Kishou IV. Michael Kornas-Danisch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Kornas-Danisch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754909676
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      Straße 147 Nummer 6

      D

      ie Fahrt zurück nach Trital verlief fast wortlos. Undolf schien sehr in sich gekehrt. Es war ihm anzusehen, dass seine Welt aus den Fugen war – und so wie es sich entwickelte, wohl auch bald die aller Breenen, wie er fürchtete. Kishou nahm es kaum.zur Kenntnis. Sie war zu sehr beschäftigt mit der Aufnahme der vielen neuen Eindrücke. Die 147. Straße lag nicht im Zentrum der Stadt, wo sie auf Undolf getroffen war, sondern in einem anderen Viertel. Die Straßen waren hier enger und unspektakulärer. Nur wenige Geschäfte gab es hier, und auch der Fuhrwerksverkehr war deutlich geringer. Undolf stoppte irgendwann. „Wir sind da!“, meinte er nur und kletterte vom Kutschbock.

      Die Häuser waren hier alle zweigeschossig, und unterschieden sich kaum voneinander. Ihre Wohnstatt fand sich gleich im Parterre. Nur einige Stufen benötigte es im Innern des Hauses, um sie zu erreichen. Sie bestand aus einem kleinen Wohnraum, einem noch kleineren Raum mit einer eisernen Feuerstelle, einer Anrichte und zwei Schränke, und auch ein Toleban gab es hier wieder. Die Einrichtung war denkbar einfach, und wies auf keinerlei Gestaltungswillen hin. Ein kleiner, hölzerner Tisch mit zwei ebensolchen Stühlen, und an der hinteren Wand ein Lager mit Kissen und Decken – daneben eine große Truhe – war alles, was den Wohnraum als Solchen erkennen ließ. Ihre Augenbrauen fanden nur kurz einen Grund für einen Moment nach oben zu wandern, als sie in einem der Schränke der kleinen Küche Brot, Obst und allerlei Essbares entdeckte. Man hatte vorgesorgt.

      Auch Kishou hatte vorgesorgt, und in Erwartung einsamen Wartens auf Undolf ihre Krypte mitgenommen, um darin lesen zu können. Es war inzwischen Abend geworden, und der Breene versprach am folgenden Tag nach der Arbeit wiederzukommen, um ihr die Nachrichten der Kuriere mitzuteilen, über die er den Kontakt zur ONO hielt. Und da sie diesmal auch darauf achtete, wie der Breene die kleine Lampe entzündete, wusste sie nun auch, dass dafür ein handliches Funkeneisen und ein milchiger Stein zum begehrten Licht führte.

      Sie sah durch das geschlossene Fenster Undolf auf seinen Wagen steigen und davonfahren. Ansonsten erstarb bald jegliches Leben in der Straße, während unter kurzem Aufblitzen nach und nach die weißen Glaskugeln auf den langen Stäben, die regelmäßig in allen Straßen verteilt zu finden waren, zu leuchten begannen. Sie vermutete, dass es sich bei diesen Besonderen Apparaten wohl auch um Öllampen handeln musste, die sich irgendwie von selbst entzündeten. Sie beleuchteten die Straße nur mäßig, aber dennoch dauerte es eine ganze Weile, bis sich Kishou von diesem Anblick wieder abwendete. Nie zuvor hatte sie dergleichen gesehen.

      Sie versuchte, in den mitgebrachten Krypten zu lesen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Die vielen, neuen Eindrücke und die aktuelle Lage ließen keinerlei Ablenkung zu. So wühlte sie sich in die Decken und Kissen des Lagers, und ließ ihren Gedanken um die befremdlichen Verhältnisse des Vierten Droms ihren Lauf …

      ~

      Fahrt nach Katum

      K

      ishou sprang wie von einer Feder getrieben auf, als endlich das bekannte Klopfzeichen an der Tür zu hören war.

      Undolf machte ein besorgtes Gesicht. Wohl hatte man noch keine Spur von den Chemuren, aber die Sicherheitsverordnungen wurden noch einmal verschärft. So würden die Kontrollen zunehmen, und jeder Bürger wäre nun verpflichtet, alles Verdächtige sofort den Ordnungskräften zu melden, die in den Straßen verstärkt zur schnellen Kontaktaufnahme eingesetzt würden. Kishou erfuhr auf die Nachfrage, wie man diese denn überhaupt erkennen würde, dass die Ordnungskräfte mittels einer Ausnahmegenehmigung schon immer eine rote Bekleidung trugen. Sie vermutete wohl richtig, dass sie mit einer solchen Gestalt bereits ihre Erfahrung gemacht hatte. Sie hießen bei den Brennen ‚SOK’ – was die Abkürzung für ‚Sicherheits- und Ordnungskraft’ war.

