Übrigens gingen die Ereignisse schnell. Hendrik drängte: die Hochzeit sollte noch im Sommer stattfinden. Nicoletta war es, die seinen Wunsch unterstützte. »Wenn ihr schon heiraten müßt, meine Lieben«, sprach sie – und tat, als sollte hier etwas geschehen, wovon sie auf das dringendste abgeraten, worein sie sich aber nun, da es unvermeidlich schien, mit Vernunft und Würde schickte – »wenn es denn einmal sein muß«, sagte sie, sorgfältig akzentuierend, »dann lieber gleich und sofort. Eine lange Verlobungszeit ist lächerlich.«
Als Hochzeitstag wurde ein Datum Mitte Juli festgelegt. Barbara war nach Hause gereist: es gab viel zu erledigen und vorzubereiten. Nicoletta und Hendrik inzwischen gastierten mit einer Komödie, die nur zwei Rollen hatte, in den Badeorten an der Ostsee. Barbara mußte zahlreiche und kostspielige Ferngespräche mit Hendrik führen, bis sie es erreichte, daß er ihr die Papiere schickte, die für das Standesamt unentbehrlich waren. Zwei Tage vor dem Hochzeitstermin traf Nicoletta ein – eine auffallende Erscheinung für die süddeutsche kleine Universitätsstadt, wo die Bruckners wohnten. Einen Tag später kam Hendrik, der noch in Hamburg Station gemacht hatte, um seinen neuen Frack abzuholen. Das erste, was er Barbara auf dem Bahnsteig erzählte, war, daß der Frack blendend schön, aber leider total unbezahlt sei. Er lachte viel und nervös, war braungebrannt und trug einen sehr hellen, etwas zu engen Sommeranzug mit rosa Hemd und einem weichen, silbergrauen Filzhut. Sein Lachen wurde immer krampfhafter, je näher man der Villa Bruckners kam. Barbara glaubte zu merken, daß Hendrik sich davor fürchtete, ihren Vater kennenzulernen.
Der Geheimrat erwartete das junge Paar vor der Tür seines Hauses, im Garten. Er begrüßte Hendrik mit einer Neigung des Oberkörpers, die so tief und feierlich war, daß man vermuten mußte, sie sei ironisch gemeint. Jedoch lächelte er nicht; sein Gesicht blieb ernst. Das schmale Haupt war von einer Feinheit und Empfindlichkeit, die fast erschreckend wirkten. Die gefurchte Stirn, die lange, zart gebogene Nase, die Wangen waren wie gearbeitet aus einem kostbaren, gelblich nachgedunkelten Elfenbein. Der Abstand zwischen Nase und Mund war groß, grauer Schnurrbart bedeckte ihn. Vielleicht war es eben diese unverhältnismäßig lange Partie zwischen Oberlippe und Nasenansatz, die das Gesicht verzeichnet, irgendwie verzerrt und jenen Bildern ähnlich erscheinen ließ, die uns gewisse präparierte Spiegel oder die Darstellungen primitiver Maler von Männergesichtern geben. Auffallend langgezogen war auch das Kinn, und auch auf ihm gab es Bart. Zunächst gewann man den Eindruck, daß der Geheimrat einen Spitzbart trage; in Wahrheit reichte die graue Behaarung kaum über das Kinn hinaus. Die Spitzbart-Wirkung kam von der außerordentlichen Länge des Kinnes.
In diesem Antlitz, dem die zarte Formung, der Geist und das Alter jene Vornehmheit verliehen, die einschüchtert und zugleich zum Mitleid rührt, überraschten die Augen: sie hatten das tiefe, sanfte, ins Schwärzliche spielende Dunkelblau, das Hendrik so gut aus Barbaras Augen kannte. Freilich waren über dem freundlich versonnenen Blick des Vaters die Lider schwer und meistens gesenkt, auch war sein Schauen verschleiert; während die Tochter klar und offen um sich sah.
»Mein lieber Herr Höfgen«, sagte der Geheimrat, »ich bin froh, Sie kennenzulernen. Lassen Sie mich hoffen, daß Sie eine gute Reise gehabt haben.«
Seine Aussprache war bemerkenswert deutlich, ohne dadurch an die dämonische Präzision zu erinnern, in der Nicoletta sich übte. Mit einer liebreichen Sorgfalt bildete der Geheimrat die Worte zu Ende, als wollte seine Gerechtigkeit keine Silbe vernachlässigen oder zu kurz kommen lassen: noch die unbedeutendsten Endsilben, die meist unter den Tisch zu fallen pflegen, erfuhren hier die genaueste und schonendste Behandlung.
