kollateral. Robert Lang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Lang
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753183886
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interessiert sich für nichts außer dem Geschäft. Das macht es nicht leicht.

      Der Gedanke daran, dass er allein sein wird, wenn er heute Abend nach Hause kommt, missfällt ihm dennoch. Nach anstrengenden Sitzungen wie der heutigen braucht er nach Feierabend jemandem, an dem er seine Übellaunigkeit auslassen kann.

      Vielleicht sollte er noch etwas unternehmen, wenn er hier herauskommt. Charles, sein Chauffeur und Bodyguard, wartet schon in der Tiefgarage. Der kann ihn irgendwo hinfahren, wo er sich auf angenehme Art und Weise entspannen kann.

      Aber dann fällt ihm ein, dass heute Donnerstag ist und dass Mei Long heute nicht arbeitet, und nach Experimenten mit einer neuen Nutte ist ihm nicht zumute. Verdrossen drückt er die Kurzwahltaste seines Telefons und weist seinen Fahrer an, sich für die Fahrt nach Hause bereitzuhalten. Dann verschließt er den Wand-Safe, löscht das Licht und macht sich auf den Weg zum Fahrstuhl, der ihn hinunter zu seinem Wagen bringt.

       3

      Langer schafft es in ausgezeichneten dreiundzwanzig Minuten, ohne den alten Kombi bis zum Anschlag quälen zu müssen. Der Wagen ist die größte Investition in dieses Unternehmen gewesen, und obwohl er fast schrottreif ist, hat er ihn die Hälfte seiner mickrigen Reserven gekostet. Er hat ihn vor ein paar Tagen durchchecken lassen und ihm dann notgedrungen diesen heiklen Job anvertraut. Bisher macht er seine Sache gut.

      Er kommt auf dem schmalen Kiesweg vor dem Haus zu stehen und parkt so, dass die Scheinwerfer den kurzen Weg bis zur Haustür ausleuchten. Sein Opfer kann er in dem so entstandenen Lichtkegel gefahrlos ins Haus bringen. Hier oben am Waldrand sieht ihn niemand.

      Er hat vier andere Objekte besichtigt, bevor er sich für dieses Ferienhaus entschieden hat. Es liegt am toten Ende eines Feldwegs, duckt sich mit seiner praktisch fensterlosen Rückseite unter einen dichten Fichtenwald, durch den man stundenlang wandern kann, ohne auf etwas anderes zu stoßen als ein paar Wirtschaftswege, die offenbar nur selten benutzt werden.

      Bis hinunter zur Kreisstraße gibt es nichts als Felder, die jetzt brachliegen, weil die Ernte längst eingebracht ist. Zum nächstgelegenen Anwesen, einem Bauernhof am Ortseingang, ist es ein guter Kilometer, und um diese Jahreszeit hat niemand einen Anlass, hier heraufzukommen.

      Die Besitzerin des Hauses, eine wohlhabende Witwe aus Nordhessen, kommt nie hierher. Er hat es von einem Immobilienmakler gemietet, dessen Büro sich ebenfalls sichere zweihundert Kilometer entfernt am Wohnort der Besitzerin befindet. Den Hausschlüssel hat er von einer älteren Putzfrau aus dem Dorf erhalten, die gelegentlich hier heraufkommt, um durchzulüften oder Staub zu wischen. Ein paar kleinere Geldscheine haben sie davon überzeugt, dass er während seiner künstlerischen Tätigkeit keinerlei Störungen wünscht und selbst für Ordnung und Sauberkeit sorgen wird. Das Geld reicht bequem aus, um ihr den entgangenen Lohn zu ersetzen.

      Den Leuten im Dorf gegenüber hat er sich als Schriftsteller ausgegeben, der die ländliche Abgeschiedenheit sucht, um einen begonnenen Roman zu beenden. Niemand soll sich Gedanken darüber machen, was ein junger Mann wie er so lange in dieser Einöde zu schaffen hat. Es gibt hier weder Tourismus noch Industrie. Dieses Kaff wirkt auf ihn, als sei es mausetot.

      Britta Stern wird noch ein Weilchen brauchen, bis sie wieder vollständig zu sich kommt. Zeit, die er benötigt, denn er hat noch etwas Wichtiges zu erledigen.

      Er schaltet den Motor aus, steigt aus dem Fahrzeug und öffnet die Heckklappe. Das Chloroform hat er zusammen mit dem kleinen 22er-Revolver und der großkalibrigen 38er im Hinterzimmer einer schummrigen Kneipe im Frankfurter Bahnhofsviertel erworben, von einem serbischen Dealer. Die Serben und die Albaner können einem fast alles besorgen, vorausgesetzt, man findet sie und bezahlt den Preis.

      Das Chloroform hat die gewünschte Wirkung erzielt. Die Lungen der Frau haben nach einem verschärften Tempolauf nach Sauerstoff gegiert und sie hat das Gas unwillkürlich eingesogen, als er sie aus kürzester Distanz damit besprüht hat. Aber da das Zeug nur für kurze Zeit wirkt, hat er ihr noch im Park einen harten trockenen Faustschlag direkt oberhalb des rechten Ohres versetzt, weshalb sie für anderthalb bis zwei Stunden außer Gefecht sein dürfte.

