Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
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die Lasttiere nicht mehr als ein lästiges Kitzeln.

      Betulich spannten sich die Zugseile. Ziel war es, ein schmaleres Turmsegment, das in das äußere Skelett eingelassen war, durch einen ausgefeilten Zugmechanismus in die Höhe zu ziehen. Am Ende dieses Prozesses sollte der Turm so weit in die Höhe ragen, wie die Schlucht breit war, um ihn anschließend wie eine Zugbrücke hinunter zu lassen.

      Wrax hatte keine Zeit mehr gefunden, den letzten Schritt dieses gefährlichen Vorhabens zu testen. Er zweifelte, dass es funktionieren würde. Eine einhundert Meter lange Brücke aus der Senkrechten so abzulassen, dass sie unbeschädigt blieb, war fast unmöglich.

      Innerlich hoffte er, dass dieses Vorhaben scheitern würde. Er glaubte nicht, dass die Brücke stabil genug sein würde. Doch für den Fall der Fälle war eine zweite Ausziehbrücke konstruiert worden, die als Ersatz fungieren sollte.

      Auf der anderen Seite des Abgrunds machte sich Besorgnis breit. Man wollte nicht den ersten Schritt machen. Man wollte nicht den ersten Schuss auf die Gorgens abgegeben. Keiner ahnte, dass es sich um ein Ablenkungsmanöver handelte.

      Lois glaubte eine Sekunde sogar, dass die Gorgens es sich anders überlegen würden. Vielleicht sogar überlaufen würden.

      Hektisch wurde versucht zu erspähen, was sich auf der gegenüberliegenden Seite der Barriere von Valheel ereignete. Ohne Erfolg. Die Gorgens bildeten direkt über dem Abhang eine über vierzig Meter hohe Mauer, die den Blick zur anderen Seite versperrte und hoch genug war, um die dort noch senkrecht stehende Brücke zu verbergen.

      Lois verlor die Geduld und gab den Befehl, unauffällig auf eines der geflügelten Wesen mit einer Armbrust zu schießen, um einen kurzen Blick zur anderen Seite zu erhaschen. Es wurde ein Opfer ausgewählt, und Lois richtete seinen Feldstecher auf den glücklosen Gorgen.

      Lautlos bohrte sich der Bolzen in den Leib seines Opfers, welches ohne Verzögerung in die Tiefe stürzte und so ein Loch in die Wand aus Gorgens riss. Es dauerte zwar nur Sekunden, bis die übrigen Gorgens die Lücke entdeckten und hastig schlossen, aber die Zeit reichte für Lois aus, um einen Teil des mittlerweile fast vollständig ausgefahrenen Amedium-Turms zu sehen.

      »Eine Zugbrücke! Sie wollen eine Brücke aufbauen!

      Durchbrecht die Formation und schickt die Orlocks los!

      Lasst sie die Seile durchbeißen!«

      Vier kanonenartige Röhren auf riesigen hölzernen Fahrgestellen wurden vorgefahren. Am hinteren Teil jedes Gefährts lagerte ein wuchtiges Fass, welches randvoll mit einer bläulichen Flüssigkeit gefüllt war.

      Einige Gorgens erahnten das Unheil und machten sich geschwind aus dem Staub in der Hoffnung, ihr Auftraggeber würde es nicht mitbekommen. Die große Mehrheit aber blieb standhaft.

      Zwei Hebel pro Kanone wurden von kräftigen Armen in kurzen Intervallen auf und ab bewegt. Nach ein paar Hebelbewegungen schossen riesige blaue Fontänen aus den Kanonen und ergossen sich über die an vorderster Front fliegenden Gorgens. Fackelträger entzündeten die ausgespuckte Flüssigkeit an den Kanonenenden, und eine Flammenhölle brach los.

      Blau leuchtende Feuerwalzen brachen über die Gorgenarmee herein und steckten unzählige von ihnen in Brand. Die Schlucht wurde von markerschütternden Schreien erfüllt, welche an den Felswänden widerhallten.

      Nackte Panik breitete sich aus, und die Formation löste sich rasch auf.

      Ein Großteil der Gorgens floh in alle Himmelsrichtungen. In Flammen stehende Gorgens versuchten noch, sich in ihrer Verzweiflung an den Klippenrand zu retten, doch die meisten von ihnen trudelten in den Abgrund. Durch den Schock war für viele oben und unten nicht mehr zu unterscheiden.

      Unter Ihnen war auch Feuerwind. Sein Entgelt für seine Suche nach dem Zeittor würde er nie erhalten. So war er gezwungen gewesen, zusammen mit den anderen an der Barriere von Valheel an vorderster Front Stellung zu beziehen.

