Telepathenaufstand. Sören Kalmarczyk. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sören Kalmarczyk
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754946770
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hatte ihm drei Tage vorher angeboten, dass er eine Praxis für Psychotherapie eröffnen könne.

      „Seien wir ehrlich“, hatte Merlin gesagt, „Sowas, wie diese Boutique hier oder eine Kampfsportschule, das überlebt die Maßnahmen der Politik einfach nicht.“

      Magdalena warf ein: „Du hast Psychotherapie und mehr studiert. Warum? Weil du Menschen helfen willst! Wir könnten die Praxis gemeinsam aufbauen. Ich habe viele Patienten, die ambulant bei dir weiterbetreut werden können.“

      Alexander war unschlüssig, doch er fand die Idee sehr interessant. Er hing an seiner Karateschule, sie war sein Baby.

      Aber Magdalena hatte Recht. Warum hatte er damals Psychotherapie studiert und die ganzen Aufbaulehrgänge belegt?

      Als sie zu Hause angekommen waren und aus dem Auto stiegen, sagte Adriano: „Wenn du dich für keinen von zwei Wegen entscheiden kannst, nimm den dritten.“

      „Wo hast du denn das her?“, Alexander schaute ihn übers Auto hinweg an.

      Adriano zuckte mit den Schultern. „Irgendwo mal aufgeschnappt.“

      Beim Abendessen spielten sie dann wieder Ideen-Ping-Pong. Sie warfen sich eine Idee zu und der jeweils andere feilte etwas daran. Dann warf er sie wieder zurück und immer so weiter.

      Diese Technik, eine gemeinsame Idee zu entwickeln, hatten sie schon vor Jahren entwickelt. Egal, ob es darum ging, sich einen Schrebergarten zu kaufen, in den Urlaub zu fahren oder die Wände zu streichen. Sie warfen sich die Ideen hin und her, bis sie beide mit dem Ergebnis zufrieden waren. Wenn Josephine dabei war, saß sie meistens still zwischen den beiden und bewunderte einfach nur den Prozess.

      Das heutige Spiel endete mit der Idee, die Karateschule zunächst weiterzubetreiben, aber nur noch zweimal in der Woche. An den anderen drei Tagen wollte er als Psychotherapeut arbeiten und Menschen helfen. Vor allem seine Online-Sprechstunde war eine Idee, die von beiden gleichzeitig gekommen war.

      Steffi betrat eine psychologische Praxis und sah sich neugierig um.

      „Tut mir leid, wir können zurzeit keine neuen Patienten aufnehmen“, tönte eine freundliche Stimme vom Empfang.

      „Ach, das ist kein Problem“, meinte Steffi und schaute der Praxishilfe dabei tief in die Augen.

      In wenigen Sekunden kopierte sich Steffi alles Wissen und Erfahrung der anderen Frau. Das war Magdalenas Idee gewesen. Als ausgebildete Einzelhandelskauffrau kannte Steffi schon viele der Grundlagen und stellte schnell fest, dass der Unterschied zu einer Praxishilfe gar nicht so groß war, wie sie dachte.

      Sie wiederholte das Ganze noch in ein paar anderen Praxen. Auch eine Zahnarztpraxis war darunter. Am Ende hatte sie das Äquivalent von etwa 20 Jahren Ausbildung und über 80 Jahren Berufserfahrung in ihr eigenes Gehirn kopiert.

      Mit dabei war auch ein Handbuch für die moderne Praxisschwester. Das kam ihr interessant vor. Sie wollte sich das Buch bestellen, wenn sie wieder zu Hause war.

      Sie durchsuchte das Internet über eine Stunde lang, doch anscheinend existierte das Buch gar nicht, das sie suchte.

      „Seltsam“, murmelte sie.

      Eine der Krankenschwestern war ausgebildete Fachkraft für Bürokommunikation. Die Fähigkeit, extrem schnell zu tippen hatte Steffi auch kopiert. So setzte sie sich an ihren Laptop und tippte in einer Nacht das gesamte Handbuch ein.

      Beim nächsten Telepathie-Training fragte sie Alexander nach den Regeln des Urheberrechts, da sie das Handbuch noch mit Bildern versehen wollte. Dieser zeigte ihr einige Webseiten, wo sie Bilder fand, die sie kostenlos verwenden konnte.

