderben: unser Vaterland, über dem der Himmel finster geworden ist und von dem Gott sein Antlitz zürnend weggewendet hat. Es ist Nacht in unserem Vaterlande. Die schlechten Herren reisen durch seine Gaue – in großen Automobilen, in Flugzeugen oder in Extrazügen. Sie reisen eifrig umher. Auf allen Marktplätzen plappern sie ihren Schwindel. An jedem Orte, wo sie oder ihre Helfer erscheinen, erlischt das Licht der Vernunft, und es wird finster.

      Der Schauspieler Hendrik Höfgen befand sich in Spanien, als, dank den Intrigen im Palais des ehrwürdigen Reichspräsidenten und Generalfeldmarschalls, jener Mann mit der bellenden Stimme, den Hans Miklas und mit ihm eine große Anzahl unwissender und verzweifelter Menschen ihren »Führer« nannten, Reichskanzler wurde. Der Schauspieler Hendrik Höfgen spielte den eleganten Hochstapler in einem Detektivfilm, zu dem die Außenaufnahmen in der Nähe von Madrid gedreht wurden. Nach einem anstrengenden Tage kam er abends müde ins Hotel zurück, kaufte sich beim Concierge Zeitungen und erschrak. Wie – der großsprecherische Geselle, über den man sich so häufig lustig gemacht hatte im Kreise geistvoller und fortschrittlich gesinnter Genossen – er sollte nun plötzlich der mächtigste Mann im Staate sein?! ›Das ist ja scheußlich‹, dachte der Schauspieler Höfgen. ›Eine scheußliche Überraschung! Und ich war fest davon überzeugt gewesen, diese Nazis brauchte man nicht ernst zu nehmen! So ein Reinfall!‹

      Er stand in seinem schönen, beigefarbenen Frühlingsanzug in der Halle des Hotel Ritz, wo ein internationales Publikum die unheilschwangeren deutschen Vorkommnisse und die Reaktion der Börse auf sie besprach. Dem armen Hendrik wurde es heiß und kalt, wenn er bedachte, was ihm nun bevorstehen mochte. Zahlreiche Personen, denen er immer nur Böses angetan, würden jetzt vielleicht die Möglichkeit haben, sich an ihm zu rächen. Cäsar von Muck zum Beispiel: Ach, hätte er sich doch nur ein wenig besser mit dem Blut-und-Boden-Dichter gestellt, anstatt alle seine Stücke abzulehnen! Was für unverzeihliche Fehler hatte man gemacht – nun begriff man es, und es war zu spät. Es war zu spät, man hatte bei den Nazis lauter unversöhnliche Feinde. Sogar an den kleinen Hans Miklas mußte der erschütterte Hendrik denken – was hätte er nun drum gegeben, jenen unseligen Zwischenfall im Hamburger Künstlertheater ungeschehen machen zu können! Welche Bagatelle war denn damals der Anlaß gewesen für einen Zank, der sich nachträglich als so beklagenswert herausstellte? Eine Aktrice namens Lotte Lindenthal: sehr wohl möglich, daß selbst aus dieser plötzlich eine Person geworden war, die im entscheidenden Grade nützen oder schaden konnte …

      Mit wankenden Knien betrat Hendrik den Lift. Eine Verabredung, die er für den Abend mit einigen