Wind über der Prärie. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769848
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schon seit Tagen die Veränderung an dem Österreicher aufgefallen, die immer deutlicher zum Vorschein kam. Hardy hob die Schultern. Sein Blick hing starr irgendwo an einem unbestimmten Punkt am vom Wolken verhangenen Abendhimmel.

      „Ich frage mich, weshalb noch keine Indianer versucht haben, uns aufzuhalten.“

      Verständnislos runzelte Hugh die Stirn. „Glauben Sie denn im Ernst, das würden sie tun? Ich meine, was könnten die schon ausrichten?“

      Kritisch blickte Hardy ihn an. „Wir sind bloß etwa siebzig Leute, die meisten davon Frauen und Kinder, gegen einen Stamm von Wilden, der womöglich ein paar hundert geübte Krieger zählt und wir befinden uns in einem Gebiet, das nicht uns, sondern denen gehört! Wir haben kein Recht, uns hier breitzumachen, einfach irgendeine Siedlung zu errichten! Das Land gehört nicht uns! Die Regierung hat es den Indianern zugesprochen!“

      „Hmm“, machte Hugh nachdenklich. „Aber doch nur vorerst gehört es noch ihnen! Wenn die Verhandlungen durch sind, wird das alles anders! Vater meint, wenn wir uns eine Parzelle abstecken, dann...“

      „Dann!“, unterbrach Hardy ihn ungehalten. „Dann hat er sich etwas genommen, was ihm nicht zusteht! Er hat gestohlen! Selbst diese ganzen Soldaten in diesem Fort können uns nicht zu dem machen, was wir von jetzt an nie wieder sein werden – nämlich ehrenhafte Bürger dieses Landes! Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika, die wir von weit hergekommen sind, um ein besseres Leben zu führen! Ist es das, was wir alle wollten? Uns ein Stück Land rauben von diesem Volk, das lange vor uns hier gewesen ist und das jedes Recht besitzt, diese Ebenen bis aufs letzte Blut zu verteidigen?! Sag schon, ist es das, was wir wollten?!“

      Hugh schluckte und senkte den Kopf. Schlagartig begriff er, wovon Hardy Retzner sprach. In dieser Sekunde wurde dem jungen Mann bewusst, dass nicht einmal sein Vater unfehlbar war – und diese Erkenntnis traf ihn hart, härter, als er es im Augenblick ertragen konnte.

      „Von dieser Seite habe ich das Ganze noch nie betrachtet.“

      „Schau“, sagte der österreichische Arzt, sehr viel sanfter als zuvor. „Wir reden immer nur von ‚diesen Indianern‘, als seien sie ein Stück Vieh. Dabei wissen wir noch nicht einmal, wie sie aussehen! Vielleicht erkennen wir sie noch nicht einmal, wenn sie vor uns stehen, aber wir rauben ihnen ihr Land und erwarten dann noch, freundlich von ihnen empfangen zu werden! Hugh, alle hier scheinen zu denken, dass die Indianer nichts weiter sind, als irgendein dummes Volk von ungesitteten, ungezähmten Wilden! Vielleicht sind sie das bis zu einem bestimmten Grad, ich kann es nicht beurteilen, denn ich kenne sie nicht und ich habe mir bisher offengestanden herzlich wenig Mühe gegeben, mich mit ihrer Kulter auseinanderzusetzen. Ich kann nur von dem erzählen, was ich über ihre Plünderungen und Morde in den Zeitungen gelesen habe und das war alles andere als erbauend. Ich lege jedenfalls bestimmt keinen großen Wert darauf, einem von ihnen gegenüberzustehen, aber wenn wir nicht umkehren, wird sich ein Zusammenstoß kaum noch vermeiden lassen!“

      „Vielleicht“, begann Hugh zögernd, „lassen sie uns in Ruhe hier siedeln.“

      „Vielleicht“, gab Hardy resigniert zurück und fuhr fort, das Muli trockenzureiben. „Vielleicht werden sie uns vorerst in Frieden lassen, weil ihre Häuptlinge mit Washington verhandeln wollen, aber selbst, wenn das der Grund sein sollte, traue ich diesem Frieden nicht!“

      Der merkwürdig fragende Blick von Hubert entging ihm nicht. Er stand noch immer regunglos am selben Fleck, hantierte mit dem Lappen herum, den er noch eine Minute zuvor dazu benutzt hatte, um Otto, das andere Muli, zu putzen. Hardy Retzner runzelte die Stirn, während er in den Himmel hinaufstarrte.

