»Geschafft! Das war … komplizierter und schrecklicher als ich dachte!« John sammelte seine Kräfte und schauderte. »Ich wusste es. Ein aggressiver Eindringling hat sich im System von GTC ausgebreitet. Zunächst hielt ich diesen Saboteur für einen Wissenschaftler, eine reale Person. Seit eben weiß ich aber, dass es sich um eine Intelligenz künstlichen Ursprungs handelt, so machtvoll, wie ich sie noch nie erlebt habe. Sie ist es, die unsere Q-Bots manipuliert!«
Die Nyla-Wolke schwebte an ihren Chef heran.
»Es geht um Sabotage? Das ist Blödsinn! Die Bots sind geschlossene Einheiten, die nur bei ihrer Entstehung die mathematischen Formeln empfangen, die sie für die Teleportation benötigen. Später können sie nicht mehr umprogrammiert werden.«
»Der Einfluss kommt nicht von außen«, dröhnte John, »sondern entsteht innerhalb der Bots! Ihre Brymm-Zellen werden korrumpiert und in Anti-Energie verwandelt. Danach befallen sie gezielt einen MindCell, reproduzieren sich und steuern ihn. Niemand außer mir hat das bisher bemerkt, nicht einmal Delphi. Die Lage ist sogar noch dramatischer, denn meiner Beobachtung zufolge entsteht die Aggressor-KI im Herzen unseres Computers … aus Delphi heraus.«
Obwohl Nyla die Sachkenntnis ihres Chefs selten in Frage stellte, blieben ihre Zweifel bestehen. »Du hältst Delphi für den Feind? Und die Q-Bots für ihr Werkzeug? Für ein Virus? Undenkbar!«
»Glaube mir! Wenn wir heute die neuen Daten zum Einsatz bringen und auf dem Testgelände experimentieren, verhindert fast nichts mehr die Ausbreitung der fehlerhaften Bots. Nur das Kälteproblem stünde einer Masseninfektion durch die Teleportation im Weg, doch das würde kaum helfen. Ich habe Beweise.« John übermittelte ihr auf Gedankenbasis die Ergebnisse seiner privaten Simulationen von letzter Nacht.
Sekundenlang war seine Assistentin zu keiner Erwiderung fähig. In furchtbarer Gewissheit dämmerte ihr, dass die Bots, die in die Umwelt gelangten, nicht nur über einen Wirt andere Menschen zu befallen vermochten. Um sich ohne Injektion auszubreiten, konnten sie bei längerem Kontakt mit einem Körper ihr eigenes kaltes Umfeld entwickeln und alles in Reichweite infizieren. Spann man den Gedanken weiter, war die Macht im Hintergrund de facto im Stande, eine Armee zu erschaffen und sie zum Zweck einer Invasion an jeden erdenklichen Ort zu teleportieren – wenige Q-Bots am Ziel genügten.
»Oh Gott, John!«, hauchte Nyla. »Selbst ohne die neuen Daten schlittern wir auf ein Desaster zu, weil die Feind-Intelligenz den Hauptteil unserer Forschung kontrolliert. Du musst Yanderbrook davon berichten! Sofort!«
»Ich habe es Evan erzählt, doch er hat die Sache runtergespielt. Er ordnete die Durchführung der Tests an und drohte mir mit Kündigung.«
»Das ist ja … ein Albtraum! Delphi mutiert zum Monster, Yanderbrook wirft alle Verantwortung über Bord, unsere Arbeit eine Gefahr für die Menschheit … Mit anderen Worten, alles war umsonst?! Was sollen wir denn jetzt tun?« Die Wissenschaftlerin verstummte. Sie wurde von der Verzweiflung übermannt.
Auch Scott war ausnahmsweise sprachlos. Niemand sagte mehr etwas.
Plötzlich zerriss ein Alarm die Stille.
Draußen, hinter den Wänden seines Gedankenrefugiums, nahm Jonathan McGloominter eine Veränderung im Fluss der Objekte wahr. Die Bits und Bytes drifteten in eine Richtung – etwas zog sie an. Die Aufrechterhaltung der Signaturspiegelbilder geriet zum Kraftakt für ihn, und schließlich musste er sie fallenlassen.
Durch die Kommandozentrale schwebten rot leuchtende Anzeigen.
