kollateral. Robert Lang. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Lang
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753183886
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Minuten lang ihre Runden dreht. Heute wird sie nach einer halben Stunde Schluss machen, denn sie friert jetzt doch ein wenig und sehnt sich schon nach einer heißen Dusche.

      „So weit, so gut“, denkt sie, als sie in den nur spärlich beleuchteten Park einbiegt und allmählich ins Schwitzen kommt. Sie sollte vielleicht darüber nachdenken, dieses Escort-Ding zu schmeißen. Am letzten Wochenende ist sie im Hotel „Hessischer Hof“ um ein Haar in einen Geschäftspartner ihres Stiefvaters hineingelaufen, als sie nach einem Kundenbesuch an der Rezeption vorbei musste. Zum Glück hat der Kerl sich nicht umgedreht, bis sie in sicherer Entfernung war.

      Dass so etwas jederzeit passieren könnte, ist ihr bis dahin gar nicht in den Sinn gekommen. Natürlich! Ihr Stiefvater, der große Dietrich Bornemann, ist ein steinreicher Bauunternehmer, der Gott und die Welt kennt; und das sind eben zumeist selbst reiche Unternehmer oder Großkunden, die sich standesgemäß in Luxushotels herumtreiben, wenn sie ihre Geschäfte abwickeln oder an Konferenzen teilnehmen.

      Nicht auszudenken, wenn sie eines Tages einen Kunden aufsucht und ausgerechnet der kennt ihren Alten oder gar sie selbst. Ihren Stiefvater würde das kaltlassen (der ist selbst leicht pervers angehaucht und permanent lüstern, wie ihr scheint), aber ihre Mutter würde sich vor Scham umbringen, wenn sie davon erfährt. Sie schaudert bei dem Gedanken, während der kalte Nieselregen sich mit dem Schweiß auf ihrer Stirn vermischt.

      Sie schaut im Laufen auf ihre Fitnessuhr. Noch fünf Minuten, dann soll es für heute reichen. Es ist Zeit fürs Abendessen, denn sie ist seit dem Frühstück nicht mehr zum Essen gekommen. Britta spult noch zwei Runden ab und trabt dann gemächlich nach Hause.

      Noch jemand hat an diesem Abend ihre Zeit gestoppt, ein Mann, der sich zwischen den Sträuchern am Rand des Parks verborgen gehalten hat, und der in den gut dreißig Minuten, in denen Britta Stern ihre Runden drehte, drei Zigaretten geraucht hat. Als das Objekt seiner Beobachtung den Park durch einen Seiteneingang verlassen hat, geht auch er die paar Meter zu seinem Wagen und fährt wenige Augenblicke später los. Er weiß jetzt genug.

      Erstes Kapitel: Corpus delicti

       1

      Die Berührung mit dem warmen Körper, den er jetzt die kurze Strecke über den Kiesweg in die Büsche zerrt, erregt ihn einen Augenblick lang. Dieses Gefühl ist irritierend und der Situation nicht angemessen – hundert Dinge können bei einer solchen Sache schiefgehen, auch ohne dass seine Hormone verrücktspielen.

      Er benutzt den Trampelpfad, der vom Wegrand durch das Dickicht zum Parkplatz führt – noch zehn Meter bis zu seinem Wagen; zehn lange Meter, denn Britta Stern wieg erheblich mehr, als er es vermutet hat. Die sechzig Kilo einer attraktiven Frau, deren Hacken über den Boden schleifen, sind schwer wie ein Sandsack. Vielleicht hätte er mit einem Sandsack üben sollen.

      Es hat wieder zu regnen begonnen. Kälte und Nässe sind gut für sein Vorhaben. Das schlechte Wetter hält Spaziergänger fern, die ihn stören könnten. Mühsam zieht er seine Last zwischen die tropfenden Büsche.

      Die Frau ist völlig verschwitzt, ihre Arme entgleiten seinem Griff immer wieder und er muss ständig nachfassen. Er wird die Heizung seines Wagens hochdrehen, wenn er losfährt. Wenn sein Opfer auskühlt und sich eine Lungenentzündung einfängt, dann ist er aufgeschmissen.

      Nun, da er die junge Frau auf den unbeleuchteten Parkplatz zerrt kommt der gefährlichste Teil des Unternehmens. Er blickt sich um. Niemand zu sehen. Zur Linken, in dem alten Universitätsgebäude, brennt im Erdgeschoß noch Licht – Putzkräfte oder der Hausmeister, vermutet er.

      Marc Langer hat darauf setzen müssen, dass der Parkplatz an diesem Abend leer ist. Donnerstags endet die letzte Vorlesung um achtzehn Uhr, danach flüchten die meisten Studenten ebenso wie die Lehrkräfte ins vorgezogene Wochenende und es kehrt relative Ruhe ein in diesem Teil des Viertels.

