Haus der Geheimnisse. Rita Hajak. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita Hajak
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738065367
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eben den letzten Bissen hinunter, was ihr ein kleines Lächeln entlockte.

      »Hallo, was ist los, du klangst so merkwürdig?« Markus schaute sie fragend an und streichelte ihr über das Haar. Solche Vertraulichkeiten waren Katja peinlich. Sie bat ihn herein und reichte ihm leicht errötend das Blatt Papier. Sie setzte sich auf den Stuhl und deutete mit einer Handbewegung an, er möge sich ebenfalls setzen.

      Neugierig forschte sie in seinem Gesicht, konnte jedoch an seiner Miene nicht erkennen, was er dachte. Nachdem er den Brief gelesen hatte, schaute er sie nachdenklich an. »Würdest du denn gerne reisen?« Er reichte ihr den Brief zurück.

      »Ich weiß es nicht. In England ist alles fremd für mich und so gut kenne ich den Professor nun auch wieder nicht«, gab sie zu bedenken. Mit einer hastigen Bewegung strich sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr.

      »Ich halte es für eine wunderbare Idee«, meinte er vorsichtig und nahm behutsam ihre Hände in die seinen.

      »Meinst du nicht, es täte dir gut, mal unter nette Leute zu kommen? Eine andere Umgebung kann Wunder wirken. Ich möchte dich endlich wieder lachen sehen.« Seine Worte klangen ernst.

      Katja blickte ihn zweifelnd an und zog rasch ihre Hände zurück.

      »Ich verlasse das Haus nur ungern.«

      »Du kannst jederzeit zurückkommen. War Professor Graham nicht ein gern gesehener Gast in eurem Haus? Ich dachte, ihr seid euch sympathisch?«

      »Das stimmt schon«, antwortete Katja zögernd, »aber ich war noch nie so weit weg von Daheim.« Nervös strich sie die mit Blümchen bedruckte Decke auf dem Küchentisch glatt.

      »Du brauchst nur anzurufen, und ich hole dich wieder ab, wenn es dir dort nicht gefällt.« Es sollte nach einem Scherz klingen.

      Katja ging nicht darauf ein. Sie lächelte unschlüssig. Langsam faltete sie den Brief zusammen und steckte ihn in den Umschlag zurück.

      Markus sprang vom Stuhl auf und ging in der Küche auf und ab. Dann blieb er vor ihr stehen. »Katja, du musst wieder unter Menschen. Nichts von dem, was geschehen ist, kannst du rückgängig machen.«

      »Willst du mich etwa loswerden?« Sie schaute ihn erschrocken an.

      »Auf keinen Fall«, entrüstete er sich. »Wenn du nicht willst, dann bleibe hier. Ich bin immer für dich da. Es ist deine Entscheidung.« Mit den Fingern fuhr er durch seine blond gewellten Haare. Eine Geste, die Katja schon oft aufgefallen war. Besonders dann, wenn er sich unsicher fühlte.

      Sie schwieg. In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander und sie konnte erkennen, wie Markus mit sich rang. Sie hatte den Eindruck, als wollte er ihr etwas sagen, ohne den Mut dazu zu finden.

      Katja erhob sich ebenfalls. Sie stand direkt vor ihm. Plötzlich spürte sie seine Hände, wie sie ihr Gesicht umschlossen, und fühlte seine Lippen auf ihren Mund.

      »Eines solltest du wissen, bevor du fortgehst.« Seine Stimme klang weich und zärtlich, als er ihr gestand: »Ich liebe dich!«

      Sie blickte ihn verwirrt an, fühlte sich überrumpelt. Ihre

      Stirn kräuselte sich in Falten. Sie trat einen Schritt zurück.

      »Markus, ich mag dich wirklich, aber das kommt jetzt sehr überraschend. Ich konnte nicht ahnen, dass du solche Gefühle für mich empfindest. Lass mir bitte Zeit zum Nachdenken.«

      »Ich gebe dir alle Zeit, die du brauchst«, antwortete er tapfer und steckte seine Hände in die Hosentaschen.

      Katja spürte, dass er enttäuscht war, aber sie konnte es nicht ändern.

      »Vielleicht hilft dir diese Trennung, über deine Gefühle klar zu werden«, meinte er.

