Wind über der Prärie. Regan Holdridge. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Regan Holdridge
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742769848
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fuhr Friedrich ihn ungehalten an. „Ich hab’ mir dieses Heimstättengesetz unzählige male durchgelesen! Wir haben das Recht auf 160 Acres Land, das sind 64 Hektar! Jedenfalls ich, weil ich ein verheirateter Mann mit Familie bin, aber das will ich gar nicht! Ich möchte lediglich ein kleines Häuschen bauen und eine Kirche errichten, in der ich zu all diesen Menschen predigen kann und auch zu all denjenigen, die noch folgen werden!“

      Kopfschüttelnd wandte Hardy Retzner sich ab. Wenn nicht einmal mehr ein Geistlicher, ein Pfarrer, sich seines Unrechts bewusst war, wie konnten das dann die anderen hier? Wie konnte er ihnen nur begreiflich machen, dass es falsch war, was sie taten, dass sie mit entscheidenden, wenn nicht gar lebensgefährlichen Konsequenzen zu rechnen hatten? Er umrundete den Wagen und lehnte sich auf der anderen Seite gegen das rauhe Holz, dort, wo der Schein des Feuers ihn nicht treffen konnte. Er fühlte sich entsetzlich hilflos und sehr erschöpft. Die Kälte der Nacht kroch in ihm hoch, doch er nahm sie kaum wahr.

      „Glauben Sie wirklich an das, was Sie eben gesagt haben?“, fragte auf einmal Hugh neben ihm. Der junge Mann war ihm unbemerkt gefolgt, verunsichert und durcheinander.

      Hardy schaute ihn nicht an. Ihm war nicht danach, jetzt mit irgendjemandem zu streiten, schon gar nicht mit Hugh.

      „Ja, das meine ich, aber bitte...“

      „Warum?“, unterbrach der junge Mann ihn. „Warum glauben Sie das?“

      „Bei Doktor Stankovski hatte ich genug Gelegenheit entsprechende Artikel zu lesen und die dazugehörige Wahrheit aus dem Mund eines Mannes zu erfahren, der es wissen muss.“ Er hatte seine Stimme gesenkt und Hugh musste sich anstrengen, um ihn verstehen zu können. „Immer weiter werden die Indianer zurückgedrängt, immer weiter, bis es keinen Ort mehr für sie gibt. Dieses riesige, einzigartige Land hat einst ihnen gehört, ihnen ganz allein...bis wir kamen, wir Siedler und Eindringlinge, die es ihnen fortnehmen. Immer mehr davon, immer mehr, aber eines Tages werden sie zurückschlagen. Selbst, wenn wir immer noch mehr von ihnen töten und in Reservate pferchen – eines Tages werden sie zurückschlagen und für ihre Rechte kämpfen. Das ganze Land dieser Vereinigten Staaten gehört ihnen, nicht uns.“ Er seufzte und brach ab. „Was nützt es schon, wenn ich rede? Gar nichts. Die anderen werden auf Mister Charlie hören, weil er Erfahrung hat und dieses Land schon mehrmals ohne größere Zwischenfälle in alle möglichen Richtungen durchquert hat...ein verdammt zäher Bursche. Wer weiß? Vielleicht hat er auch schon vorher Siedlertrecks in den Süden geführt, in dieses Gebiet wo auch wir hin sollen, aber selbst wenn wir unbeschadet bis zu diesem Fort durchkommen, wer sagt, dass wir dort bleiben können? Wer sagt, dass uns die dort stationierten Soldaten nicht gleich wieder davonjagen, weil sie dort sind, um Leute wie uns davon abzuhalten, über das Land herzufallen? Vielleicht kommen wir auch gar nie erst an, weil die Indianer uns zuvor überfallen. Wer weiß das schon?“

      Hugh schluckt. Im Stillen bewunderte er den jungen, strohblonden Arzt mit dem schmalen, eingefallenen Gesicht und dem energischen Auftreten. Er hatte ihn von ihrer ersten Begegnung an bewundert, als er den jungen Matrosen auf dem Schiff versorgt hatte. Schon an diesem Tag hatte Doktor Retzner etwas in ihm auszulösen vermocht, das er bis dahin nicht gekannt hatte. Es war wie eine Art unstillbarer Wunsch, ein Drängen, das ihn irgendwohin führen wollte und er konnte nicht genau sagen, wohin. Ein Wunsch, den er nicht beim Namen nennen konnte, noch nicht.

      „Ich...gehe...das Abendessen ist fertig“, brachte Hugh zerstreut hervor, ehe er sich abwandte und eilig zum Feuer zurückging.

      Die Town of Kansas war laut, schmutzig und seine Hauptstraße mit Saloons und Freudenhäusern gesäumt, die Luise die Schamesröte ins Gesicht trieben und Friedrich blankes Entsetzen verspüren ließen.

