Auf getrennten Wegen. Christian Linberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Linberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754131602
Скачать книгу
erwachte neben einem längst kalt gewordenen Feuer und dem riesigen Körper von Shadarr, der ruhig und gleichmäßig atmete.

      Zunächst konnte sie nur ein Auge öffnen, für mehr fehlte ihr die Kraft. Außerdem schätzte sie, dass es nichts gab, dass ihr nicht wehtat. Ihre Haut brannte, die Muskeln schmerzten bei jeder kleinen Bewegung und ihr Magen lieferte ständig Krämpfe.

      In ihrem Nacken hatte sich offenbar etwas eingeklemmt, denn sie konnte ihren Kopf nur in eine Richtung drehen.

      Erstaunt stellte sie fest, dass neben den Schmerzen auch eine leichte Lähmung existierte, die sie zusätzlich behinderte. Eine Erklärung fand sie dafür nicht, denn ihre Erinnerungen an die letzten Tage waren bestenfalls vage. Sie erinnerte sich daran, Anayas Gift genommen zu haben und an das Feuer, um ihre dreckige Kleidung zu verbrennen. Davor war alles ziemlich verworren.

      Zunächst blieb sie deshalb ruhig liegen. Mit einer einfachen Atemübung klärte sie ihre Gedanken. Nach und nach gelang es ihr, den Schleier zu zerreißen, der über ihren Erinnerungen lag. Kaltarra, Phyria, die Bootsfahrt, das Siegel, die Flutwelle.

      Ihrem Gespür nach, waren mindestens zwei oder drei Tage vergangen. Da sie nirgends den Fluss oder die Stadt mit dem Tafelberg sehen konnte, musste Shadarr sie getragen haben. Kein Wunder, dass sie sich so zerschlagen fühlte. Ihre Fieberträume waren zum Glück nur eine blasse Erinnerung. Allmählich kehrte das Gefühl in ihren Körper zurück. Sie konnte sich bewegen, wenn die Schmerzen auch kein Vergnügen daraus machten.

      Für einen Außenstehenden wirkte es noch immer so, als wäre ihre Körper an unmöglichen Stellen biegsam, in ihrer eigenen Wahrnehmung bewegte sie sich dafür eher wie Droin.

      Schließlich hatte sie es in einen Lotussitz geschafft, in dem sie häufig für mehrere Kerzenlängen meditierte, um Kraft zu sammeln.

      Dieses Mal wollte es ihr nicht so recht gelingen. Dafür war Ihr Körper einfach noch zu steif und schmerzte.

      Als sie schließlich entnervt aufgab, war sie überzeugt davon, dass es am Zustand ihrer völlig verdreckten Kleidung und den verfilzten Haaren lag. Der Dreck störte den Fluss ihres Chi.

      Um wenigstens etwas Sinnvolles zu tun, barg sie das Chi-An aus ihrem Gepäck.

      Die hölzerne Puzzle-Box, in der das mystische Spiel verborgen war, ließ sich nur öffnen, wenn man wusste, wie man die Verzierungen ziehen, schieben, klappen und drehen musste.

      Jedes Element stand symbolisch für ein Element einer Geschichte. Kannte man die Geschichte, war es leicht die Box zu öffnen.

      Sie hatte das Kästchen schon ein paar Mal untersucht, aber die Symbole passten zu keiner Erzählung, die sie kannte.

      Da es sich einst um ein Geschenk gehandelt hatte, ging es vielleicht um den Beschenkten.

      Leider brachte sie dieser Gedanke zunächst auch nicht weiter, weil sie nicht wusste, für wen es ursprünglich angefertigt worden war.

      Wieder versuchte sie einen Ansatz zu finden, immerhin musste der Schenkende aus Shâo ja davon ausgegangen sein, dass es dem Empfänger aus Kalteon möglich war, die Box zu öffnen.

      Ein Irrtum, denn augenscheinlich war es nicht so gewesen.

      Ausgerechnet in diesem Augenblick fiel ihr der winzige Jadedrachen am Rand der Box auf. Ein Symbol für den Kaiser. Trotz der geringen Größe hätte ein Shâi es nie gewagt, ihn zu berühren. Ein Kalteaner hätte damit keine Schwierigkeiten gehabt. Jiang drückte ihn vorsichtig ein Stück ein. Dadurch konnte sie ein angrenzendes Stück Holz drehen, was ihr an anderer Stelle wiederum erlaubte, etwas zu verschieben.

      Schritt um Schritt verfolgte sie die Lösung, die sich wie eine Schlange um die Kiste herum wand. – Nein, nicht um das Kästchen, sondern um die Bergsymbole herum, die Kalteon darstellten und sich nach und nach sogar zu einer Landkarte des Landes verschoben.

