HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron. Wieland Barthelmess. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wieland Barthelmess
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742704962
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ausführlich gewürdigt worden waren. Hat-schepsut hatte etliche höchst interessante Gespräche geführt und Sit-Re hatte kaum einmal von der Wasserkanne und dem Tuch Gebrauch machen müssen. Gut gelaunt gingen die Gäste zu Bett.

      Die Entfernung von Nubet nach Sunu war geringer als die Tagesstrecken von gestern und vorgestern. Zudem würde man die Fahrt heute nirgendwo unterbrechen, gab es doch nur vereinzelte Höfe, allenfalls einmal ein Dorf, die einen Zwischenstopp nicht lohnten. So ließ man sich mit dem Aufbruch etwas mehr Zeit als sonst und genoss ein üppiges Frühstück. Doch der Kapitän mahnte, es könne bei dem herrschenden Niedrigwasser auch regelrechte Schiffsstaus geben, wenn der Fluss nämlich an manchen Stellen nur in schmale Rinnen aufgeteilt zu befahren sei. Dann hieß es warten, bis ein Schiff nach dem anderen durch die Rinnsale gefahren war. Isis wunderte sich, warum man die übrigen Schiffe, nicht einfach dazu auffordern würde, Platz zu machen, um den königlichen Konvoi vorzulassen. Geduldig erklärte ihr Sen-en-Mut, dass es schlicht und einfach zu eng sein würde, um überhaupt Platz zu machen.

      Der Abschied ging nach Hat-schepsut Geschmack ein wenig zu schnell vonstatten. Gerne hätte sie sich von ihren Gastgebern noch ein wenig inniger verabschiedet, doch Pharao drängte plötzlich darauf, so bald als möglich abzureisen.

      „Dein Vater hatte gestern Nacht noch Besuch“, flüsterte Sit-Re mit Verschwörermiene. „Deshalb …“

      „Jemand den wir kennen?“ Hat-schepsut war erschrocken, hoffte sie doch, dass Isis keinen Fehler gemacht hatte.

      „Aber sicher“, raunzte Sit-Re. „Die kleine Schwarze mit der engen roten Kalasiris, die gleich hinter den Würdenträgern saß und den ganzen Abend wie ein Täubchen herübergegurrt hat.“

      „Ach, die …“ Hat-schepsut war erleichtert.

      „Dein Vater hat sie sofort gesehen“, lachte Sit-Re. „Und nun fürchtet er Abschiedstränen und flehentliche Bitten, in den königlichen Harem aufgenommen zu werden. Also: Schnell weg von hier!“

      Ein frischer Nordwind war gnädig und trieb die Schiffe flott aus dem Hafen. Hat-schepsut glaubte in einer vermummten Gestalt auf dem Kai jene schwarze Schönheit von gestern zu erkennen. Melodramatisch warf sie sich auf die Knie, zerriss ihr Gewand, raufte sich die Haare und breitete hilflos die Arme aus, als ob ihr gerade das Liebste entrissen würde. Pharao bekam von all dem nichts mit, denn er saß auf seiner königlichen Barke auf dem Thron und schaute nilaufwärts voraus.

