»Ich glaube nicht,« sagte er, »daß du je etwas von dem ›Ring des Polykrates‹ gehört hast, Wohanna. Es schadet auch nichts; ich verzichte sogar darauf, ihn dir zu deklamieren – aber ich sage dir eins: unsre Gäule waren der Ring des Polykrates – wir haben sie dem Neide der Götter geopfert . . . Und nun laß uns frühstücken!«
5 »Ich hätte nichts dagegen, Señor – aber mit dem Frühstücken ist es eine eigne Sache. Die Halunken haben nämlich auch unsern Reisesack mitgehen lassen!«
»Heiliges Donner–«
Fritz verschluckte den Fluch und sprudelte dafür eine ganze Reihe nicht sehr höflicher Bezeichnungen für die Diebe über die Lippen. Es war zu toll! Der Reisesack war im Diligencias-Hotel zu Orizaba fürsorglich gefüllt worden. Da hatte nichts gefehlt: weder Thee noch Kaffee, noch Zucker, noch Brot, noch allerhand treffliche Konserven, selbst eine Schachtel mit Cigaretten war dabei gewesen. Und alles, alles hatten die Gauner gestohlen! Fritz hob beide Fäuste empor und drohte in den Nebel hinein.
»O ihr Gelichter! Ihr Halunken!«
Und dann lachte er abermals herzlich auf, wie belustigt über seinen aufkochenden Grimm.
»Holen wir uns die Decken aus der Höhle,« sagte er, bei allem Ungemach plötzlich wieder heiter gestimmt, »und setzen wir uns mitten in den Nebelsee. Ich möchte wenigstens zuschauen, wie die Sonne die weißen Dunstwolken vertreibt.«
Wohanna hatte bereits die Woylachs herbeigeholt und breitete sie über einen bankartigen Felsstein aus.
»Der Señor hat wenig Glück bei seinem Eintritt in das fremde Land,« meinte er, sich zu Füßen von Fritz niederkauernd. »Das wußte ich schon in Veracruz. Als Sie im Hafen aus Ihrem Boot an das Land stiegen, stolperten Sie, und Sie wären gefallen, wenn ich Sie nicht aufgefangen hätte. Und da wußte ich auch, daß Ihnen ein Ungemach bevorstand.«
»Ah bah – du bist abergläubisch, Wohanna! Weißt du, daß mich das wundert? Deiner Sprache und deinem ganzen Benehmen nach scheinst du eine bessere Schule genossen zu haben als die meisten deiner Stammesgenossen.«
»Ich bin städtisch erzogen worden, Herr; ein Advokat in Tampico hatte sich meiner angenommen, als ich noch ein Kind war.«
6 »Aus Tampico? Du stammst also nicht aus dem Süden, wie die meisten Indios, die in Veracruz Dienst suchen?«
»Nein, Señor, ich bin ein Pama.«
»Aber ein Christ – nicht wahr?«
»Ja, Herr – wie alle Pamas.«
Das Gespräch verstummte ein kurzes Weilchen. Mit Interesse betrachtete der junge Deutsche den hochgewachsenen Indianer, den er bei seiner Ankunft in Veracruz engagiert hatte, wohl wissend, das die in das Innere führende Eisenbahn erst im Entstehen begriffen war und daß man bei den Kriegsunruhen im Lande auch mit der regelmäßigen Postverbindung nicht mehr rechnen konnte. In der That unterschied sich Wohanna durch sein ganzes Sichgeben auf das Vorteilhafteste von dem verlumpten und armen braunen Gesindel, das in den Hafenstädten sein Brot suchte.
»Also ein Pama,« wiederholte Berger. »Hält dein Stamm zu dem Kaiser?«
»Ja, Señor,« entgegnete Wohanna kurz.
»Der arme Kaiser! Im Hotel in Veracruz habe ich ein paar Zeitungen lesen können – ich wußte ja gar nicht, wie sich die Verhältnisse in Mexiko entwickelt hatten! Welch Schurkenstreich von den Franzosen, ihn in höchster Not mit einer erst halb organisierten Armee allein zu lassen! Der Haß gegen Bazaine scheint allgemein zu sein.«
Wohanna nickte.
