Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
Скачать книгу
Er konnte nichts hören. Gar nichts. Nicht einmal einen Vogel. »Ich glaube kaum, dass sich noch jemand außer uns hierher in diese Wildnis verirrt hat.«

      »Ich bin mir aber sicher, dass ich etwas gehört habe.«

      Sie befanden sich erneut in einem dichten Wald, der aus den gleichen Bäumen bestand, wie der, in den ihre Gondel abgestürzt war.

      Sie horchten weiter. Und dann hörten sie beide etwas: »Nein, nein! Lasst mich in Ruhe!«, schrie eine Stimme aus weiter Ferne.

      Niemand war zu sehen. Antilius spannte seine Muskeln an. »Da stimmt was nicht. Da ist jemand in Gefahr.«

      Sofort rannte er los in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Pais versuchte, so schnell wie möglich, ihm zu folgen.

      »Haut ab!«, schrie die Stimme jetzt sehr deutlich.

      Antilius erreichte eine Lichtung und stoppte kurz davor seinen Spurt, um sich hinter einem dicken Baumstamm zu verstecken. Er wollte zunächst die Lage sondieren.

      Vier Gorgens waren dabei, einen Sortaner einzukreisen.

      »Geht das nicht in euer verfaultes Gehirn rein? Ich habe keine Ahnung, wovon ihr sprecht«, wehrte sich der Sortaner mit dünner Stimme.

      Es war Haif Haven.

      »Wie kommt der denn hier her?«, murmelte Antilius zu Gilbert, dessen Spiegel in seiner Brusttasche steckte.

      »Sag uns doch einfach, wo du hin willst. Das ist alles. Dann lassen wir dich auch wieder in Ruhe. Versprochen«, zischte einer der Gorgens unehrlich. Seine Art zu sprechen war nicht menschlich. Ihn zu verstehen war äußerst schwierig. Es war, als wenn eine Mischung aus einer Fledermaus und einer Echse versuchte zu sprechen.

      Zwar waren Gorgens in der Lage, normal zu sprechen, aber diese Exemplare hier waren offenbar schon ziemlich verwahrlost.

      »Ich suche Pilze. Wie oft soll ich das denn noch sagen?«, versuchte Haif die Gorgens zu täuschen.

      »Du sollst uns eine Antwort geben, die uns auch gefällt. Möchtest du vielleicht noch einmal deine Antwort überlegen?«

      Mit schlangenartigen Bewegungen umschlich der Gorgen Haif. Er wollte ihm bewusst Furcht einflößen. Das war nicht besonders schwer. Sortaner waren ohnehin sehr ängstliche Zeitgenossen.

      »Du denkst, du bist clever? Du denkst, du kannst uns austricksen?«

      Haif versuchte, Stärke zu zeigen, um den Gorgens zu beweisen, dass er sich nicht so leicht einschüchtern ließ, aber das Beben in seiner Stimme verriet seine Aufregung.

      »Das bringt nichts! Was sollen wir jetzt mit ihm machen?«, wollte der zweite Gorgen wissen und zuckte ungeduldig mit seinen lederartigen Flügeln.

      »Das kommt ganz auf dich an, kleiner, dicker Sortaner«, sagte der erste. Er setzte dabei ein boshaftes Grinsen auf, das sein komplett schwarzes Ledergesicht in eine grässliche Fratze verwandelte.

      »Der Wald kann sehr gefährlich sein«, fuhr er fort. »Wenn man nicht immer genau aufpasst, wo man hintritt, kann es leicht passieren, dass man hinfällt. Und sich schlimmstenfalls ein Bein bricht. Stell dir nur vor: Du hier ganz allein im Wald mit einem gebrochenen Bein und niemand ist da, um dich zu retten. Was wird wohl mit dir geschehen? Du könntest verhungern. Ein langsamer und qualvoller Tod. Aber wenn du Glück hast, finden dich die Piktins und werden dich zu einem Festmahl einladen. Wobei du natürlich das Mahl sein wirst!«

      Alle vier Gorgens lachten hysterisch.

      Das wirkte. Haif begann am ganzen Leib zu zittern. Seine Fellhaare sträubten sich auf. »Ich ... ich habe keine Angst vor euch«, quiekte er mit letzter Kraft und hämmerndem Herz.

