Auf getrennten Wegen. Christian Linberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Linberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754131602
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ich es kann. Manchmal sterben Freunde einfach.“

      „Aber alle auf einmal?“

      „Hast Du nicht gesagt, einige sind mit Dir geflohen? Dann gibt es Hoffnung, sie wiederzusehen.“

      Grimmig dachte er an die Zeit mit Drakkan.

      Im Krieg waren beinahe alle seine Freunde gefallen. Er war als versoffener Penner in der Gosse der Stadt der Türme gelandet, wo Drakkan buchstäblich über ihn gestolpert war.

      Nach einer wüsten Prügelei waren sie am nächsten Tag gemeinsam ausgeraubt und beinahe nackt in einer Zelle aufgewacht.

      Während er darüber nachsann, war auch Phyria in einem grüblerischen Schweigen versunken.

      Trotz Feuer und Dach über dem Kopf war die Suppe nicht geeignet, die düstere Stimmung zu heben, die sich mit der Nacht über ein kleines Lager gesenkt hatte.

      1 - 21 Ein Besuch in der Stadt -

      Kurz vor Anbruch der Morgendämmerung waren sie endlich abmarschbereit. Zwei Tage Ruhe und Anayas Pflege hatten wieder einmal Wunder gewirkt. Kmarr konnte sich langsam bewegen, ohne dass die Wunden aufbrachen. Den ganzen Tag über hatten sie sich äußerst ruhig verhalten. Anaya hatte bereits am Morgen begonnen, ihre Gerüche zu verwischen. Kmarrs Nase diente ihnen als Anhaltspunkt. Als er bestätigte, dass er Anaya nicht mehr wahrnehmen konnte, hatten sie ihr Gepäck verstaut, um abmarschbereit zu sein.

      Im Laufe des Tages hatte Anaya vorsichtig die Würgedornranken umgebogen um dort, wo die wenigsten Blutbäume lauerten, einen Durchgang zu schaffen.

      Jetzt trennte sie nur noch eine dünne Wand aus Blättern und jungen Trieben von den alptraumhaften Kreaturen.

      Anaya würde zunächst alleine gehen, nur mit ihrem Bogen, Dolchen und einem gut gefüllten Köcher voller Pfeile.

      Sie würde die Blutbäume fort locken.

      Kmarr würde ihr folgen, aber eine andere Richtung einschlagen. Da kein Wesen zu Fuß einer Druidin aus Galladorn gewachsen war, würde Anaya wieder zu ihm stoßen, sobald sie die Blutbäume abgehängt hatte.

      Auch wenn sie sich eine Zeitlang trennen mussten, waren beide zuversichtlich, ohne Probleme entkommen zu können.

      Als es Zeit war, umarmten sie sich einmal leise, dann huschte Anaya durch die Öffnung davon, die sich auf ihr Geheiß hin gebildet hatte. Um schneller laufen zu können, hatte sie ihre Beine verlängert. Außerdem hatte sie ihre Nasenflügel erweitert, damit sie besser Luft bekam.

      Wie ein Pfeil von der Sehne eines Bogens sprang sie davon. Sie gab sich keine Mühe ungesehen zu bleiben, trotzdem wäre sie beinahe unbemerkt geblieben. Nur weil sie einen Pfeil tief in den Stamm eines Blutbaums versenkte, gelange es ihr, ihre Aufmerksamkeit zu wecken.

      Eine Welle durchlief die Kreaturen, als sie sich wankend umwandten. Dabei verhedderten sie sich mit ihren Ästen und Wurzeln. Kreischend schwankten sie auf Anaya zu, die dreißig Schritte entfernt wartete. Sie schoss einen zweiten Pfeil auf ein weiteres Ziel ab, bevor sie eine Seillänge weiter sprintete, um nochmals einen Schuss auf einen dritten Baum abzugeben.

      Jetzt folgte ihr praktisch die ganze Horde unter wütendem Gekreische.

      Anaya hielt immer wieder an, um einen Pfeil nach dem anderen in den unbeweglichen Zielen zu versenken.

      Rasch hatte sie ihre Verfolger über die Hügelkuppe geführt. Kmarr beobachtete, wie die letzte Baumkrone außer Sicht verschwand.

      Mühsam zwängte er sich kriechend durch die dornige Öffnung ins Freie. Die Wunde in seiner Seite pochte heftig. Er musste eine Welle von Übelkeit niederringen, bevor er sich keuchend erhob.

      Die Landschaft hatte sich völlig verändert. Schnee bedeckte nun die schlammigen Hügel, kalte Nordwinde ließen ihn frösteln.

