Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe). S. G. Felix. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S. G. Felix
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095289
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was ich meine. Angeblich ist Brelius doch dein bester Kumpel, mit dem du in liebevoller Handarbeit diese putzigen Würmchen aufgezogen hast.«

      »Es sind Käfer.«

      »Wie auch immer. Du hast ihn so lange gekannt und willst die ganze Zeit nichts davon mitbekommen haben, dass er langsam in die Verrücktheit abgeglitten ist und vielleicht deine Hilfe gebraucht hat?«

      »Du widerlicher kleiner ... Wie kannst du es wagen? Ich war verreist, das habe ich doch gesagt!«

      »Ich wette, du warst zu betrunken, um irgendetwas wahrnehmen zu können, das um dich herum geschah.«

      Das war zu viel für Pais. Er riss Gilberts Spiegel an sich und drückte ihn sich an die Nase, um dem kleinen Mann darin unmittelbar in die Augen starren zu können.

      »Das muss ich mir nicht bieten lassen, von einem Feigling wie dir!«, tobte er.

      Antilius verfolgte verblüfft den Streit, der die Beziehung zwischen Pais und Gilbert als äußerst schwer verständlich entpuppte.

      »Ich bin kein Feigling, du Fettwanze!«, brüllte Gilbert aus Leibeskräften zurück.

      »Schluss jetzt!«, schrie Antilius vergeblich. »Vertragt euch wieder!«, befahl er und kam sich dabei selbst ein wenig idiotisch vor.

      »Nicht mit diesem geisteskranken alten Mann!«, kochte Gilbert mit hasserfüllten Augen.

      »Das reicht!«, brüllte Pais und holte mit dem Spiegel im Arm aus. »Deine Reise ist hiermit beendet!« Er wollte den Spiegel aus der Gondel werfen.

      Antilius versuchte, seinen Arm festzuhalten, was sich zu seiner Überraschung als sehr schwierig erwies. Pais war um einiges stärker, als er nach außen wirkte.

      »Pais, hör sofort auf! Was soll denn das?«

      »Lass mich los! Ich werde uns von diesem verfluchten Ding samt Inhalt endlich befreien.«

      Es kam zu einem heftigen Handgemenge. Antilius zog, zerrte und rüttelte mit beiden Händen an Pais’ Arm, und versuchte, ihm dabei den Spiegel aus der Hand zu schlagen.

      »Du bist ja völlig wahnsinnig!«, wehrte sich Gilbert. Eine Entschuldigung kam für ihn nicht in Frage, obwohl er fürchtete, allein in den Wäldern zu enden. Manchmal, wenn er sich mit Pais stritt, dann kannten beide kein Halten mehr.

      Was die beiden Kontrahenten im Kampf um den Spiegel nicht bemerkten, war ein uraltes, aber trotzdem gut erkennbares Hinweisschild aus verwittertem Metall am Streckenrand, welches bescheiden darauf hinwies, dass in einigen Hundert Metern die Schiene abrupt enden werde. Die Gondel raste zu diesem Zeitpunkt etwa zwölf Meter über der Erde über die Baumwipfel des dichten, endlos scheinenden Laubwaldes hinweg.

      »Leb wohl Gilbert. Ich hoffe, du hast da unten viele Jahrzehnte zum Nachdenken, mit wem du dich das nächste Mal anlegst!«, rief Pais, während er sich unermüdlich von Antilius’ Griff loszureißen versuchte.

      »Pais, lass sofort los, oder …« Antilius konnte seinen verzweifelten Beschwichtigungsversuch nicht zu Ende aussprechen, denn er war der Erste, der das drohende Unheil kommen sah: Das Ende.

      Immer noch an Pais’ Arm festgeklammert, starrte er ungläubig in die Fahrtrichtung der Gondel und versuchte verzweifelt, eine Fortführung der Schiene auszumachen. Aber da war nichts. Ein paar Dutzend Meter noch, bis die Schiene abrupt endete.

      »Bremsen!«, schrie er panisch. Er ließ von Pais ab, umklammerte den Bremshebel des Gefährts mit beiden Händen und riss ihn herum. Die Bremsklötze an den Laufrädern oberhalb der Gondel reagierten sofort. Ein ohrenbetäubendes metallisches Quietschen dröhnte durch den schweigenden Wald. Pais hatte nun auch realisiert, was geschehen würde, wenn die Gondel nicht rechtzeitig zum Stillstand kommen würde. Durch die extreme Bremswirkung schwang der Korpus des Fahrzeugs wie bei einer Schaukel nach vorne, sodass Antilius und Pais gen Himmel schauten. Sie konnten nur noch abschätzen, wann die Schiene enden würde. Doch selbst die kühnste Schätzung hätte nicht ausgereicht, um einen sicheren Halt vorherzusagen. Die Fahrtgeschwindigkeit war viel zu hoch und der Bremsweg der Gondel viel zu lang.

