Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
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wie schon gewohnt, kannte kein Mitleid: »Pais, Pais, Pais«, sagte er kopfschüttelnd. »Wenn du so weiter machst, wirst du dich noch wirklich ernsthaft verletzen.«

      Jetzt platzte Antilius der Kragen: »Schluss jetzt! Ihr benehmt euch ja wie zwei kleine Kinder. Ach, was rede ich, Kinder würden sich nicht so albern verhalten. Wegen euch beiden Tölpeln sind wir abgestürzt. Mitten im Wald, wo es fleischfressende Piktins gibt. Und die Karte haben wir auch verloren. Aber das interessiert euch ja nicht. Nein! Ihr müsst euch ja um euren Kleinkrieg kümmern!«

      Beschämte Stille folgte. Pais wischte sich den Schmutz aus dem Gesicht und sah beschämt zu Boden. Er ärgerte sich, dass er sich von Gilbert dermaßen hatte provozieren lassen.

      Doch dann beschloss Gilbert, die Stille wieder zu durchbrechen. »Sieh nur, was du angerichtet hast«, sagte er leise zu Pais.

      Antilius fasste sich nur noch an den Kopf. Gilbert wusste einfach nicht, wann es genug war.

      Pais hob erschöpft den Kopf und schaute mit leeren Augen in den kleinen unscheinbaren Spiegel. Dann begann er langsam zu grinsen. Gilbert zog ebenfalls die Mundwinkel hoch, und es dauerte nicht lange, bis sie beide in ein befreiendes Gelächter ausbrachen.

      Antilius verstand die Welt nicht mehr.

      Er war aber froh, dass dieser Disput, zumindest vorübergehend, aus der Welt geschafft war.

      Pais ließ sich wieder auf die Beine helfen. Ein großes Loch klaffte in seinem linken Hosenbein. »Verdammt!«

      »Bist du dir auch sicher, dass du dir nichts getan hast?«, fragte Antilius fürsorglich.

      »Ja, ja. Ich bin mir ganz sicher. Es wird schon gehen«, sagte er sichtlich besserer Stimmung.

      Er rieb sich Erde aus den Augen.

      »Tja, wie es aussieht, müssen wir zu Fuß weitergehen und uns auf unseren inneren Kompass verlassen. Wir gehen am besten in die gleiche Richtung, in welche die Schiene zuletzt geführt hat und richten uns nach der Sonne.«

      »Was meinst du, wie lange wird der Fußmarsch wohl dauern?«

      »Ich bin mir nicht sicher, aber ich denke, dass wir mindestens ein Drittel der Strecke mit der Gondel bereits zurückgelegt haben. Aber bevor wir uns auf den Weg machen, werde ich erst mal nachsehen, ob mein Reisebeutel noch in der Gondel ist, denn ich muss versuchen, meinen kaputten Schuh wieder zu flicken. Und barfuß durch das Gehölz zu stapfen, wäre sicherlich nicht gerade eine Freude.«

      Antilius war ein wenig neidisch auf Pais, weil er selbst kein eigenes Gepäck mehr besaß. Glücklicherweise hatte Pais ihm die wichtigsten Dinge, die man für eine derartige Reise benötigte, geliehen und ihm einen Rucksack gegeben. Sein Zelt hatte er im Haus von Brelius Vandanten zurückgelassen, denn es wäre eine zu schwere Last gewesen. Sie wollten im Freien übernachten.

      »Na ja«, sagte er zu sich selbst, »wenigstens habe ich noch beide Schuhe.«

      Er hob den Spiegel auf und steckte ihn sich wieder in die Brusttasche, die ebenfalls durch den Sturz ein wenig lädiert war.

      »Gilbert, ich schwöre dir, wenn du so etwas je wieder machen solltest, wirst du sehr bald sehr allein sein.«

      Gilbert nahm die Warnung ernst, zog es allerdings in diesem Moment vor, zu schweigen, um sich selbst oder seinen Meister nicht wieder unabsichtlich in Schwierigkeiten zu bringen.

      Stunden waren vergangen.

      Marschieren. Marschieren. Nichts als Marschieren.

      Der Waldboden war überwiegend bedeckt mit einem fleischigen Teppich aus dunkelgrünem Moos. Es war so dicht und eben, dass man umgestürzte Bäume oder einen Fuchsbau darunter nicht einmal mehr erahnen konnte.