      „Ich kann einfach nicht anders. Für mich ist diese ganze Prozedur nicht richtig. Vielleicht kann es nicht aufgehalten werden, vielleicht erkennt Mister Charlie das ganz richtig und eines Tages werden keine Indianer mehr übrig sein – ausgerottet, wie manche Tierart das heute schon ist. Aber hast du dich jemals gefragt, warum es soweit kommt? Wir sind mit ein Grund dafür, nur ein kleiner, aber wir sind einer. Wir drängen uns in dieses Land und womöglich in hundert Jahren oder schon früher wird eine ehrliche, gebildete Generation auf den Bergketten stehen und das Land unter sich betrachten – weit und grün und fruchtbar. Wenn die letzten Spuren ihrer einstigen Bewohner längst mit dem Präriewind davongeweht sind und sie sagen: ‚Schau, das hier waren einst die Jagdgründe des Roten Mannes und sie sind gleichzeitig sein Grab geworden.’ Nun ja, du weißt, ich zweifle ernsthaft, dass dies jemals so passieren wird. Die Menschheit ist zu raffgierig für solcherart Erkenntnisse...“

      Ruckartig wandte er sich ab. Er warf den Stofffetzen zornig neben den Wagen und stapfte davon, hinaus in die nächtliche Prärie und in die Dunkelheit. Seine Worte ließen Hugh mit einer Gänsehaut zurück und dem betäubenden Schlag der Feststellung, dass er dumm und ungebildet war und dass es an ihm ganz alleine lag, seinen Horizont zu erweitern. Nie hatte er mehr Ehrfurcht, Respekt und Anerkennung für einen anderen Menschen empfunden als in dieser Sekunde für Hardy Retzner.

      Sie erreichten Fort Gibson zwei Tage später. Es war quadratisch, aus niedrigen Holzhäusern gebaut, umgeben von einer Mauer aus Baumstämmen und wesentlich kleiner, als sie erwartet hatten. Es stand auf einer kleinen Anhöhe zwischen Mischwald und Prärie, drei Meilen flussaufwärts der Stelle, wo der Arkansas, Grand und Verdigris River ineinander übergingen. Ein einziger Weg führte zwischen den Bäumen hindurch und über die Ebene bis zum Fort hinauf. Die beiden Wachtürme waren besetzt und einer der Soldaten schrie herunter, was sie wollten. Charlie hob seinen Arm und rief etwas zurück. Keine fünf Minuten später öffnete sich das Tor und ein großer, schlanker Mann mit dunklem Vollbart trat energischen Schrittes auf sie zu. Ihm folgten vier Soldaten, jeder mit einem Revolver im Holster um die Hüften. Seine Augen glitten abschätzend über die Gruppe von Siedlern hinweg. Dann wandte er sich dem Mann auf dem Rapphengst zu.

      „Schon wieder welche? Hab ich dir nicht das letzte Mal schon gesagt, dass...“

      „Ja, ja!“, unterbrach Charlie ihn eilig. „Sie kennen meine Ansicht, Captain! Was ist übrigens aus dem vorigen Treck geworden?“

      „Oh, die sind auf die andere Seite des Arkansas gewechselt. Ich weiß nicht, was sie inzwischen machen. Habe nichts mehr von ihnen gehört“, lautete die knappe Antwort. Mit drei, vier großen Schritten trat er auf die Siedler zu. „Nun gut, jetzt sind Sie alle einmal hier!“ Er wartete auf eine Reaktion, doch alle schwiegen gespannt und gleichzeitig ein wenig ängstlich, was nun mit ihnen geschehen würde. „Dies hier ist offiziell noch immer Indianerland, auch wenn keiner sagen kann, wie lange noch! Sie haben deshalb kein Recht, sich darauf niederzulassen! Das Heimstättengesetz gilt hier nicht! Sie betreten dieses Land widerrechtlich! Ich hoffe sehr, Sie sind sich dessen bewusst! Das Problem ist, ich habe strikte Order, jeden davonzujagen, der versuchen sollte, hier einzudringen und jede Art von Ansiedlung sofort zu unterbinden!“

      „Ach, kommen Sie schon!“, ächzte Charlie, die Augen verdrehend. „Sie wissen, das sind nicht die ersten...“

      „Das ist mir vollkommen klar!“, unterbrach der Captain ihn scharf. „Und genau das ist der Punkt! Ich bin mir durchaus der ganzen Entwicklung bewusst, die unter Captain Paynes Leitung stattgefunden hat! Und ich weiß auch, dass niemand abschätzen kann, wieviele solcher Wagentrecks er hierher gebracht hat und ihnen gestattet hat, sich hier niederzulassen. Und ja, es gibt auch Rinderfarmen weiter nördlich, auf dem Gebiet des Indianerterritoriums! Trotzdem gibt es Ihnen nicht das Recht zu bleiben!“

      „Genau das, was ich schon die ganze Zeit sage“, raunte Hardy Retzer mit einem Hauch grimmigen Triumphes.

      „Ich habe keinen von Ihnen und Ihren Leuten jemals gesehen!“, brüllte der Captain jetzt, ihrem Führer einen finsteren Blick zuwerfend. „Bring sie weg und sieh zu, dass sie sich in der Nähe der Grenze zu Arkansas aufhalten!“

      „Jawohl, Sir!“ Charlie grinste zufrieden. „Ich mache, was immer Sie sagen, Captain!“

      Das ausbrechende Freudengeschrei wurde durch eine abrupte Armbewegung des Kavalleriemannes im Keim erstickt. „Es kann ständig zu Indianerüberfällen kommen! Bereiten Sie sich lieber darauf vor und suchen Sie sich einen fähigen Mann aus, dem Sie den Sheriffstern ans Hemd pinnen! Diese Wilden