Haus der Geheimnisse. Rita Hajak. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita Hajak
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738065367
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trat, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Der breite Flur mit der riesigen Säule neben dem Eingang wirkte düster. Sie zögerte einen Moment. Ein hoher, golden umrahmter Spiegel an der Wand sowie der Garderobenschrank und die Truhe aus dunklem Holz, erinnerten sie an einen Gruselfilm. Lediglich der runde, hell gemusterte Teppich auf dem dunklen Marmor wirkte auflockernd.

      Mrs. Lindslay riss sie aus ihren Gedanken. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer, damit Sie sich frisch machen können. Mr. Graham hat mit dem Lunch auf Sie gewartet.« Sie führte Katja über die breiten Marmorstufen in die erste Etage. Am Ende der Treppe teilte sich der Korridor. Die Hausdame ging nach links und öffnete die letzte Tür. »Dieser Raum dürfte Ihnen gefallen«, sagte sie und ließ Katja eintreten. Mrs. Lindslay schaute sich um, als wollte sie sich noch einmal vergewissern, dass auch alles in Ordnung war. »Verschnaufen Sie einen Moment. Wenn Sie bereit sind, drücken Sie auf die Klingel, ich begleite Sie dann in das Speisezimmer.« Während sie das sagte, deutete sie mit dem Finger auf einen runden Knopf, der seitlich am Tisch befestigt war. Danach nickte sie der jungen Frau zu und verließ den Raum.

      Endlich hatte Katja Zeit, sich ausgiebig umzusehen. Die Einrichtung gefiel ihr gut. Der Raum war freundlich und hell. Durch die hübschen, goldenen Verzierungen wirkten die Möbelstücke edel. Die Bezüge der Sessel hatten den gleichen rosa Farbton, wie die Gardinen. Verlockend erschien ihr das Bett mit der kuscheligen Decke. Sie spürte eine leichte Müdigkeit aufkommen und gähnte. Am liebsten hätte sie sich hingelegt. Das wäre jedoch sehr unhöflich gewesen. Stattdessen wusch sie sich im angrenzenden Bad Gesicht und Hände, bürstete ihre goldbraunen Haare kräftig durch und band sie zu einem Pferdeschwanz.

      Als sie zum Gehen bereit war, drückte sie auf den Klingelknopf. Mrs. Lindslay stand Sekunden später an ihrer Tür. »Ich hoffe, es ist alles in Ihrem Sinne?«, fragte sie und ging voraus.

      »Danke, Mrs. Lindslay, es ist ein hübsches, gemütliches Zimmer.« Sie schaute flüchtig auf ihre Armbanduhr. Schon kurz nach zwei. Sie empfand es als nett, dass der Professor mit dem Essen auf sie gewartet hatte.

      Als Katja eintrat, erhob er sich und kam ihr mit ausgestreckten Armen entgegen. Die Hausdame zog sich diskret zurück.

      Mr. Graham begrüßte Katja herzlich wie eine Tochter und drückte sie liebevoll an sich. »Beinahe hatte ich befürchtet, Sie würden absagen.« Prüfend schaute er sie an. »Sie sind schmal geworden. Ich werde darauf achten müssen, dass Sie hier ordentlich essen«, meinte er scherzhaft. »Auf jeden Fall freue ich mich, dass Sie hier sind.«

      »Vielen Dank, für die Einladung, auch ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen.« Nervös zupfte sie an ihrem Blusenkragen.

      »Ich bitte Sie, Katja, es ist mir eine Ehre.«

      Ihr wurde es warm ums Herz. Sie musterte ihn unauffällig. Sein volles Haar war in den letzten Monaten fast weiß geworden. Er sah für sein Alter immer noch gut aus. Groß und schlank mit wachen blauen Augen.

      »Ich musste mich überwinden, von zu Hause wegzugehen«, sagte sie ehrlich.

      »Dann freue ich mich umso mehr, dass Sie diese Reise gewagt haben«, entgegnete er charmant. »Bitte nehmen Sie Platz, meine Liebe, wir können gleich mit dem Essen beginnen.«

      Während sie sich setzten, ließ sie ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Die schweren Samtvorhänge vor dem Fenster schimmerten in einem warmen, rostbraunen Ton. In der Mitte des Raumes stand auf einem rot gemusterten Teppich ein ovaler Esstisch aus edlem, dunklem Holz. Auf weißen Platzdeckchen stand Geschirr für zwei Personen. Die Stühle waren mit weinrotem Stoff bezogen. Auf der Anrichte befand sich ein silberner Kerzenleuchter mit drei weißen Kerzen. Das Zimmer strahlte Gemütlichkeit aus.

      Ein Mädchen mit weißer Schürze und Häubchen stellte eine Platte mit Fleisch, verschiedenen Gemüsesorten, und kleinen Kartoffeln auf den Tisch.