      Die Bäume waren nicht besonders hoch, dafür aber stark und schienen mit jedem Meter, den sie liefen, größer zu werden. Antilius konnte die meisten Baumarten nicht bestimmen. Er kannte sie nicht. Nichts kannte er hier. Es war alles anders als in seiner Heimat, der Vierten Inselwelt. Es war fremd. Und trotzdem war es unheimlich faszinierend.

      Er befürchtete, dass sie bei diesem Tempo wohl noch Dutzende von Tagen unterwegs sein würden.

      Hoffentlich hält Pais durch, dachte sich Antilius, denn der alte Mann schnaufte ziemlich laut und schien schnell zu ermüden. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte ihn nicht mitgehen lassen. Und noch während er darüber nachdachte, plumpsten sie regelrecht aus dem Baummeer heraus in eine offene Ebene. Direkt dahinter lag ein gewaltiger tiefblauer See. Er war so groß, dass sie dessen Ende am Horizont nur schemenhaft ausmachen konnten. Eine blutorangefarbene Sonne strotzte knapp über dem wolkenlosen Horizont. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages ließen glitzernde Punkte auf dem Wasser tanzen.

      Die grasbewachsene Hügelkette, die fast den ganzen See umgab, wirkte in dem Abendlicht wie ein warmer Schal, der sich um das Wasser legte.

      Antilius hatte noch nie zuvor so ein atemberaubendes Panorama gesehen. Es strapazierte regelrecht die Sinne. Ein perfekter Ort, um hier die Nacht zu verbringen.

      Pais nahm dankbar auf einem großen Stein Platz, der sich als bequemer herausstellte, als er aussah. Er seufzte. »Ach! Hier ist es wunderschön. Hier nicht zu rasten, wäre eine Beleidigung für die schöne Landschaft.«

      »Keine Sorge, Pais. Für heute sind wir genug gewandert. Hier können wir unsere Kräfte wieder auffrischen. Wir werden sie garantiert noch brauchen. Ich werde Feuerholz sammeln«, sagte Antilius und gab den Spiegel an Pais, der ihn nur widerwillig annahm.

      »Ich bin völlig erledigt«, schnaufte der alte Mann.

      »Ja, das war wirklich ein äußerst anstrengender Tag«, pflichtete ihm Gilbert bei und fing sich damit einen irritierten Blick ein.

      »Was hat dich denn bitte heute so sehr angestrengt? Etwa mich zu erniedrigen oder uns fast in den Tod zu schicken?«

      »Nun sei mal nicht so ungemütlich! Ich sagte dies lediglich aus einem Gefühl freundschaftlicher Anteilnahme heraus.«

      »Du spinnst doch.«

      »Du auch.«

      Pause.

      »Musst du eigentlich immer das letzte Wort haben, Gilbert?«

      Pause.

      »Ja.«

      Pais schüttelte verärgert den Kopf und schwieg.

      Nachdem das Feuer entzündet war und Pais und Antilius ihre Wegrationen aufgegessen hatten (noch herrlich frisches Landbrot mit Käse), legten sie sich auch sogleich schlafen.

      Die Nacht verlief ruhig. Antilius war es nicht gewohnt, im Freien zu übernachten. Mehrmals wachte er in der Nacht auf, weil er meinte, etwas gehört zu haben. Vor allem die Piktins, die es hier geben sollte, machten ihm Angst. Aber Pais’ Schnarchen war wahrscheinlich so laut, dass es wohl jedes Lebewesen in einem kilometerweiten Umkreis verschreckte.

      Nach zehn weiteren Tagen der Wanderung war es mit der Motivation der Reisenden nicht gerade zum Besten bestellt.

      Den See hatten sie schon weit hinter sich gelassen und mit jedem weiteren Schritt wuchs die Unsicherheit, ob sie auch wirklich die richtige Richtung eingeschlagen hatten.

      An diesem elften Wandertag hatte es den ganzen Morgen nur gegossen und am Spätnachmittag waren sie immer noch völlig durchnässt.

      Pais fiel immer weiter zurück. Ein derart langer Marsch war für ihn eine harte Bewährungsprobe. Er war an der Grenze seiner Kräfte, aber sein unglaublich eiserner Wille trieb ihn weiter voran.

      Dann bekam er auf einmal einen Krampf in der rechten Wade und musste sich auf den Boden setzen. Nachdem der Schmerz wieder ein wenig nachgelassen hatte, bemerkte er, dass auch Antilius weiter vorn stehen geblieben war und regungslos etwas beobachtete. Pais humpelte zu ihm. »Was ist los?«, flüsterte er.

      »Ich glaube, ich habe Stimmen