Inhaltsverzeichnis
Der Kurier des Kaisers Abenteuer eines jungen Deutschen in Mexiko
Eine Erzählung für die reifere Jugend
von
Fedor von Zobeltitz
Erstes Kapitel.Am Pic von Orizaba.
Zweites Kapitel.Ein Reiterstückchen.
Drittes Kapitel.Im Lager der Kaiserlichen.
Viertes Kapitel.Ein neuer Freiwilliger.
Sechstes Kapitel.Hacienda Panisca.
Siebentes Kapitel.Don Hallstädt.
Zehntes Kapitel.Das Geheimnis Merolas.
Elftes Kapitel.Nachricht aus Queretaro.
Zwölftes Kapitel.Des Dramas Ausgang.
Erstes Kapitel.
Am Pic von Orizaba.
Der Leser lernt den Helden kennen – Trübe Tage in Mexiko. – Was ein Pama unter Requirieren versteht.
»Holla, Wohanna – was giebt's?!« . . .
Der soeben aus dem Schlummer Erwachte richtete sich auf, rieb sich die Augen und schaute umher.
Der Tag begann zu dämmern. Die ersten grauen Schatten fielen in das Innere der Höhle; draußen vor dem Eingang leuchtete es noch heller – eine Schicht Schnee war über Nacht gefallen und im Frühschein glänzten die Krystalle wie Silber.
»Still, Herr,« antwortete eine zweite Stimme. »Mir war's, als hätte ein Pferd gewiehert . . . Bleiben Sie liegen – ich will nachsehen, ob sich einer der Gäule vielleicht losgerissen hat . . .«
2 Der Mann erhob sich. Es war ein Indianer, kein Jüngling mehr, das sah man an dem durchfurchten, braunen Gesicht, doch immer noch eine stattliche Erscheinung, starkgliedrig und von würdevoller Haltung. Sein Antlitz war nicht bemalt, dagegen trug er auf der nackten Brust unter dem offen stehenden Lederhemd ein farbiges Zeichen: einen roten Ring, durch den ein Pfeil ging.
Die Höhle war weit und mochte vulkanischen Ursprungs sein wie die meisten Grottenbildungen an den Hängen des Pics von Orizaba. Riesige Felssteine, zu gigantischen Trümmerhaufen vereint, schieden sie in verschiedene Teile; das Ganze war gewissermaßen ein kleines Labyrinth, in dem man sich nicht allzu leicht zurechtzufinden vermochte.
Der zweite Reisende blieb, in seinen Woylach gehüllt, liegen und stützte den Kopf in die Hand. Er war todmüde. Der Tag vorher hatte eine Reihe schwerer Anstrengungen gebracht – in der That, man mußte sich an das strapaziöse Reisen im Hochlande von Mexiko erst gewöhnen. Und der junge Mann hatte noch dazu eine lange Seefahrt hinter sich, die auch nicht allzu glatt verlaufen, sondern mit allerhand Stürmen und Ungemach verbunden gewesen war.
Daß er kein Sohn des Landes, war selbst in diesem Halbdunkel sofort zu erkennen. Er mochte neunzehn oder zwanzig Jahre alt sein, war blond und hatte ein hübsches, offenes Gesicht mit blitzenden, blauen Augen. Ein erster Bartflaum sproßte auf seiner Oberlippe; sicher hatte noch kein Schermesser diesen jungfräulichen Bart berührt.
Nun warf er die Decke zurück und lauschte. Er trug Reisekleidung von praktischem Zuschnitt: Joppe, Beinkleid und die bis zu den Knien reichenden Gamaschen aus wasserdichtem Lederstoff, und um die Schultern das Poncho, das mexikanische Plaid mit der Schlitzöffnung für den Kopf.
Von jenseit der hochaufgetürmten Felssplitter, die sich wie ein Mauerwall bis tief in die Höhle hineinschoben, drang ein heller Ausruf des Staunens und der Empörung.
3 »Señor!« gellte die Stimme des indianischen Führers, »bei allen Heiligen – unsre Pferde sind fort – sind gestohlen – –«
Der junge Deutsche – denn seine Wiege stand an den Ufern des Rheins, und ganz deutsch klang auch sein Name: Fritz Berger – sprang beflügelten Fußes in den Nebenraum, da wo man die Gäule angepflöckt hatte. Aber die weite Höhlung, in die heller und heller das Licht des erwachenden Tages fiel, war leer; nur die beiden Stricke, die die Stelle der Halftern vertreten hatten, lagen am Boden, den dichtes Geröll bedeckte.
Fritz starrte mit großen, erschreckten Augen seinen Führer an.
»Gestohlen worden?« wiederholte er fragend. »Ich glaube, du irrst, Wohanna. Wie sollten in diese Einöde Diebe kommen?«
Der Indianer lächelte.
»Sie kennen unsre Berge noch nicht, Señor,« erwiderte er, sichtlich bemüht, ein möglichst fehlerfreies Spanisch zu sprechen, »und Sie wissen nicht, in welchen Zeiten wir leben. Freibeuterschwärme durchstreifen zu hunderten das Land, und wenn sie sich auch Soldaten nennen – die meisten von ihnen sind dennoch nichts besseres als Räuber und Mörder! Aber kommen Sie – die Schufte können noch nicht weit sein – vielleicht finden wir ihre Spuren noch . . .«
Sie traten hinaus in das Freie. Der Tag war erwacht, aber die ganze Berglandschaft ringsum lag in dichtem Nebel. Und dieser Nebel braute und kochte aus allen Schluchten auf, als habe der Vulkan tief unter der Erde seine Feuer entzündet und spanne um die schneeigen Gipfel tief häugende Schleier.
»Es ist unmöglich, an eine Verfolgung zu denken,« sagte Berger unmutig. »Wir sind zu Fuß, sind vom Wege abgekommen und haben ein Nebelheim vor uns. Und schließlich: ich glaube noch nicht recht an den Diebstahl. Die Gäule können sich losgerissen haben und können geflüchtet sein.«
4 Wohanna beugte sich und hob irgend etwas vom Erdboden auf.
»Schauen Sie her, Herr,« gab er zurück, »was ist das?«
Es war ein Messer, ein einfaches und billiges Taschenmesser mit dunkler Hornschale.
»Nun – und?« fragte Fritz. »Ein Wanderer kann es verloren haben.«
»Kann es – o ja, Herr,« antwortete Wohanna. »Aber ich habe hundert Zweifel dagegen. In diesen Tagen reisen nicht viele zu ihrem Vergnügen – und zudem: läge das Messer schon lange hier, so würde sich Rost an den Stahl gesetzt haben. Doch sehen Sie selbst, die Klinge ist blank und schneidig, und der Eindruck im Schnee ist frisch. Und erst gegen Morgen ist der Schnee gefallen. Der Dieb hat bei Ihrem Pferde den Halfterstrick durchschnitten, weil es ihm zu beschwerlich war, den Knoten zu lösen. So ist's und nicht anders.«
Fritz nickte mit bekümmerter Miene. Er sah ein, daß der Indianer recht hatte.
»Was nun thun?« fragte er. »Wir können die Schurken nicht einmal verfolgen.«
Wohanna schüttelte den Kopf.
»Es wäre Thorheit,« entgegnete er. »Wir müssen ausharren, bis der Nebel gewichen ist, und es wird nicht lange währen, so hat ihn die Sonne