Zeit, dachte John, ich brauche mehr Zeit!
Wenn die Neuberechnungen stimmten, würden sie sich verheerend auf seine Forschungen auswirken. Jahre harter Arbeit standen auf dem Spiel. Zunächst hatte er an einen Fehler geglaubt, als er bis spät in die Nacht hinein über den Formeln gebrütet und den Test wieder und wieder simuliert hatte. Solange, bis seine Frau in der Tür stand, um ihn mit strengem Blick ins Bett zu beordern.
An Schlaf war kaum zu denken gewesen, die Fakten waren alarmierend. Selbst als er vor einer halben Stunde die Wohnung verlassen und unbewusst den Kuss seiner Tochter Louise wahrgenommen hatte, liefen die Berechnungen in seinem Gehirn weiter. Das Ergebnis blieb dasselbe: kein Fehler.
Gott … wir müssen bei null anfangen! Aber die werden mich für verrückt erklären. Oder lasse ich’s drauf ankommen? Mein Team mit der Durchführung beauftragen? Nein … zu riskant! Die Menschheit einer solchen Gefahr auszusetzen, ist mit guten Absichten nicht zu rechtfertigen. Ich trage die Verantwortung für das Experiment!
Sein Vorgesetzter würde an die Decke gehen.
Ich muss ihm die Brisanz aufzeigen, Evan überzeugen. Dann verschiebt er die Tests. Schließlich hat er auch Familie. Doch was, wenn er auf der Durchführung besteht? Mich gegen den Chef auflehnen?
John raufte sich die Haare und wünschte sich, eine Alternative zu sehen.
Ich sollte Nyla und Scott um Hilfe bitten … und die Daten sichern.
Das Shuttle hatte sich durch die Straßenschluchten gekämpft und erreichte das Industriegebiet. Ein markantes Gelände schälte sich aus dem Dunst, stahlgraue Gebäude, die sich dem Morgenlicht entgegen wuchteten.
Um 07:45 Uhr landete John auf dem Areal seiner Firma. Nach den Sicherheitsprozeduren verließ er die Shuttle-Bay und begab sich zum Bereich Quantum-Engineering, wo er seine Kollegen zur Besprechung treffen würde.
Im lichtdurchfluteten Meetingcenter steuerte er auf eines der Transcend-Terminals zu, die jeweils zu einer Gruppe von sechs Liegesesseln gehörten. Er ließ sich in den erstbesten Sessel fallen und loggte sich mittels des SuperMindCell, des Biochips in seinem Gehirn, in den firmeninternen Extended-Reality-Space ein. Sofort wurde sein Körper von einem Antigrav-Feld angehoben und in der Schwebe gehalten. Die Außenwelt samt ihren Gesetzmäßigkeiten verschwand: Ihn umhüllte das milchig weiße Nichts des Ex-R-Space.
Das Logo der »Gyroscope & Bionics Technologies Corporation« erschien in seinem Geist, und im nächsten Moment befand er sich in einem virtuellen Konferenzraum, der einen Rundumblick auf die Stadt bot.
Alle Kollegen waren bereits anwesend. Einige der Wissenschaftler versuchten John in Fachgespräche zu verwickelten, doch er ging nur halbherzig darauf ein. Als das Abbild des Abteilungschefs Evan Yanderbrook erschien, erstarben die Unterhaltungen. Gespannte Gesichter wendeten sich dem Zweimetermann am Ende des Tischs zu.
»Guten Morgen, meine Damen und Herren«, begrüßte Yanderbrook seine Angestellten. »Unser Unternehmen steht kurz davor, den Durchbruch auf dem Gebiet des zielgerichteten Transports von Materie in einem freien Umfeld zu erreichen. Mit anderen Worten, Ihnen, dem Quantumbot-Research-Team, verdanken wir es, dass Gyronics-Tech als erster Konzern die Teleportation zur Marktreife entwickeln wird, und zwar Monate vor der internationalen Konkurrenz!«
Die Anwesenden klatschten Beifall.
John war in Gedanken meilenweit entfernt. Reglos fixierte er den Tisch.
Sein Chef lächelte und hob die Hände. »Lassen Sie mich speziell dem Mann danken, der schon in der Vergangenheit durch seine revolutionäre Forschungsarbeit auffiel, mir vor allem aber durch seine Hartnäckigkeit auf den Wecker ging …«, einige Mitarbeiter lachten, »… und der maßgeblich zum Erfolg von GTC als führendem Technologieunternehmen beigetragen hat. Ich bin überzeugt, er wird mit diesem Projekt Geschichte schreiben. Jonathan McGloominter!«
Begeisterter Applaus.
Als sein Name fiel, schreckte John auf. Er erhob sich.