Hendrik war recht verwirrt. Ehe er sich zu einer feierlichen Miene entschloß, lachte er noch ein wenig, sinnlos und auf jene geschüttelte Art, die er etwa bei der Begrüßung der Dora Martin im H.K. gehabt hatte. Während Barbara beunruhigt auf ihn schaute, schien dem Geheimrat so wunderliches Betragen nicht weiter aufzufallen. Er blieb tadellos korrekt, dabei gütig. Mit freundlichem Zeremoniell bat er die beiden jungen Leute ins Haus. Zu Barbara, die ihm den Vortritt lassen wollte, sagte er: »Gehe voraus, mein Kind, und zeige deinem Freund, wo er seinen hübschen Hut ablegen kann.«
Auf der Diele herrschte ein kühles Halbdunkel. Respektvoll atmete Hendrik den Geruch des Raumes: der Duft von Blumen, die auf den Tischen und auf dem Kaminsims verteilt standen, vermischte sich mit jenem würdevollen und ernsthaften Aroma, das von Büchern kommt. Die Bibliothek füllte alle Wände bis hinauf zur Decke.
Hendrik wurde durch mehrere Zimmer geleitet. Er plauderte krampfhaft, um zu bezeigen, daß er von der Stattlichkeit der Räume ganz und gar nicht beeindruckt war. Übrigens sah er wenig; nur zufällige Einzelheiten fielen ihm auf: ein großer Hund, der beängstigend wirkte, sich knurrend erhob, von Barbara gestreichelt wurde und sich würdig-wiegenden Schritts entfernte; ein Porträt der verstorbenen Mutter, freundlich blickend unter einer altertümlich hohen Frisur; eine bejahrte Kammerzofe oder Haushälterin – klein, gutmütig und geschwätzig in einer merkwürdig langen, steif gestärkten Schürze; sie machte einen Knicks vor dem Bräutigam ihrer jungen Herrin, schüttelte ihm dann lange und herzlich die Hand; woraufhin sie sofort ein ausführliches Gespräch mit Barbara über häusliche Dinge begann. Hendrik war erstaunt darüber, mit welchen Details der Wirtschaft Barbara sich beschäftigte, wie bewandert sie in den Dingen der Küche und des Gartens war. Übrigens fand er es wunderlich, daß sie von der alten Dienerin zwar »gnädiges Fräulein«, aber »du« genannt wurde.
In diesen herrschaftlichen Stuben, wo es schöne Teppiche, dunkle Bilder, Bronzen, große tickende Uhren und viel Samtbezüge gab, war Barbara also zu Hause; hier hatte sie ihre Jugend verbracht. In diesen Büchern hatte sie gelesen; in diesem Garten hatte sie ihre Freunde empfangen. Zärtlich und feierlich bewacht von der klugen Liebe eines solchen Vaters war ihre Kindheit, rein und voller Spiele, deren geheime Regeln nur sie selber wußte – waren ihre Mädchenjahre hingegangen. Neben einer Gerührtheit, die fast Ehrfurcht war, empfand Hendrik, ohne es sich noch eingestehen zu wollen, etwas anderes: Neid. Mit quälender Peinlichkeit kam ihm der Gedanke, daß er in diesen Räumen und bei diesem Vater seine Mutter Bella und seine Schwester Josy morgen würde einführen müssen. Wie leidvoll schämte er sich, jetzt schon, ihrer munteren Kleinbürgerlichkeit. Ein Glück noch, daß wenigstens Vater Köbes am Kommen verhindert war …
Man speiste auf der Terrasse. Hendrik pries die Schönheit des Gartens, dessen Beete, Baumgruppen und Wege sich als angenehme Aussicht boten. Der Geheimrat wies auf eine Jünglingsstatue – einen Hermes, der seine anmutsvolle Magerkeit, seine nach oben strebende, flugbereite Gebärde zwischen dem lockigen Laub der Birken zeigte. Dieses artige Kunstwerk schien den besonderen Stolz des Hausherrn auszumachen. »Ja, ja, er ist hübsch, mein Hermes«, sagte er, und nun hatte sein Lächeln etwas wohlig Schmunzelndes. »Ich bin jeden Tag aufs neue froh darüber, daß ich ihn besitze und daß er in so reizender Haltung zwischen meinen Birken steht.« – Gewiß war er auch froh darüber, daß es so gute Weine und Getränke gab; er bediente sich, maßvoll aber reichlich, mit allem und lobte die Qualität des Gebotenen. »Himbeeren«, konstatierte er wohlgefällig, als man zum Nachtisch kam. »Das ist recht. Das entspricht der Jahreszeit und verbreitet einen schönen Geruch.« – Die Stimmung, die er um sich verbreitete, war aus Feierlichkeit und Gemütlichkeit, aus unzugänglicher Kühle und Bonhomie sonderbar gemischt. Der Schwiegersohn schien ihm nicht ganz übel zu gefallen. Ihm