      „Sieh mal“, sagte er dann und gab eine weitere Webseite ein, „Hier kannst du dein Buch kostenlos veröffentlichen.“

      Sie strahlte ihn an. ‚Danke dir!‘, sendete sie ihm.

      So nahm die Idee langsam Gestalt an.

      Die Boutique veranstaltete einen großen Ausverkauf und bald war ein Großteil der Waren verkauft. Was sie nicht verkaufen konnten, spendeten sie wohltätigen Einrichtungen.

      Als die Boutique leer war, verschwanden alle Regale und Kleiderständer und der gesamte Zirkel half mit, aus der Modeboutique eine elegante Praxis zu machen. Alexander holte sich vom Gesundheitsamt die Zulassung zurück – er hatte sie Jahre zuvor abgegeben, als er dachte, er würde nie wieder als Therapeut arbeiten – und arbeitete manchmal mit spät in die Nacht am Umbau der Räume.

      Neue Wände wurden eingezogen, Kabel verlegt, Möbel geliefert und aufgestellt. Alle 46 Mitglieder des Engelszirkels arbeiteten Hand in Hand und schon nach einer Woche war alles fertig.

      Die Praxis bot nicht nur Psychotherapie an, sondern auch Psychiatrie, Lebensberatung und sogar Reiki-Behandlungen.

      In der letzten Januarwoche standen Merlin, Magdalena, Steffi und Alexander vor der Tür und bewunderten ihr Werk. Adriano war an dem Tag nicht dabei, denn er hatte zu Hause Schulunterricht am Laptop.

      Ein junger Mann kam vorbei und sah die vier, schaute sich die Häuserfront an und las das Schild.

      „Wann wird denn die Praxis eröffnet?“, fragte er schüchtern.

      Eigentlich war die Eröffnung erst für den ersten Februar geplant, aber Alexander hatte das Gefühl, dass der Mann wirklich Hilfe brauchte.

      „Heute!“, sagte er mit einer einladenden Geste.

      Steffi war gleich mit Feuereifer dabei und rannte voraus. Ihr goldblondes Haar wehte dabei im Wind und ließ sie wie eine Sternschnuppe wirken.

      Alexander nahm in seinem neuen Behandlungsraum Platz und signalisierte Steffi, dass er bereit ist. Diese schickte den ersten Patienten hinein.

      Der Patient stellte sich als Peter vor und nahm den angebotenen Sessel dankend an.

      „Erzähl mal, Peter, warum bist du heute hier?“

      „Na ja… Ich…“, er war offenbar unschlüssig.

      Alexander konzentrierte sich auf Peters Gefühle und schickte ihm das Gefühl, sich geborgen und sicher zu fühlen.

      Sein Gegenüber atmete mit sichtlicher Erleichterung aus und schloss kurz die Augen.

      „Mein Opa ist gestorben“, begann Peter, „und ich durfte ihn nicht mehr sehen.“

      Alexander lehnte sich zurück und ließ ihn erst einmal einfach reden. Ab und zu steuerte er seinen Patienten mit kleinen Fragen.

      Als die erste Therapiesitzung fast zu Ende war, sagte Alexander mit hypnotischer Stimme: „Gibt es noch etwas, das du deinem Opa unbedingt erzählen wolltest?“

      Das saß.

      Peter kamen die Tränen und er erzählte: „Ja. Ich habe endlich meinen Abschluss gemacht. Er war der einzige, der an mich geglaubt hat und er sagte mir immer, wie stolz er auf mich ist.“

      „Hätte er denn noch stolzer sein können, als er schon war?“

      „Niemand hätte stolzer sein können als mein Opa. Er hat meine letzte Facharbeit gelesen.“

      „Also kannte er deine Zensuren?“

      „Ja.“

      „Und er wusste, dass du bestehen wirst?“

      Peter sah auf und seine Augen wurden immer größer.

      Alexander lächelte. Er zog das Bild seines Opas aus Peters Gedächtnis und maskierte sich. Nicht sehr, nicht vollkommen, nur soweit, dass Peter hinterher glauben konnte, sein Gehirn hätte ihm einen Streich gespielt.

      Mit väterlichem Stolz blickte Alexander Peter an und lächelte einfach nur.

      Peter lächelte ebenfalls und schloss langsam die Augen. „Ja, er wusste es.“

      Die Sitzung war zu Ende und Peter fiel Alexander in die Arme, drückte ihn kräftig und ging dann hinaus.

      Alexander