      Der Drache im Bergreich. Verzückt klatschte sie in die Hände. Der Handwerker musste ein Meister seines Faches gewesen sein.

      Ihr Lächeln wurde noch breiter, als sie erkannte, wohin sie die Elemente führten: zum Jadedrachen.

      Kopf und Schwanz des Drachen: Anfang und Ende des Schlosses. Sie drückte das Jadestückchen noch weiter in das Holz hinein.

      Ein Berg hob sich daraufhin auf der Oberseite, genau dort, wo Kaltarra auf der Karte gelegen hätte. Sie drehte ihn herum, bis das Wappen des Königs, das auf der Seite sichtbar geworden war, genau zum Jadedrachen zeigte.

      Mit einem Klicken sprang die Box auf.

      1 - 20 Gespräche am Lagerfeuer -

      Ohne Droin hätte Phyria es niemals geschafft. Nur seiner eisernen Konstitution hatte sie es zu verdanken, dass sie überhaupt vom Fleck kam. Er hatte ihre Wunde am Bein mehrfach versorgt und sie dann auf den Kompass gesetzt.

      Sie wunderte sich über seinen Umgang mit dem kostbaren Artefakt und fragte ihn danach.

      „Natürlich gefällt es mir nicht, so mit ihm umzugehen, doch mein Volk ist Jahrhunderte ohne ihn ausgekommen. Lieber bringe ich ihn beschädigt zurück als überhaupt nicht. Du kannst kaum laufen und ich kann Dich nicht tragen und den Kompass schieben. Also müsste ich Dich zurücklassen. Und Dein Leben ist das Ding nicht wert.“

      Sie war für seine Antwort äußerst dankbar. Also saß sie auf einem kleinen Berg Ausrüstung, während Droin trotz seiner Wunden sie samt dem Artefakt stetig weiter gen Norden schob.

      Von ihrem Aussichtspunkt konnte sie beobachten, wie der Winter nach und nach Einzug hielt. Am Morgen war das Wasser in den kleinen Pfützen bereits gefroren. Selten hielt sich das Eis gegen die Sonne.

      Mittags zogen Wolken auf, aus denen am Abend der erste Schnee fiel.

      Mit jedem Schritt, so schien es ihr, wurde es kälter. Zwar kannte sie Winter auch aus ihrer gebirgigen Heimat, aber das Tal, in dem das Kloster stand, war durchzogen von heißen Quellen aus denen unaufhörlich Dampf strömte, gegen den nur der strengste Frost bestehen konnte.

      Die feuchte Kälte des Sumpflandes hier war etwas, dem man auf Dauer nicht entkommen konnte. Sie wickelte sich nacheinander in alle Decken, die sie hatten, fühlte sich dennoch bald verfroren.

      Da sie der Straße weiter folgten, machten sie guten Weg, auch wenn der Schnee es immer schwieriger machte, sie nicht zu verlieren.

      Dreimal nur wich Droin davon ab. Jedes Mal mit Absicht.

      Beim ersten Mal bildete sich vor ihnen plötzlich eine Senke, in die sie um ein Haar gestürzt wären. Nur ihr entsetzter Aufschrei rettete sie, als sie die Mäuler voller scharfer Zähne entdeckte, die rings um das Loch darauf lauerten, sie zu zermalmen.

      Unsanft daran erinnert, dass hier in Narfahel alles darauf aus war, sie zu töten, verbrachte Phyria die nächsten Kerzenlängen damit, nervös auf den Weg vor ihnen zu starren, obwohl nichts weiter passierte.

      Erst am darauffolgenden Tag gelang es ihr, rechtzeitig eine Warnung zu rufen, als sich in der Ferne eine große Bodenwelle formte, die das Pflaster der Straße anhob, als sie sich auf sie zu bewegte.

      Ruhig schob Droin den Kompass zwanzig Schritte zur Seite und wartete mit gezogener Waffe ab, bis die Welle sie passiert hatte.

      Das Gelände wurde zunehmend hügeliger, so dass es nur auf den Kuppen möglich war, in die weitere Entfernung zu spähen. Dort entdeckte dieses Mal Droin als Erster das Hindernis. Es war keine weitere Begegnung mit einer der verfluchten Kreaturen, sondern ein großes Dorf.

      In jedem anderen Land hätte Droin den Bewohnern zur Wahl ihres Siedlungsplatzes gratuliert. Hier erwies er sich leider als Problem.

      Die Straße führte eine Art Rampe hinauf auf einen platt gedrückten Hügel, dessen Hänge steil und zerklüftet vor ihnen aufragten. Ein Blick zwischen ihnen genügte, um zu entscheiden den Ort in weitem Bogen zu umgehen.

      Abseits der Straße war das Gelände alles andere als einfach. Unter dem Schnee verborgene Sumpflöcher oder knietiefer Morast machten den Weg zu einer Tortur für