Der Kurier des Kaisers. Fedor von Zobeltitz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fedor von Zobeltitz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754182109
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zusammengeschmolzen. Die Juaristen erfochten Sieg um Sieg – ihre Guerillatruppen umkreisten bereits in dichten Bogen die Hauptstadt. Aber der Kaiser hielt aus; er wollte nicht wie ein vom Schlachtfelde fliehender Soldat die Waffe aus der Hand werfen – er wollte, sollte es nicht anders sein, inmitten des Volkes sterben, das ihn gerufen und dem er das Beste seines edeln Herzens geopfert hatte. Die Hauptmacht der Kaiserlichen stand zur Zeit unsrer Erzählung unter den Generalen Marquez, Miramon und Mejia bei Queretaro vereinigt, und hierher gedachte auch der Anfang des Jahres 1867 noch in der Hauptstadt weilende Maximilian aufzubrechen, um den Oberbefehl über die Armee selbst in die Hand zu nehmen. – – –

      Der Nebel, der aus den Thälern quoll und jeden Fernblick unmöglich machte, schien sich langsam heben zu wollen. Die Sonne mußte aufgegangen sein, denn ein rötlicher Schein färbte den weißen Dunst purpurn, und dann und wann blitzte es in den brauenden Massen wie ein aus weiter Ferne herüberzuckender goldiger Strahl auf.

      Wohanna hatte sich erhoben, um die Decken zusammen zu legen, denn man wollte es mit einem vorsichtigen Abstieg 10 versuchen, als er in seiner Beschäftigung plötzlich innehielt und lauschend den Kopf erhob.

      »Hören Sie, Señor?« sagte er, »war das eine Menschenstimme?!«

      Ein Gebrüll antwortete, ein gewaltiger Laut, wie er nur aus der Brust eines riesigen Tieres quellen konnte, und zugleich gellte ein Hilfeschrei durch den Nebel.

      Wohanna sprang in die Höhle zurück.

      »Die Büchse, Señor!«

      Die Nebel flatterten empor und verdünnten sich zu durchsichtigen Schleiern; mit siegreicher Gewalt brach sich die Sonne Bahn.

      Die nächste Umgebung war nun bequem zu überschauen. Im Süden, sich himmelhoch reckend, die Schneepyramide des Vulkans mit seinem Zwillingsberge, der Sierra Negra, und nach Nordosten zu ein kraterartiges Thal, von zackiger Felsbildung eingefaßt, ein wahrhaftes Meer von Klippen und Steinsplittern. Rings um diesen Krater schlängelte sich der Weg entlang, hier und da von Schlammorästen und erkalteten Lavaströmen durchbrochen und sich tiefer abwärts auf einem gelbbraunen Wiesenplateau verlierend.

      Vielleicht hundert Schritt von der Höhle entfernt, in welcher die Reisenden genächtigt hatten, wälzte sich eine dunkle Masse am Boden. Der Nebel hatte sich so gelichtet, daß in nächster Nähe jeder Gegenstand deutlich erkennbar war. So sah Berger denn auch zu seinem Entsetzen, daß die dunkle Masse am Wegrand ein ungeheurer Bär war, wie es schien ein Grisly, jene Bärenart, die dem ausgestorbenen Höhlenbären am nächsten steht und an Größe und Stärke den sogenannten braunen Bär weit überragt. Das Tier mußte getroffen worden sein, wenigstens ließen die Zuckungen, in denen es sich auf dem steinigen Boden wälzte, auf den Todeskampf schließen. Aber es hatte eine Gefährtin, die seinen Tod rächen wollte. Platt an die Felswand gedrückt sah Berger einen jungen Indianer, ein langes 11 Messer in der Hand, die Augen weit und starr geöffnet und den Blick auf den zweiten Feind gerichtet. Es war dies ein etwas kleinerer Bär als der bereits erlegte, wahrscheinlich das Bärenweibchen, das dem Gefährten zu einem Raubzuge in die tiefer gelegenen Partien der Sierra gefolgt war. Es mochte den Feind schon erkannt haben, denn es hatte sich drohend auf den Hintertatzen aufgerichtet und brüllte so gewaltig, daß es wie der Donnerton eines Nebelhorns klang.

      Berger hatte den Arm Wohannas gepackt.

      »Wohanna,« stieß er hervor, »wir müssen dem Unglücklichen Hilfe bringen!«

      Und er legte die Büchse in Anschlag.

      Doch eine Handbewegung des Indianers hieß ihn, die Waffe wieder sinken zu lassen.

      »Nicht so, Señor,« antwortete Wohanna hastig, »helfen Sie mir den linken Arm mit der Wollendecke umwickeln und geben Sie mir mein Lasso! Dann bleiben Sie dicht hinter mir und reichen Sie mir auf den ersten Anruf mein Messer!«

      Der junge Indianer hatte inzwischen mit gellem Jubelruf die unerwartete Hilfe begrüßt und stürzte den beiden entgegen. Das aber reizte die Bärin zu grimmiger Wut. Weithin scholl ihr Brüllton; ihre Augen glühten, und in dem halboffenen Rachen, dem dampfender Odem entströmte, sah man die blutrote Zunge.