      Wie auch immer, die Bedingungen, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, wurden zunehmend schlechter. Dennoch, so berichtete der Breene, mussten sie nach Katum – der größten Stadt in Zentrum der Ebene des Droms, um Kontakt mit dem Vorstand der ONO aufzunehmen. Man wollte Kishou mit eigenen Augen sehen und befragen, um die Lage einschätzen zu können. Undolf legte auch wert darauf, festzustellen, dass er eine BAZ im Geschäft erhalten habe. Der Besitzer sei selbst Mitglied der ONO – es war einer der Beiden, die Undolf Tags zuvor in die geheime Unterkunft mitgebracht hatte – daher war es glücklicherweise kein Problem. Die ‚BAZ’ erklärte sich auf Nachfrage Kishous als ein Kürzel für ‚Bescheinigung für Arbeitsauszeit’.

      Sie brachen auf. Ihr Weg führte sie zunächst quer durch die Stadt. Es war mühselig – zumindest erschien es ihr so. Es gab es allerlei für sie undurchschaubare Regeln, wie sich die Wagen auf den Straßen zueinander zu verhalten hatten. Tatsächlich waren auch überall diese rotberockten Breenen zu erblicken – SOKs, wie Kishou nun wusste. Sie standen zumeist an den Häuserwänden, die Hände mit dem langen schwarzen Stab auf den Rücken verschränkt.

      Ihre Fahrt endete in der Mündung einer kreuzenden Straße, deren Verlauf an einem Fluss entlang führte. Ein eisernes, niedriges Gitter begrenzte sein Ufer. Undolf schwenkte nach rechts, und erreichte bald darauf einen Platz, von dem aus ein breiter Steg ein kurzes Stück in den Fluss hinaus ragte. Viele Breenen und Fuhrwerke standen dort aufgereiht in mehreren Reihen.

      „Wir müssen auf die andere Seite!“, meinte Undolf nach hinten.

      Kishou sah eine Plattform mit einer Baracke darauf, die gerade von dem Steg ablegte, und offenbar mittels eines Flussüberspannenden Taus auf die andere Seite gezogen wurde. Mit zwei Wagen und Dutzenden von Breenen und Braanen darauf war er ausgelastet.

      „Die Fähre ist nicht besonders groß. Es wird einige Zeit dauern, bis wir rüberkommen!“, meinte Undolf schließlich, während er sich in die Wartenden einreihte. Auch hier sah man unter der großen Menge von Breenen und Braanen die roten Kleider deutlich überall hervorstechen. Undolf betrachtete die Menge aufmerksam, als suchte er in ihr irgend etwas. „Es sieht nicht besonders gut aus!“, sagte er endlich.

      Die Art, wie er das sagte – halblaut und mit starrem Gesicht – bewegte Kishou dazu, sich dicht hinter seinen Rücken zu platzieren. „Was meinst du?“

      Es scheinen sehr viele Gleim hier sein!“, raunte er, ohne sich zu ihr umzublicken. „Ich habe schon auf den ersten Blick zwei von ihnen entdeckt – ungewöhnlich für diesen Ort! Außerdem sehe ich, dass sehr viel kontrolliert wird!“

      „Oh!“, reagierte Kishou verwundert. „Ich denke, die kann man nicht erkennen? Woher weißt du das?“

      Undolf schwenkte seine Beine über den Kutschbock und kam auf die Pritsche. „Ich erkläre es dir später!“ Er kramte kurz unter einigen leeren Säcken, und zog dann eine kleine Schachtel hervor, die er sofort unter seinen Mantel schob. „Warte einen Moment!“, sagte er nur und kletterte vom Wagen. Er schlenderte wie gelangweilt zwischen der Menge umher – blieb mal hier mal da einen Moment stehen, und kam dann wieder langsam zurück.

      „Was ist?“, wollte Kishou wissen, nachdem er sich wieder auf den Kutschbock gesetzt hatte.

      „Ich hab’ einen Fretti in der Menge ausgesetzt!“, erklärte er.

      „Was hast Du?“, verstand Kishou nicht.

      „Einen …“ Er unterbrach sich selbst, als er bemerkte, das Kishou damit wahrscheinlich garnichts anfangen konnte. „Ein Fretti ist ein kleines Tier – die gibt es hier überall!“, erklärte er nun. „Man sieht sie aber selten, weil sie nur Nachts unterwegs sind. Er war in der Schachtel. Da ist eine kleine Feder drin, die den Deckel gleich öffnen wird. Sie geben sehr unangenehme und unüberhörbare Töne von sich, wenn sie sich bedroht fühlen!“

      „Und wieso hast du …“ Sie stockte, als plötzlich ein langgezogener, heller und quäkender Ton aus der Menge heraus zu hören war, der sich mehrmals wiederholte. Überall fuhren die Köpfe herum und richteten ihren Blick nach unten zu den Ort der Herkunft des Geschreis.

      „Tatsächlich!“, reagierte Undolf. „Es