      Die Gorgens schreckten nicht vor Gewalt zurück. Diese Erfahrung hatte Antilius schmerzhaft machen müssen. »Was machen wir jetzt, Gilbert? Wie sollen wir ihm helfen?«

      »Ich weiß nicht. Das Geflügel da hinten ist in der Überzahl.«

      »Du hast recht. Ach, dieser Dummkopf!«

      »Kennst du ihn?«

      »Ich habe kurz im Hafen ein paar Worte mit ihm gewechselt. Wir waren zusammen auf dem Schiff, mit dem ich auf Truchten angekommen bin.«

      Ein Gorgen begann, Haif unsanft zu schubsen. »Ich denke, wir müssen jetzt härtere Maßnahmen ergreifen. Was meint ihr?«, schnaubte der erste Gorgen. Er war wohl der Anführer der Gruppe.

      Haif stieß einen schrillen Angstschrei aus.

      »Was machen die jetzt?«, fragte Antilius.

      »Gilbert wich einen Schritt von seinem Spiegel zurück.

      »Na ja, wenn er Glück hat, brechen sie ihm nur ein Bein.«

      Die Gorgens zogen ihre Schlinge immer enger zu.

      »Halt. Sofort aufhören!«, rief Antilius intuitiv. Er trat aus seinem Versteck hervor. Nur etwa fünfzehn große Schritte trennten ihn von den Aggressoren.

      Blitzartig fuhren die Gorgens herum.

      Um den Hals des zweiten baumelte ein Kompass an einer Schnur. Er gehörte Antilius. Es waren dieselben Kreaturen, die ihn auf dem Denkmalplatz überfallen hatten.

      »Ach, sieh an! Wen haben wir denn da? Du hast wohl noch nicht genug von uns?« Mit einer unscheinbaren Handbewegung bedeutete der erste Gorgen zwei seiner Gehilfen, zum Angriff überzugehen.

      »Das war wohl keine gute Idee, Meister«, sagte Gilbert.

      Langsam und selbstbewusst rückten die beiden Gorgens, die bisher untätig geblieben waren und nichts gesagt hatten, zu Antilius vor. Die anderen beiden behielten Haif im Auge.

      »Das würde ich mir an eurer Stelle noch einmal überlegen!« Verunsichert schauten sich die Gorgens nach der fremden Stimme um.

      Es war Pais, der auf der Bildfläche erschien. Er hielt eine kleine Armbrust im Anschlag, die er zuvor aus seiner Reisetasche hervorgezaubert hatte. Er zielte auf den ersten Gorgen, der das Kommando innehatte.

      Keines der schwarzen Geschöpfe rührte sich.

      »Bitte! Es besteht doch kein Grund zur Gewalt«, sagte der Anführer unsicher.

      Pais grinste breit. »Das sehe ich anders«, sprach er und drückte ohne das geringste Zögern den Abzug.

      Der Bolzen schoss auf den Anführer zu, der im Begriff war zu fliehen und die Flügel aufspannte. Und genau das war sein Fehler. Das Geschoss fetzte ein Loch in die rechte Flügelhaut.

      Ein markerschütternder Schrei hallte durch die klamme Luft. Der Gorgen fasste sich mit seinem linken Arm an den verletzten Flügel und sackte auf die Knie. Währenddessen nutzten die anderen drei diesen Moment zur Flucht und hoben ab. Wie es den Anschein hatte, waren nicht nur Sortaner bekannt für ihre Ängstlichkeit.

      Der verletzte Gorgen versuchte, sich wieder aufzurappeln und taumelte dabei ein paar Schritte zurück. Haif, der hinter ihm stand, streckte geistesgegenwärtig sein Bein aus. Der Gorgen stolperte darüber, verlor das Gleichgewicht und stürzte nach hintenüber. Zu seinem Unglück prallte er mit seinem Kopf gegen einen Baum. Ein dumpfer Schlag gegen das Holz setzte ihn endgültig außer Gefecht.

      Haif triumphierte: »Na, wer ist jetzt hier der Dumme?«

      Erst als sich das Geschöpf nicht mehr bewegte, holte Antilius wieder Luft. »Pais, wo hast denn die Armbrust her?«, fragte er erstaunt.

      »Was meinst du wohl, warum ich nicht mit dir Schritt halten konnte?«

      »Aber ich hätte sie doch für dich tragen können.«

      »Das verstehst du nicht«, mischte sich Gilbert ein. »Pais und seine Armbrust, das ist eine sehr lange Liebesgeschichte.«

      »Gilbert, halt die Klappe!«

      Antilius eilte zu Haif herüber. »Alles in Ordnung?«

      »Ja. Danke, mir geht es gut. Ihr habt mir wohl das Leben gerettet.«