      Katja verspürte ein nagendes Hungergefühl, als der verführerische Duft des Truthahnbratens, wie sie gleich erkannte, in ihre Nase stieg.

      »Das ist Sarah, sie hilft Mrs. Lindslay im Haushalt«, sagte der Professor und wandte sich an die Bedienstete. »Das ist Miss Berghoff. Sie wird eine Weile unser Gast sein.«

      Das Mädchen knickste artig, riskierte einen scheuen Blick, und wünschte einen angenehmen Aufenthalt.

      »Vielen Dank, Sarah«, erwiderte Katja freundlich.

      Während des Essens führten sie eine lockere Unterhaltung. Sie sprachen über ihre Reise, das Wetter und über das lecker zubereitete Mahl. »Es hat ausgezeichnet geschmeckt«, lobte Katja. Professor Graham nickte erfreut. »Ich gebe ehrlich zu: Mrs. Lindslay ist eine vorzügliche Köchin.«

      Nachdem sie die Mahlzeit beendet hatten, bat der Professor sie in das Kaminzimmer. »Lassen Sie uns noch ein Gläschen trinken und auf Ihre Ankunft anstoßen.«

      »Gerne«, entgegnete sie.

      Obwohl Mr. Graham den Raum als Kaminzimmer bezeichnet hatte, tat sich eher eine riesige Bibliothek vor Katja auf. Sie staunte. Die Wände waren bis zur Decke mit Regalen und Schränken zugestellt, in denen eine Menge Bücher untergebracht waren. An der mittleren Wand befand sich zwischen zwei Regalen ein aus Naturstein gemauerter Kamin. Das flackernde Feuer verbreitete eine angenehme Wärme. Über dem Sims hing das Porträt einer schönen Frau.

      Eine Weile betrachtete Katja das in Öl gemalte, Gold gerahmte Bild und schaute anschließend den Professor fragend an.

      Dieser nickte. »Ja, das ist Ann, meine verstorbene Gemahlin«, sagte er hastig und schlug seine Stirn sorgenvoll in Falten.

      Katja spürte, dass er auf dieses Thema nicht eingehen wollte. Sie unterließ es deshalb, weitere Fragen zu stellen.

      Unmittelbar danach lächelte er wieder. »Nun, was halten Sie von meiner Büchersammlung?«, fragte er stolz.

      »Ich bin beeindruckt. Es sind viel mehr, als ich erwartet hatte.«

      »Es wird eine Menge Arbeit auf Sie zukommen. Vielleicht sollten Sie es sich noch einmal überlegen«, meinte der Professor lächelnd.

      »Ganz und gar nicht. Es wird mir eine Freude sein und mich ablenken«, gab Katja zu verstehen.

      Tom Graham ging zum Barschrank und schenkte Whisky ein.

      »Für mich bitte nur einen kleinen Schluck. Ich bin Alkohol nicht gewohnt.«

      Der Mann lächelte verstehend und reichte Katja das Glas. Sie setzten sich vor den Kamin in die bequemen Ledersessel.

      »Das nenne ich konsequent«. Er prostete ihr zu. »Stört es Sie, wenn ich mir eine Pfeife anzünde?«

      »Aber nein! Mein Vater hatte auch hin und wieder eine Pfeife geraucht. In den letzten Jahren allerdings nicht mehr. Meine Mutter mochte diesen Geruch nicht. Ich fand ihn jedoch immer sehr angenehm.«

      »Na wunderbar.« Erfreut ließ das Feuerzeug schnappen. Er blies den Rauch genüsslich in die Luft und schaute Katja nachdenklich an.

      »Jetzt möchte ich aber wissen, wie es Ihnen wirklich geht?« Seine Stimme klang mitfühlend. »Sie versuchen geschickt ihre Trauer zu verbergen, aber mich können Sie nicht täuschen. Ich kann mir denken, dass Sie noch immer darunter leiden.« Er trank einen Schluck Whisky.

      »Sie haben mich durchschaut.« Katja blickte auf ihre Hände, mit denen sie das Glas umklammerte. »Ich komme einfach nicht darüber hinweg. Der Gedanke, meine Eltern nie mehr in den Arm nehmen zu können, ist unerträglich. Ich hoffe sehr, dass mich der Aufenthalt bei Ihnen ablenken wird.« Katjas Lippen zuckten verdächtig. In ihren rehbraunen Augen standen Tränen.

      »Das wird er sicher«, stimmte er ihr rasch zu. »Sie brauchen Menschen um sich herum, damit Sie auf andere Gedanken kommen.« Mr. Graham tätschelte väterlich ihre Hand.

      »Ich habe mich zu sehr zurückgezogen. Das hat es nicht leichter gemacht«, entgegnete Katja und tupfte sich beschämt die Tränen aus den Augen.

      »Sie haben es besonders schwer, weil es keine Verwandten gibt, die sich um Sie kümmern. Auch Ihre Großeltern leben nicht mehr.