      „Lasst uns für diese armen Sünder beten“, sagte er, als sie schließlich den General Store erreichten und faltete die Hände. „Mit der Bitte, dass ihr unchristliches Verhalten ihnen verziehen wird.“

      Hugh schluckte, erwiderte nichts und kletterte eilig vom Kutschbock. Er wollte jetzt nicht beten und schon gar nicht für diese Mädchen und nicht für die Männer, die ihnen Geld dafür bezahlten, damit sie sich an ihnen vergehen durften, denn er war nicht besser, nicht einen Deut besser als sie. Sein Vater hätte auch ihn in sein Gebet einschließen müssen, in seine Bitte um die armen Sünder. Hugh war froh, dass er auf der anderen Seite des Wagens stand und Friedrich nicht mehr anschauen musste. Schnell einkaufen, einpacken und dann nichts wie weiter, dachte er. So schnell wie möglich fort von hier!

      Je weiter ihr Weg sie Richtung Süden führte, desto sandiger und trockener schien der Boden zu werden. Immer mehr Felsen tauchten auf und viele kleine Wälder durchzogen das weite, hügelige Land. In einigen Tälern wuchs üppiges, grünes Gras, an dem sich die Tiere erfreuten und dann gab es Gebiete, in denen die Prärien braun und ausgetrocknet waren. Der Weg war schwierig für die Wagen und die Zugtiere. Sie mussten vorsichtig fahren und hin und wieder ging eine Achse zu Bruch, dann war der Trail für diesen Tag beendet. Charlie schimpfte und fluchte, wenn etwas derartiges vorfiel und einmal ließ er einen Wagen an Ort und Stelle zurück und nahm nur die beiden Pferde mit, um Zeit zu sparen.

      „Ein eigenartiges Land ist das“, bemerkte Julie an einem Abend Ende Juni, als sie ihr Lager mitten in der Prärie, weit entfernt von den nächsten Wäldern und Felsen aufgeschlagen hatten. Die meisten Siedler hatten sich längst zur Ruhe begeben und eine angenehme, fast friedlich scheinende Ruhe lag über dem Platz. Die ersten beiden Wachen hatten begonnen, ihre Runden um die Wagen zu drehen, jeder ein Gewehr geschultert und einige der Lagerfeuer begannen langsam und knisternd herunterzubrennen.

      „Fremd“, erwiderte Hardy Retzner leise und starrte in seinen leeren Zinnbecher. „Fremd und so unendlich weit. Der Himmel scheint hier nirgendwo aufzuhören, nicht einmal am Horizont.“

      „Ja“, flüsterte Julie und starrte hinauf zu den Sternen. Ihr fröstelte, denn die Temperaturen fielen auch jetzt in der Nacht noch recht tief. „Ich möchte wissen, wann wir endlich dieses Flusstal erreichen, wo das Fort steht.“

      „Ich weiß es nicht, Julie-Mädchen“, gab Hardy Retzner offen zu. Er stellte seine Tasse beiseite. „Lassen Sie uns schlafen gehen. Es ist spät und ich bin sicher, dass unser verehrter Führer morgen wieder eine lange, mörderische Strecke für uns aussucht.“

      Julie blickte auf ihre Stiefel. „Wenn wir angekommen sind, brauche ich neue Sohlen.“

      Der junge Österreicher schmunzelte. „Damit wird es nicht getan sein. Da brauchen Sie ganz neue Stiefel!“

      Er wollte aufstehen und sich unter den Wagen zu Friedrich und Hugh legen, denn im Inneren schliefen die Frauen und Nikolaus. Er verabscheute den Platz auf der harten, feuchten Erde, doch es gab keine Alternative, weder für ihn, noch für Hugh oder Friedrich. Da vernahm er eilige Schritte, die sich ihnen näherten.

      „Oh, da kommt Mr. Stromson!“, sagte Julie erstaunt.

      Greetje und Torbjörn Stromson waren ein junges Ehepaar aus Norwegen, beide Anfang zwanzig und hochmotiviert, was ihre Zukunft anbetraf. Sie stammten aus ärmlichen Verhältnissen und wollten diesen entfliehen. So hatten sie sich ein wenig Geld gespart, um mit dem Schiff nach Amerika auswandern zu können. Julie kannte die beiden recht gut, denn sie hatten sich dem Treck schon in New York, zusammen mit ihnen angeschlossen und außerdem hatte Friedrich ihnen das Geld für die Rate an ihren Führer geliehen, weil sie es nicht hatten bezahlen können.

      „Doktor?“, fragte der junge Mann mit den Sommersprossen und den sehr blonden Haaren.

      „Was gibt es?“ Alarmiert sprang Hardy auf die Beine. Niemand fragte umsonst nach ihm.

      „Könnten Sie vielleicht einmal nach meiner Frau sehen?“, raunte Torbjörn leise, um keinen der anderen zu wecken. „Sie hat starke Schmerzen und ich weiß auch nicht...“

      „Ich komme!“, fiel Hardy ihm eilig ins Wort und trat an den Wagen, um lautlos seine Instrumententasche herauszuholen. „Wo ist sie?“

      „Dort hinten! Ich zeige es Ihnen!“ Besorgt rannte der junge Ehemann ihnen voraus. Ganz von selbst schloss sich Julie ihnen an, denn sie war es gewohnt, dem Österreicher immer eine Hilfe zu sein. So oft hatte er sie in der