      Er hievt die Füße der Frau über die Ladekante, wuchtet ihren schlaffen Oberkörper in eine aufrechte Position und bückt sich unter die sitzende Gestalt. Dann ergreift er ihre Handgelenke und stemmt sich nach oben, den leblosen Körper wie einen Sack auf dem Rücken tragend. Brittas Kopf liegt auf seiner rechten Schulter, ihr hellblondes Haar kitzelt für einen Moment seine Wange.

      Schwankend erreicht er die Haustür und lässt seine Last so sanft wie möglich zu Boden gleiten. Dabei rutscht das noch schweißgetränkte Sweatshirt der Frau hoch und lässt einen indiskreten Blick auf ihre vollen Brüste zu. Diesmal bleibt er unbeeindruckt. Er bemerkt eine Gürteltasche, die sie um die Hüften geschlungen trägt. Schlüssel, Geld und Papiere wahrscheinlich; er wird sich später darum kümmern. Jetzt zählen Minuten.

      Umständlich fischt er den Hausschlüssel aus seiner Jacke, eine Hand stets an der Schulter seines Opfers, darauf achtend, dass sie nicht nach hinten oder zur Seite kippt. Die Tür springt mit einem Knarren auf und er zerrt die Frau über die Schwelle. Er versetzt der Tür einen Tritt und sie schwingt hinter ihm zu. Bis auf das Licht, das die Autoscheinwerfer durch die beiden Fenster an der Vorderseite des Hauses werfen, ist es dunkel in dem großen Wohnraum. Bizarre Schatten lassen die Szene unwirklich erscheinen.

      Der Entführer schleift sein Opfer quer durch das Zimmer zu einem Bett, das seinen Gast schon erwartet. Er wuchtet den Körper hoch und legt ihn auf den Rücken. Handschellen, mattsilbern das spärliche Licht reflektierend, schließen sich um die Gelenke von Händen, die sich nicht wehren können. Zwei robuste Ketten, die sich in der Wand hinter dem Bett verlieren, klirren leise.

      Den Raum hat er schon mittags auf eine angenehme Temperatur vorgeheizt; dennoch geht er jetzt ins Bad und holt ein Handtuch, mit dem er den nassgeschwitzten Körper der Frau trocken reibt, soweit das unter diesen Umständen möglich ist. Dann wirft er das Handtuch auf einen Sessel, zieht die Vorhänge zu und geht in das nebenan liegende Schlafzimmer. Auf dem ungemachten Bett liegen frische Sachen bereit. Er entledigt sich der schwarzen Kluft, die er getragen hat, wählt Jeans, Turnschuhe und einen hellblauen Pullover und zieht sich an. Ein Blick in den Spiegel zeigt ihm einen harmlosen, höchstens etwas müde wirkenden jungen Mann. Marc Langer verlässt das Haus und geht zu seinem Wagen.

      Vier Minuten später betritt ein offensichtlich gut gelaunter Mann mit einem etwas zu lauten, freundlichen Gruß die Gaststube des Restaurants „Zum Schwarzen Schwan“ und setzt sich auf seinen angestammten Platz im hinteren Teil des Raumes. Dies ist die einzige Kneipe im Ort, und in den letzten zwei Wochen ist er beinahe jeden Abend hier eingekehrt. Man kennt ihn, den Schreiberling aus der Stadt, der das Haus oben am Wald gemietet hat. Exotisch für die hiesigen Bauern. Aber er scheint ein ruhiger und angenehmer Zeitgenosse zu sein, der ein wenig mehr Trinkgeld gibt als die Einheimischen, die sich abends nach getaner Arbeit hier zum Kartenspielen einfinden. Man lässt ihn in Ruhe. Er ist in Ordnung, aber er gehört nicht dazu.

      Ein Blick auf die Wanduhr hinter der Theke genügt ihm, um zu wissen, dass er gut in der Zeit liegt. Wird es jemals zu Schwierigkeiten kommen, hat er zwar kein lupenreines Alibi; aber es wird sehr schwer sein, ihm eine solch komplizierte Geschichte anzuhängen, wie es die Verschleppung eines Menschen ist.

      Um drei Minuten vor sieben Uhr an diesem Abend hat er in Frankfurt, zwei Kilometer vom Tatort entfernt, eine Eintrittskarte für ein Hallenbad gekauft. Diese Karte trägt neben dem Datum auch die Uhrzeit der computergesteuerten Registrierkasse, und er bewahrt sie in seinem Portemonnaie auf. Außerdem ist er dort ebenso unangenehm wie erfolgreich aufgefallen, als er mit einem viel zu großen Geldschein bezahlt hat, den die Kassiererin nur widerwillig annahm. Sie wird sich erinnern, falls das nötig wird.

      Er hat das Schwimmbad nur wenige Minuten später wieder verlassen, ohne noch einmal gesehen zu werden, als er das Drehkreuz am Ausgang passierte.

      Jetzt ist es zwölf Minuten nach acht. Er sitzt in einer Gaststätte mehr als dreißig Kilometer entfernt vom Ort der Entführung und bestellt ein Bier und eine kleine Mahlzeit, von der er hofft, dass sein rebellischer Magen sie nicht zurückweisen wird. Den Wirt,