Sein Assistent Scott Greene, ein junger Jamaikaner, klatschte besonders laut und grinste ihn ermutigend an.
John blickte in die Runde, die Züge vom Ernst der Lage gezeichnet. Himmel, wie bringe ich euch das bei … Er wartete, bis sich der Beifall gelegt hatte. »Danke, Mr. Yanderbrook. Danke, Ihnen allen. Wenn ich gewusst hätte, dass man mich heute Morgen wie bei einem Staatsempfang feiert, wäre ich zu Hause geblieben.«
Erneutes Gelächter.
»Wer mich kennt, der weiß, dass ich nur aus wichtigen Anlässen auf Partys gehe. Daher muss ich Ihnen gestehen …« Er zögerte. Eben noch hatte er seine Entdeckung von vergangener Nacht zu erklären versucht, entschied sich jedoch spontan, die Details nur Yanderbrook anzuvertrauen. »… muss ich Ihren Enthusiasmus dämpfen und Ihnen mitteilen, dass ich auf eine Sache gestoßen bin, die in Anbetracht ihrer Bedeutsamkeit die Verschiebung der Tests nötig macht.«
Unter den Wissenschaftlern breitete sich ein Gemurmel der Ratlosigkeit aus.
»Ich weiß, wie viel Herzblut von uns allen in das Projekt geflossen ist. Deswegen möchte ich einen sicheren Ablauf garantieren können, um Tragödien zu vermeiden. Mehr kann ich im Moment nicht dazu sagen. Ich danke Ihnen.«
Die Anwesenden bestürmten ihn mit Fragen.
John ignorierte den Tumult. Er wandte sich an seinen Assistenten und betete, dass die unzulässige Gesprächsabschirmung, die er soeben per Gedankenbefehl initiiert hatte, hielt. »Scott, hör zu. Es ist wichtig! Du loggst dich sofort aus und gehst runter in die Datenverarbeitung. Lass dir von Nyla helfen, den aktuellen Teil unserer Forschung vom Hauptrechner auf unabhängige Protein-Speichermodule zu kopieren. Verwendet dafür den neuesten Virenfilter. Alle anderen Kopien vernichtest du, verstanden? Und erledige es unauffällig. Ich weiß, du schaffst das!«
Scott nickte mechanisch, doch die Fassungslosigkeit war ihm anzusehen. »Boss … wieso um alles in der Welt latschst du uns so auf die Füße?! Besonders dem Oberguru. Der Termin für die finale Testphase stand, also was soll die Änderung? Und warum befiehlst du mir einen illegalen Datentransfer? Wenn die das merken, schmeißen sie uns raus!«
»Erkläre ich dir später, aber zuerst muss ich mit Evan reden. Geh jetzt und starte den Kopiervorgang. Ich übernehme die Verantwortung für die Aktion!«
Scott Greenes virtueller Körper verschwand aus dem Konferenzzimmer.
Johns Herz pochte ihm bis zum Hals. Er schaute sich nach seinem Chef um und sah, wie dieser das Meeting beendete und ihm ein Zeichen gab. Der Raum löste sich in milchiges Weiß auf, um ein neues Szenario zu formen. Sekunden später stand er in einer Nachbildung des Büros von Evan Yanderbrook, der bereits vor Wut kochte.
»Erläutern Sie mir das gefälligst, John! Ist Ihnen klar, dass der Vorstand für kurzfristige Modifikationen null Verständnis aufbringt? Und ich auch nicht. Das könnte uns die Jobs kosten. Die Konkurrenz schläft nicht!«
»Sir, wir …« John schluckte. Seine Kehle war so trocken wie Sandpapier. »Wir haben einen unzulässigen Systemzugriff.«
»Ist das ein Scherz?! Machen Sie sich wieder Sorgen wegen der Spionageprogramme, die seit Wochen unseren Hauptrechner attackieren?« Die Stimmlage seines Chefs rutschte ins Hysterische ab. »Bis jetzt hat niemand unsere BlackHole-Walls geknackt, und soll ich Ihnen etwas verraten, John? Das schafft auch keiner!«
Ich wusste, es wird schwierig. »Der Zugriff kommt von innerhalb der Firma.«
Yanderbrook setzte eine Miene auf, als hätte ihm jemand die Erde als Scheibe beschrieben. John registrierte das mitleidige Lächeln eines Mannes, der ihm niemals glauben würde, egal wie die Beweise aussahen.
»Jonathan … Sie wollen mir allen Ernstes erzählen, wir hätten einen Eindringling im System? Den Zauberkünstler möchte ich kennenlernen! Unsere Sicherheitsmaßnahmen sind die effektivsten weltweit. Alle MindCell-Signaturen der Angestellten