      Schwer atmend wirft er jetzt die Hecktür seines Kombis zu und kramt den Autoschlüssel aus seiner Jacke hervor. Vor ein paar Sekunden ist ihm beinahe der Geduldsfaden gerissen. Sein Opfer passte nicht ohne weiteres unter die Abdeckung des Kofferraums. Wie sehr er es auch versucht hat, ein Fuß der Frau lugte stets über die tiefliegende Ladekante des Wagens. Schließlich tut er das Naheliegende und zieht ihr die Laufschuhe aus. Nun kann er die Klappe schließen.

      Er öffnet die Fahrertür und wirft sich in den Sitz. Seine Hand zittert, als er den Zündschlüssel ins Schloss bugsieren will. Er braucht dringend eine Zigarette, und während er sich eine anzündet, sieht er, dass die Wagenscheiben rundum beschlagen sind. Frustriert versetzt er dem Lenkrad einen heftigen Schlag. Das kann er jetzt brauchen wie ein nasses Handtuch. Natürlich beschlagen die Scheiben - die beiden schwitzenden Körper heizen den Wagen auf wie ein tropisches Gewächshaus. Er entnimmt dem Handschuhfach ein altes Wischtuch und beginnt die Scheiben zu reinigen. Dann stellt er Heizung und Gebläse auf die höchste Stufe und öffnet die Fenster einen Spalt breit. So müsste es gehen.

      Die gesamte Operation hat weniger als fünfzehn Minuten in Anspruch genommen. Das ist wichtig, weil sein Alibi darauf fußt, dass die von ihm geplanten Dinge schnell und reibungslos ablaufen.

      Er entspannt sich ein wenig und beginnt, sich auf den stadtauswärts fließenden Verkehr zu konzentrieren. Alles läuft normal - bis zu dem Moment, in dem er hinter sich eine Sirene hört und ein Blick in den Rückspiegel… Heiliger Himmel!

      Das Blaulicht kommt rasch näher. Eine Sekunde lang glaubt er, alles sei verloren, bevor es richtig angefangen hat. Es dauert einen schreckensstarren Moment, bis er begreift, dass es sich um einen Krankenwagen handelt, der mit hoher Geschwindigkeit näher kommt, offenbar wie er selbst auf dem Weg zur nahegelegenen Autobahn.

      Ein wütendes Hupen, weil er eine rote Ampel überfahren hat. Er muss nur noch für kurze Zeit die Ruhe bewahren, denn er hat es beinahe geschafft.

      Langer verstärkt den Griff seiner linken Hand um das Lenkrad und schaltet mit der anderen in einen höheren Gang. Kurz darauf hat er die Autobahn erreicht.

      Noch zwanzig Minuten bis zu seinem Versteck; es ist darauf vorbereitet, ihn und seine Geisel so lange wie nötig verschwinden zu lassen. Er schaltet den CD-Player ein und schlägt den Takt eines Rocksongs mit den Fingern aufs Lenkrad. „…Riders on the Storm…“

      Der zweite Teil der Operation wird erst morgen früh beginnen. Vorher gilt es, sein Opfer unterzubringen, sich die zweite Hälfte seines Alibis zu beschaffen und zu essen. Zu essen und danach zu schlafen. Er muss körperlich fit bleiben, darauf wird es in den nächsten Tagen ankommen - bis ganz zum Schluss.

      „…Riders on the Storm.“

       2

      An dem nasskalten Novemberabend, an dem seine Stieftochter Britta in die Hände eines Entführers fällt, sitzt Dietrich Bornemann noch zu ungewohnt später Stunde in seinem Büro, hoch über dem Fluss, der die Stadt in zwei Teile zerschneidet. Hier im siebenundzwanzigsten Stock des Büroturms hört man nichts vom allmählich abflauenden Berufsverkehr entlang der beiden Flussufer.

      Seine Wut lässt nur langsam nach. Diese Blutsauger vom Betriebsrat können einen immer wieder fertigmachen. Sie quatschen und quatschen und wenn man nicht höllisch aufpasst, haben sie einen plötzlich in einer Ecke, in der sie ihn haben wollen – und man weiß später nicht einmal mehr, wie zum Teufel man dorthin geraten ist. Bornemann weiß, dass er auf seinen Blutdruck achten muss, denn Mitte der kommenden Woche steht ihm eine Steuerprüfung bevor; Steuerprüfungen sind wie Darmspiegelungen, nur teurer.

      Brittas Mutter lässt es sich zurzeit im Schwarzwald gut gehen, während er zuhause bleibt und sich für die Firma abrackert. Er ist – um der Wahrheit die Ehre zu geben – froh, wenn er sie nicht zu sehen braucht. Sie haben sich schon lange nichts mehr zu sagen, was häufig zu einer unangenehmen