      Nun machte er seinem Namen auf tragische Weise alle Ehre. Vom Feuer verschlungen führte ihn sein letzter Flug in den Tod, der ihn in dreihundert Metern Tiefe erwarten würde.

      »Verflucht! Sie haben den Trick durchschaut«, bemerkte Koros auf der anderen Seite der Schlucht abgestumpft.

      »Los! Beeilt euch gefälligst! Lasst die Brücke endlich runter!«

      Fassungslosigkeit und Entsetzen beherrschten den Berater Wrax, als er mitansehen musste, wie ein Gorgen nach dem anderen brennend und schreiend in den Abgrund stürzte. Seinen Ersten ließ das Sterben kalt.

      »Ihr müsst sie da rausholen, Erster. Seht Ihr denn nicht, dass sie keine Chance haben?«

      »Schweig! Sie werden so lange die Stellung halten, bis die Brücke unten ist! Die meisten dieser erbärmlichen Feiglinge sind eh schon geflohen.«

      »Das dauert viel zu lange! Bis dahin sind sie entweder verbrannt oder entkommen. Es hat keinen Sinn! Ich flehe Euch an, Erster! Holt sie zurück!«, bettelte Wrax mit Tränen in den roten Augen.

      »Wie klein du doch geworden bist, Wrax! Gerade von dir hätte ich mehr Standfestigkeit erwartet. Du bist eine einzige Enttäuschung. Geh mir aus den Augen und hör auf zu winseln.«

      »Mitgefühl zu zeigen, ist kein Zeichen von Schwäche!«

      »Ich sagte: Geh mir aus den Augen!«, schrie Koros so laut, dass es sogar die Schreie von der anderen Seite der Schlucht übertönte.

      Wrax ging.

      Lois wollte kein Gemetzel veranstalten. Er wollte nur ein paar ausreichend große Lücken in die Gorgenblockade schießen, um die Gorgens in die Flucht zu schlagen und um seine Orlocks durchschlüpfen zu lassen.

      Orlocks waren schlanke flugfähige Nagetiere mit einem pfeilförmigen Körperbau. Diese Tiere waren Tarnungskünstler. Wenn sie an Bäumen nach Nahrung suchten, verstanden sie es hervorragend, sich der Farbe der Borke anzupassen. Sie sollten sich nun an die Zugtaue der Borus haften und diese Seile dann durchbeißen, damit die Brücke unkontrolliert herabfallen und zerstört werden würde.

      Sie zu züchten und zu dressieren war eine Lebensaufgabe. Deshalb schätzte Lois sie besonders. Sie waren seine Geheimwaffe. »Schickt sie rüber!«

      Ein kleiner Schwarm der fliegenden Nager nutzte das Chaos in der Gorgenarmee und passierte sie unbemerkt.

      Auch die anderen Anführer der übrigen Häuser der Ahnenländer schickten die Geheimwaffe los.

      »Stellt das Feuer ein!«, befahl Lois.

      Es waren nur noch wenige Gorgens übrig geblieben. Die meisten waren geflohen. Einige hatte der Tod ereilt.

      Lois überprüfte seinen Geist. Er wollte feststellen, ob seine Gedanken von Koros abgehört wurden. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass seine Gedanken ihm alleine gehörten. Der Herrscher war anscheinend anderweitig beschäftigt.

      Und das war tatsächlich der Fall. Koros schrie wie von Sinnen auf die Bändiger der Borus ein. Sämtliche knapp einhundert Borus waren mittlerweile allesamt vor die gänzlich ausgezogene Brückenkonstruktion, welche bereits in einen spitzen Winkel gesenkt worden war, an insgesamt zehn Seilen gespannt. Je weiter die Brücke herabgelassen wurde, desto größer wurde das Zuggewicht, dem die Lasttiere standhalten mussten.

      Obwohl Koros am liebsten die Peitschen bei den Bändigern selbst verwandt hätte, ließen sich diese nicht aus der Ruhe bringen, da sie genau wussten, dass ein zu rasantes Vorgehen die Brücke zerstören würde.

      Während der Herrscher noch seine Stimmbänder bis zum Äußersten reizte und die Brücke Zentimeter für Zentimeter unter Ächzen und Knarzen gesenkt wurde, landeten die Orlocks unbehelligt auf den dicken Seilen aus Hanf und begannen sogleich mit der Arbeit. Ihre scharfen Zähne schnitten sich mühelos durch die Fasern.

      Schnell schrumpfte das erste Seil an der Bissstelle auf ein Zehntel seiner Ursprungsdicke. Erst als es der Spannung nicht mehr widerstehen konnte