      Pais ließ vor Panik Gilberts Spiegel zu Boden fallen und ergriff ebenfalls den Bremshebel. Doch auch die vereinten Kräfte blieben erfolglos.

      Am bitteren Ende brach die Aufhängung der Gondel an einem Querbolzen in der Schiene mit einem ohrenbetäubenden Knall ab und das Gefährt stürzte, begleitet von einem Synchronschrei des Entsetzens, in das dichte Meer von Baumkronen.

      Antilius’ Kopf stieß gegen eine der Seitenverstrebungen der Gondel. Er sah die Baumkronen auf sich zurasen. Etwas schlug ihm wie eine Ohrfeige an den Kopf.

      Dann verlor er das Bewusstsein.

      Der Aufprall auf dem verwurzelten Erdreich war hart. Aber er hätte noch härter sein können, wenn die vielen belaubten Äste der Waldbäume den Sturz der Gondel nicht abgefangen hätten. Die Beule, die auf Antilius’ linker Kopfseite zu wachsen begann, würde ihm noch viele Tage Schmerzen bereiten. Eine ganze Weile lang blieb er regungslos in dem Amedium-Schrotthaufen liegen, ehe sich das Schwarz vor seinen Augen wieder lichtete. Vorsichtig tastete er sich ab, ob er sich irgendetwas gebrochen hatte.

      »Mann, habe ich ein Glück!«, stellte er schließlich nach einigen Minuten verblüfft fest. Nichts gebrochen. Nur eine Beule am Kopf und ein paar blutige Schrammen an Gesicht und Hals. Und das linke Handgelenk schmerzte ein wenig bei Bewegung. Rasch kletterte er aus der zerstörten Gondel und kontrollierte noch einmal Arme und Beine. Alles in Ordnung.

      Wo war Pais?

      Wo war Gilbert?

      Pais musste aus dem Fahrzeug herausgeschleudert worden sein.

      Ein schmerzerfülltes Stöhnen führte ihn schließlich zu ihm.

      Er fand ihn auf dem Bauch liegend vor. Mit dem Gesicht im Dreck.

      »Pais, ist alles in Ordnung?«, fragte Antilius besorgt und kniete sich neben ihn.

      »Oh! Ich glaube, sämtliche Knochen in mir sind zersplittert«, wimmerte er.

      Antilius zuckte zusammen. »Was? Lass mich mal sehen.«

      »Nein. Geh! Du musst die Welt retten. Lass mich hier einfach zurück. Ich bin wohl doch zu alt für solche Abenteuer.«

      »Du spinnst wohl! So schlimm kann es nicht sein.«

      »Nein, nein. Für mich ist es vorbei.«

      »Hör gefälligst auf, dich so jämmerlich zu beklagen, du alter, fauler Sack!« Nur einer konnte solch böse Worte von sich geben: Gilberts Spiegel war nach dem Absturz der Gondel nicht unweit von Pais’ Liegeposition entfernt gelandet. Zufälligerweise lehnte der Spiegel aufrecht an einem schmächtigen, vertrockneten Ast, sodass Gilbert das vermeintliche Elend, das Pais amateurhaft darbot, mit Abscheu begutachten konnte.

      »Na los, steh schon auf, du Faulpelz! Ich habe ganz genau gesehen, dass du im Gegensatz zu meinem Meister ganz weich gelandet bist. Deine dicken Knochen haben sicherlich keinen Schaden davongetragen.«

      Daraufhin erhob - mit einem scheinbar letzten Funken von Würde - Pais seinen Kopf aus dem matschigen Untergrund. Seine Augenlider weiteten sich ganz langsam und seine Pupillen verkleinerten sich.

      Antilius konnte nur erahnen, welchen Grad der Wut der alte Mann gerade durchlebte, aber er schien ihn auf wundersame Weise wiederbelebt zu haben.

      Als Gilbert schließlich, nachdem er das mit feuchter Erde beschmierte Gesicht des am Boden Liegenden gesehen hatte, in schallendes Gelächter ausbrach, explodierte Pais.

      Mit einem Kampfschrei schoss er in die Höhe und wollte auf den Spiegel zuhechten, um ihn endgültig zu zerstören. Doch ein Schuh, der sich beim Absturz von seinem rechten Fuß halb gelöst hatte, machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Er stolperte und fiel strauchelnd erneut zu Boden. Wieder mit dem Gesicht in den Dreck.

      Obwohl es unfair war, konnte Antilius sich ein kleines gepresstes Grinsen nicht verkneifen. Er eilte jedoch sogleich zu ihm, um ihm wieder hoch zu helfen, doch Pais winkte energisch