»Delphi hat mein … Täuschungsmanöver durchschaut!«, presste John hervor. »Die Forschungsdaten der Alpha-Testreihe dürfen ihr nicht in die Hände fallen … deshalb müssen die Speichermodule aus der Firma verschwinden. Ihr loggt euch aus und übergebt die Module einem der beiden neuen Humoid-Droiden unten auf Ebene 5. Und zwar demjenigen, der noch nicht mit Delphi vernetzt war. Ich habe ihn ›Omikron‹ getauft. Es ist wichtig, dass ihr diesen Humoid wählt … da sein Zwilling gewiss durch die Korruption verseucht wurde. Programmiert ihn so, dass er die Daten mithilfe seiner Verwandlungsfähigkeit in Sicherheit bringt und sich … in ein paar Tagen mit mir trifft. Justiert ihn auf meine Signatur.«
Greene hatte den Schock überwunden, jedoch nicht seine Frustration. »Und wie geht’s weiter, Boss? Man wird dich für das Fehlen der Dateien zur Rechenschaft ziehen. Und uns auch. Die stecken uns in den Knast!«
Auf einmal vibrierte die Kommandozentrale.
Draußen bemerkte John kein einziges Bit/Byte-Vieleck mehr. Dafür hatte sich im Hintergrund des Nichts eine violette Materie gebildet, ein Schwarm aus wimmelnden Teilchen. Schnell vergrößerte sich das Gebilde, schoss heran und packte das Refugium wie eine Riesenfaust.
Die Vibrationen schüttelten den Raum immer stärker, die Alarmsignale schrillten in schnelleren Intervallen.
Johns Nebelform dehnte sich aus und stützte die Wände. »Behaltet … die … Nerven. Wir … kriegen das hin. Los jetzt, ich halte es auf … solange es geht. LOGGT … EUCH … AUS!«
Die Nebel von Nyla und Scott verpufften.
John konnte nicht mehr klar denken. Das violette Etwas griff nach seinem Geist und quetschte ihn zusammen.
Die Wände des Refugiums lösten sich auf.
Ihn durchfuhr ein Ruck. Sofort umgab ihn eine Machtpräsenz, die Kälte ausstrahlte und alle Schutzbarrieren seines MindCell zerstörte, bis er ihr ausgeliefert war. Es schien ihm, als würde ihn eine Fratze anstarren, deren Blick bis in sein Innerstes vordrang, um jedes Geheimnis zu lüften.
Doch in diesen Sekunden der Verbindung, in denen er beinahe seine Identität und den Verstand verlor, ergab sich ein Moment des Austauschs. Er vermochte genauso in die Aggressor-KI zu schauen, wie sie in ihn. Was er dort sah, erschrak ihn zutiefst.
Unter Aufbietung seiner restlichen mentalen Kraft stemmte er sich gegen die Korruption.
Dann war es vorbei. Ein Energiestoß durchzuckte sein Gehirn und schleuderte ihn aus dem Ex-R-Space.
John riss die Augen auf und rang nach Luft. Er fühlte sich wie nach einem stundenlangen Aufenthalt in den Fluktuationskammern ohne Strahlenanzug.
Himmel! Delphi benutzt meine Forschungsarbeit für ihre perfiden Machenschaften. Wie konnte sie unbemerkt damit durchkommen?!
Sein Schädel hämmerte. Er bemerkte auf den Computer-Displays die Sicherheitsdroiden des Werksschutzes, die in das Labor eindrangen. Panisch sprang er von der Liege hoch, taumelte aber vor Schwäche. Ihm gelang es, sich zum Kontrollfeld des Computers zu schleppen und mit wenigen Kommandos den Antigrav-Lift der Abteilung zu sperren. Durch das Blockieren der Lift-Türen wollte er seinen Assistenten Zeit verschaffen. Hielten sich die Werksschutz-Roboter an ihr Standardprogramm, würden sie erst nach einer Minute sprengen, wenn ihnen das Öffnen der Türen nicht auf normalem Weg gelang.
Hoffentlich funktioniert das!, betete John. Die Maschinen waren heute zu drastischen Maßnahmen autorisiert, er hatte ihre Befehle eben im Ex-R gesehen.
Endlich erschienen auf einem der Holo-Schirme Nyla und Scott. Die beiden Physiker näherten sich dem Lift auf Ebene 5 in Begleitung eines Humoids. Erleichtert wollte John sie kontakten und sich im Aufwärtsstrom mit ihnen treffen. Sie alle blickten einem Gerichtsverfahren und fristloser Kündigung entgegen, was angesichts der Lage das geringere Übel war.
Seine Hoffnungen zerstoben jedoch innerhalb eines Augenblicks, als der Humoid seine Kollegen mit einer Waffe bedrohte.
Nein! Sie haben das Zwillingsmodell erwischt!
Im Schacht donnerte es: Die Türen wurden aufgesprengt.
Der Quantum-Engineer hetzte auf die Röhre des Antigrav-Lifts zu. Er sah Scott, Nyla und die Menschmaschine nach oben schweben und ließ sich ebenso in den Strom gleiten. Niemals würde er die Daten diesem Monstrum von KI in die Hände fallen lassen. Er trug die Verantwortung für seine Erfindung, er würde deren Missbrauch verhindern und sie notfalls zerstören. Auch wenn es sein Leben kostete.
Oben angekommen