      Er blickte sich gründlich um, um eine weitere Überraschung zu vermeiden. Erst als er sich sicher war, keinen Leichensammler übersehen zu haben, setzte er sich in Bewegung.

      Beladen mit dem gesamten Gepäck von ihnen beiden, humpelte er auf die Krücke gestützt nach Norden.

      Anaya hatte seine Gehhilfe aus dem Baumstamm gefertigt, der ihn durchbohrt hatte.

      Während er vorsichtig seinen Weg suchte, nahm er sich vor, aus dem Holz hinterher einen Griff für eine Axt zu schnitzen.

      Doch zunächst musste sie so lange halten.

      Das Kreischen der Blutbäume hatte sich unterdessen weiter entfernt.

      Dem Anschein nach, hatte Anaya beschlossen, sie in einem sehr weiten Bogen weg zu führen.

      Unbehelligt erreichte Kmarr daher den Fluss, der an der Stadt vorbei floss, in dem sie das Siegel aufgespürt hatten.

      Die schlammige Brühe hatte Teile des Ufers verschluckt. Büsche, Bäume und Ruinen ragten aus den Fluten empor.

      Ohne Brücke, Boot oder Floß war es unmöglich, an das andere Ufer zu gelangen.

      Er blickte sich suchend um. Nirgends fand sich ein Hinweis auf eine solche Gelegenheit. Mit Ausnahme der Stadt selbst, und dorthin wollte Kmarr nicht unbedingt zurückkehren.

      Allerdings machten auch die wenigen Bäume keinen vertrauenserweckenden Eindruck.

      Um aus ihnen ein Floß zu bauen, bedurfte es schon eines mittleren Wunders – selbst mit Anayas Fähigkeiten.

      Seufzend wandte er sich in Richtung Stadt.

      Bevor er mehr als zwei Meilen zurückgelegt hatte, holte Anaya ihn ein.

      Leichtfüßig trabte sie heran. Sie wirkte nicht besonders erschöpft. Ihr Atem ging beinahe normal. Nur ihr Köcher war zur Hälfte leer.

      „Durch die Stadt?“, fragte sie ernst.

      „Siehst Du eine andere Möglichkeit?“

      „Nicht mit Deiner Verletzung. Wir müssten in weitem Umkreis Bäume fällen und zum Fluss schaffen. Dazu bist Du im Augenblick zu schwach.“

      Kmarr nickte: „Schnell bin ich aber auch nicht gerade. Wie willst Du denn die Wächter bezwingen?“

      Die Geister der einstigen Bewohner hüteten ihre Heime eifersüchtig.

      Sogar die Straßen und Häuser selbst waren lebendig geworden, um sie zu verschlingen. Nur knapp war es ihnen einmal gelungen, das felsige Plateau zu erreichen, das aus der Mitte der Insel emporragte, auf der der größte Teil der Stadt lag.

      Anayas stimme hatte einen tiefen Klang angenommen: „Ich bin jetzt lange genug hier im Land. Seine Geister haben mich erkannt. Sie werden uns passieren lassen.“

      „Das wollte ich hören. Dann los, bevor noch irgendwas dazwischen kommt.“

      Der Weg war weder weit noch beschwerlich, trotzdem dauerte es den halben Tag, bis sie den Außenbezirk der Stadt erreicht hatten, vorbei an einzelnen Gehöften und verwahrlosten Feldern.

      Einstmals mochten diese fruchtbare Ernten eingebracht haben, doch nun gab es hier nichts außer verdorrtem, wildem Hafer.

      Nur einmal duckten sie sich hinter die Reste einer Scheune, als in der Ferne eine Schar alptraumhafter Reiter vorüber zog.

      Im frühen Morgenlicht beleuchteten die Strahlen der Sonne verdrehte Wesen, bei denen sie nicht sicher waren, wo die Rösser aufhörten und die Reiter begannen. Teile der Tiere und auch der Gestalten darauf bestanden aus Stein.

      Dem einen Pferd fehlte der Kopf, dafür bestand der Rumpf und ein Bein aus Teilen einer Backsteinmauer.

      Der Reiter daneben besaß gar keine Beine, sein Oberkörper ragte direkt aus dem Rumpf des Pferdes, und statt eines Armes ragte ein spitzer Holzbalken wie eine Lanze über den Hals seines Pferdes nach vorne.

      Bei einem anderen Reittier konnten sie durch den Brustkorb hindurch sehen, weil es an dieser Stelle ein kleines, steinernes Fenster mit einem einzelnen Holzladen hatte, der