»So sagt man. Der Marschall der Franzosen liebt nur das Gold, sonst nichts. Er hätte selbst an die Stelle des Kaisers treten mögen, und die Leute in den Städten erzählen, daß die Kaiserin nur nach Europa gereist sei, um bei dem Kriegsherrn des Marschalls, bei dem großen Emperadore Napoleon, Klage über ihn zu erheben.«
Fritz neigte den Kopf. Erst in Veracruz hatte er aus den Blättern erfahren, daß die unglückliche Kaiserin Charlotte infolge der Aufregungen, die sie in Paris durchlebt, unheilbar schwer 7 erkrankt sei – ein neuer und ach, welch furchtbarer Herzenskummer für Maximilian! –
Es waren böse Zeiten für ganz Mexiko, und unheilvoll hob das Trauerjahr 1867 an. Erzherzog Maximilian von Österreich hatte vor drei Jahren, dem Rufe des der wilden Parteikämpfe müde gewordenen mexikanischen Volkes folgend, den Thron des alten Aztekenreiches bestiegen, aber er sollte seiner Krone nicht froh werden. Er war mit einem ganzen Herzen voll idealer Pläne über das Meer gezogen, doch es war ihm nicht gelungen, der Revolution Herr zu werden, die nun schon seit Jahrzehnten das Land durchtobte und die Bevölkerung an den Bettelstab brachte. Die republikanische Partei, an ihrer Spitze der Diktator Benito Juarez, wollte sich nicht den neuen Verhältnissen fügen und bekämpfte das Kaisertum mit erbittertem Fanatismus. Juarez hatte neben verschiedenen tapfern Führern, die aus hoher Begeisterung für die Sache der Republik fochten, auch eine Masse räuberisches Gesindel unter seinen Fahnen vereinigt, und so flammte denn der Aufruhr ärger als je von Grenze zu Grenze, und die Kaiserlichen hatten einen schweren Stand, den Ansturm der Gegner nach der Hauptstadt zu abzuwehren.
Seit Anbeginn des Jahrhunderts wüteten blutige Bürgerkriege in dem alten Aztekenreiche. Nach der Eroberung des Landes durch Ferdinand Cortez saugten spanische Vizekönige die Bevölkerung erbarmungslos aus, bis mit dem Aufstande des Priesters Hidalgo y Castilla im September 1810 die Revolutionen begannen, denen die spanische Herrschaft weichen mußte. 1821 riß General Iturbide die Macht an sich und machte sich unter dem Namen Augustin I. zum ersten Kaiser von Mexiko. Nach seinem Sturze behauptete sich die Republik unter einer ganzen Reihe von Präsidenten, die von zahllosen Gegenpräsidenten bekämpft wurden, so daß das unglückselige Land Ströme von Blut über sich ergießen lassen mußte. In den fünfziger Jahren begann Benito Juarez die politische Aufmerksamkeit zu erregen. Der 8 intelligente Indianer – er stammte aus einer dem Tribus der Zapotecas angehörigen Familie – hatte rasch Karriere gemacht. Laufjunge, Schreiber, Student, Advokat, Friedensrichter, Deputierter, Gouverneur der Provinz Oaxaca, Justizminister und schließlich Vizepräsident der Republik – das war die Staffelleiter des Ruhms, die Juarez in schneller Folge erklomm. Als Präsident Comonfort im Dezember 1857 seinen Widersachern weichen mußte, wurde Juarez an die Spitze des Reichs berufen; da aber auch er die Fremden im Lande nicht vor der Ausbeutung durch ein gewissenloses Beamtentum zu schützen wußte und auch die auswärtigen Staatsgläubiger nicht zu befriedigen willens war, so begann der sogenannte Interventionsfeldzug, und Frankreich, Spanien und England ließen durch ihre Truppen Mexiko besetzen. Die beiden letztgenannten Mächte zogen sich bald wieder zurück, so daß die französische Okkupationsarmee unter den Generalen Forey und Bazaine, demselben Marschall Bazaine, der 1870 die stolze Moselfeste Metz den siegreichen Deutschen übergeben mußte, allein auf dem Schauplatz zurückblieb, und schließlich nach schweren Kämpfen die Hauptstadt eroberte und Juarez in die Flucht trieb. Inzwischen hatten auch die gemäßigten einheimischen Elemente Sehnsucht nach Frieden bekommen. Eine mexikanische Notablenversammlung proklamierte auf Vorschlag Napoleons den Erzherzog Maximilian zum Kaiser; eine allgemeine Volkswahl sanktionierte diesen Beschluß, und so hielt denn Maximilian im Juni 1864 an der Seite seiner schönen und klugen Gattin, der Kaiserin Charlotte, seinen Einzug in das alte Inkareich.
Maximilian hatte sich im Vertrage von Miramar die Hilfe Frankreichs gesichert. Aber Napoleon brach den Vertrag, als er sah, daß sich die Lage der Dinge nicht so zu seinem Vorteil gestaltete, wie er gehofft hatte, und gab dem Marschall Bazaine Befehl, sich mit der Okkupationsarmee zurückzuziehen. Obschon Kaiser Maximilian selbst Bazaine, der beständig gegen ihn zu intriguieren versuchte, nicht ungern scheiden sah, verlor er in den 9 französischen Hilfstruppen doch eine starke Stütze, und da zudem die Finanzverhältnisse des Reichs überaus verzweifelte waren, so wankte der Boden immer mehr unter seinem Thron. In seiner Bedrängnis sandte Maximilian seine Gattin nach Europa, um noch einmal zu versuchen, das Kabinett von Paris und den Papst für die mexikanischen Verhältnisse zu interessieren; aber die schroffe Abweisung Napoleons erschütterte ihre Nerven so stark, daß sich die unglückliche Frau nur noch mühselig nach Rom schleppen konnte, um dort zu den Füßen des Papstes wahnsinnig