      Sie nickte. Eine Weile überlegte sie. Ihr Blick wanderte zum Fenster hinaus. Ihr Elternhaus stand am Ende einer Reihenhaussiedlung, mit weitem Blick über die angrenzenden Wiesen und Felder. Die letzten Tautropfen der Nacht glitzerten in den Sonnenstrahlen, denen es gelungen war, den Dunst zu durchdringen. In der Ferne sah sie einen Mähdrescher hin und her fahren. Das goldene Korn war reif. Die Ernte hatte begonnen. Früher hatte sie diesen Ausblick genossen. Jetzt schaute sie traurig darüber hinweg. Es musste sich etwas ändern. Ihr Leben konnte so nicht weitergehen. Das war ihr inzwischen klar geworden.

      Entschlossen richtete sie sich auf. Ihre Schultern spannten sich, ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie hatte sich entschieden.

      »Ja«, sagte sie, »etwas Abstand wird mir guttun. Ich werde fliegen.« Markus würde sich damit zufriedengeben müssen. Es blieb ihm ohnehin nichts anderes übrig. Sie musste ihre Angelegenheiten wieder selbst in die Hand nehmen.

      Er versprach, sich um das Haus und das Grab ihrer Eltern, während ihrer Abwesenheit, zu kümmern.

      Sie umarmte ihn flüchtig und sagte: »Danke Markus, ich

      wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.«

      Am nächsten Morgen schickte sie Professor Graham eine

      kurze Nachricht mit ihrer Zusage und den Ankunftsdaten. Sie war überzeugt, dass sie sich richtig entschieden hatte. Der Professor rief sie daraufhin an. Es tat ihr wohl, seine vertraute Stimme zu hören. »Ich freue mich sehr, dass Sie kommen«, sagte er und versicherte ihr, dass ein Angestellter des Hauses sie mit dem Wagen am Bahnhof abholen würde. Das Ticket habe er bereits abgeschickt.

      Die nächsten Tage verbrachte sie in einem Zustand von Trauer, Hoffnung und Angst. Für die Reise hatte Katja alles Nötige in Windeseile erledigt.

      Markus schlüpfte in sein Jackett, nahm die Aktentasche unter den Arm und war er im Begriff, das Haus zu verlassen. Als er am Dielenspiegel vorbeikam, zögerte er und blickte bekümmert hinein. Ob es eine gute Idee war, Katja überredet zu haben, diese Reise anzutreten?

      Seine Mutter, die hinter ihn getreten war, schaute ihn fragend an. »Du hast doch was?«, stellte, sie mit mütterlichem Instinkt fest.

      Markus schaute auf die Uhr. »Nun denn, fünf Minuten habe ich noch«, sagte er und legte seine Aktentasche auf die Kommode.

      »Ich weiß nicht mehr weiter. Katja lässt mich nicht in ihr Herz schauen. Sie verschließt sich sofort, wenn ich sie auf ihre Trauer anspreche.«

      »Junge, sei nicht so ungeduldig. Lass ihr Zeit«, antwortete Frau Melzer. »Sei einfach nett zu ihr. Irgendwann wird sie einsehen, dass es Menschen gibt, die sie lieben. Du liebst sie doch, oder?«

      »Ja«, stöhnte Markus, »ich liebe sie. Aber das Schlimme daran ist, ich habe ihr geraten, die Einladung ihres ehemaligen Professors anzunehmen. Sie hat zugesagt. In einigen Tagen fliegt sie nach England.« Auch jetzt fuhr er sich wieder mit den Fingern durch sein Haar.

      »Du solltest den Dingen ihren Lauf lassen«, meinte Frau Melzer. Sie zündete sich eine Zigarette an und sog den Rauch tief in die Lungen. Danach blies sie ihn wieder langsam durch die Nase aus.

      Markus schüttelte unmerklich den Kopf.

      »Katja muss erst ihre Trauer bewältigen«, sprach sie weiter. »Sie ist offensichtlich noch nicht bereit für eine Bindung. Eine Bewährungsprobe kann nicht schaden. Warte dieses Jahr noch ab. In einigen Monaten kann sich viel ändern.« Sie tätschelte seine Wange.

      »Meinst du?« Er schaute sie nachdenklich an.

      »Ich meine das nicht nur, ich weiß das«, entgegnete sie.

      Er nahm seine Mutter in die Arme und drückte ihr einen Kuss auf die Wangen. »Dann will ich meiner klugen Mama mal glauben. Jetzt muss ich aber los, sonst verpasse ich meinen Termin.« Er öffnete die Haustür und drehte sich noch einmal zu seiner Mutter herum. »Und du, Mama, solltest nicht so viel rauchen.«

      »Ja, mein Junge«, hörte er sie noch sagen, bevor er die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ.

      Markus überquerte die Straße und ging zu seinem Wagen. Er konnte die Blicke seiner Mutter im Nacken spüren. Vermutlich stand sie wie immer hinter der Gardine und schaute ihm