      Wohanna wartete das Nahen des Tieres ruhig ab, den linken, umwickelten Arm vorgestreckt, in der rechten Hand die Lassoschlinge. Und nun sauste das Seil durch die Luft, so geschickt geschleudert, daß es der Bestie wie ein Kragen um den Hals fiel. Der scharfe Ruck veranlaßte, daß die Bärin auf alle Viere vornüberfiel, und das Einschneiden des Lassos, daß sie den Rachen unter Tönen furchtbarer Wut noch weiter aufriß. Jetzt stürzte sich Wohanna auf sie und schob ihr den linken Arm bis zum Ellenbogen in das gewaltige Maul, so daß sich ihre Zähne in dem dicken Wollenstoff der Decke verbissen. Die 12 ganze Kraft der Bestie beruhte nur noch in der Schärfe der Pranken. Aber schon hatte Berger dem Indianer das Messer gereicht und für alle Fälle selber die Büchse erhoben. Wohanna stieß die Klinge – es war ein mehr als handlanges sogenanntes Bowiemesser – der Bärin in die Kehle – ein zischender schwarzer Blutstrom sprang ihm entgegen. Im selben Augenblick hatte sich auch der junge Indianer von rückwärts auf die Bestie geworfen, und sein Messer bohrte sich zwischen den Wirbelknochen tief in ihr Genick. Ein letzter, rasch ersterbender Brüllton, ein Röcheln, Gurgeln und Schnaufen – und das Untier streckte sich, nur wenige Schritt weit von dem Gefährten seiner Tage.

      Wohanna erhob sich und wischte das blutige Messer ab. Sein Blick ruhte forschend auf dem jungen Indio.

      »Du bist ein Pama?« fragte er ihn in einem für Berger unverständlichen Idiom.

      Der andre neigte sich tief, indem er dabei seine Handflächen Wohanna zukehrte.

      »Häuptling, du sagst es!«

      »Kennst du mich wieder?«

      »Keiner von uns wird je den Fliegenden Pfeil vergessen, und auch jene, die damals am lautesten schrien, als der Häuptling in die Verbannung zog, sehnen ihn heute zurück.«

      Ein wildes Lächeln spielte um Wohannas Mund.

      »Wie heißt du, Freund?«

      »Ich bin Iwauha, Iwonangas Sohn.«

      »Und was thust du hier?«

      Der andre stockte – und plötzlich warf er sich zu Füßen Wohannas nieder.

      »Häuptling, vergieb,« stöhnte er. »Ich wußte nicht, daß es deine Pferde waren!«

      »Ah – also du warst der Dieb?! Seit wann stehlen meine Pamas wie das spanische Volk in den Städten?«

      »Häuptling, man hat mir gesagt, das sei kein Raub, denn das Heer bedürfe der Pferde.«

      13 »Welches Heer, du Thor?«

      »Das der Franzosen. Es kommt von Mexiko und will sich in Veracruz in die Heimat jenseit des Meeres einschiffen. Und auf dem Wege von Puebla nach San Andrea ist eine Krankheit unter den Pferden ausgebrochen. Viele sind gefallen, und da hat der Kommandierende befohlen, neue Pferde an Stelle der toten zu beschaffen.«

      »Zu requirieren, so nennt man es, Iwauha – ich kenne die Gebräuche der Armeen auch, aber man bezahlt die Requisitionen mit barem Gelde. Oder hat Marschall Bazaine es anders befohlen?«

      Der junge Pama zuckte mit den Schultern.

      »Ich hatte in San Andrea zu thun, Häuptling,« antwortete er; »der Kaufmann Veroso wollte mit uns über Monatslieferungen von Salpeter verhandeln – und da sahen mich die Franzosen und fragten bei mir an, ob ich nichts von tüchtigen Pferden wisse, die in der Nähe zu beschaffen seien. Ich wußte nichts, aber ein andrer wollte erfahren haben, daß ein Zug von Reisenden auf dem Wege über die Sierra sei – mit Pferden und Mauleseln – und da bot man mir fünfzig Pesetos, wenn ich ein Dutzend Franzosen zu führen bereit sei – und da –«

      Der Indianer stockte von neuem, aber Wohanna half ihm, den Satz zu beenden.

      »Und da folgtest du unsern Spuren,« sagte er mit spöttischer Betonung, »denn die fünfzig Pesetos lockten dich . . . Es wäre vielleicht besser gewesen, Iwauha, ich hätte dich den Tatzen des Bärenweibchens überlassen. Trolle dich heim und erzähle in Iquilisco, daß du Wohanna getroffen