      So langsam war zu spüren, dass man sich Nubien näherte. Es wurde unentwegt heißer, so dass selbst der Wind keine rechte Erfrischung mehr brachte. Beiderseits des Ufers gab es nichts als abgeerntete Felder, Dattelpalmenplantagen und gelegentlich einmal eine Büffelherde. Dazwischen leuchteten die feuerroten Blüten der Granatapfelbäume und weit verstreut lugten weiß getünchte Häuser aus dem Grün. Sen-en-Muts Unterrichtungen, in denen er über Sunu erzählte, konnten seine Zuhörer halbwegs fesseln. Dort, in Sunu, trafen etliche Karawanenstraßen auf den Nil, so dass die Stadt sich über die Jahrhunderte zu einem bedeutenden Handelszentrum entwickelt hatte. Früher einmal war es die südlichste Stadt Kemets gewesen. Kurz dahinter begann Nubien und dementsprechend war es dereinst die bedeutendste Zollstation des Landes, schwer bewacht von einer großen Garnison. Inzwischen lag die Grenze sehr viel weiter im Süden. Aber wie alle Städte, die den Endpunkt eines Karawanenwegs darstellten, war Sunu überaus lebhaft. Bemühte man sich dort doch, die ausgehungerten Reisenden mit all dem zu versorgen, was deren Herz und Leib begehrte. Zudem gab es dort ja noch immer die Garnison mit Hunderten von jungen Männern, welche die Angebote der Stadt ebenfalls gern in Anspruch nahmen. So gab es Badehäuser und Gaststätten aller Art sowie Herbergen, in denen man alles Mögliche tat, nur nicht schlafen. Isis kicherte und Thot-mose bekam einen roten Kopf. Zudem braute man hier ein besonders starkes Bier, fuhr Sen-en-Mut fort, das schnell betrunken machte. Für manch einen sittenstrengen Mann und für fast jede Frau in Kemet war Sunu der Inbegriff der Verderbtheit und des Lasters. „Wir werden also auf kürzestem Wege vom Hafen zum Palast des Gaufürsten gebracht“, fasste Sen-en-Mut zusammen. „Es wird nicht ganz zu vermeiden sein, dass es zu unerwünschten Begegnungen kommt, doch unser Zug wird zu beiden Seiten von Soldaten eskortiert.

      „Unerwünschten Begegnungen“, krächzte Thot-mose verschreckt, so dass auch der auf seiner Schulter dösende Affe aufschreckte. „Was ist denn darunter zu verstehen?“

      „Nun, leichte Mädchen, Lustknaben, Betrunkene, Aussätzige und all so was.“ Sen-en-Mut verspürte keinerlei Lust, sich näher darüber auszulassen. „Der Palast des Gaufürsten ist jedoch bei weitem der Prächtigste auf unserer Reise. Nacht-neb-tep-nefer Anjotef ist ein mächtiger Mann, auf dessen Stimme im ganzen Land gehört wird. Und wie es der Name ankündigt, den ihm seine Eltern gegeben haben, war er der starke Herr vollkommenen Handels geworden, der den Geist seines Vaters in sich trägt. Seine Familie ist überaus vermögend. Und das schon seit vielen Generationen.“

      „Aber gibt es nicht schon seit Jahren und Jahrzehnten Gerüchte“, wandte Hat-schepsut ein, „die besagen, dass die ehrenwerte Familie von Anjotef vor allem zu ihren Gunsten zu wirtschaften weiß?“

      „Die gibt es“, bestätigte Sen-en-Mut. „So wie es sie bei jeder reichen Familie im Land gibt. Doch solange keine eindeutigen Beweise vorliegen, muss man sie als üble Nachrede betrachten. Bislang wurden keine Machenschaften nachgewiesen, welche die üblichen kleinen Gaunereien überstiegen. Es ist also angebracht, Anjotef nicht zu unterschätzen. Er ist ein kluger und gebildeter Mann, den man mit allem Respekt behandeln sollte. Man sollte auch bedenken, dass Anjotef zu den eitlen Menschen gehört.“

      „Ich finde es empörend, dass man offenbar von kleinen Gaunereien weiß, sie aber dennoch durchgehen lässt.“ Hat-schepsut war der Meinung, dass dies eindeutig gegen die Ma’at sei.

      „Der Schaden wäre größer als der Nutzen, würde man dem mit aller Strenge nachgehen“, entgegnete Sen-en-Mut und zuckte mit den Schultern. „Solange es Anjotef nicht übertreibt und ansonsten zuverlässig ist … Man hat ihn und sein Tun jedenfalls im Auge.“

      „Und weiß er das“, wollte Hat-schepsut wissen.

      „Davon ist auszugehen. Er wäre dumm, wenn er es nicht wüsste“, beendete Sen-en-Mut seine Einführung.

      Immer seltener wurden nun die grünen Flächen beiderseits des Flusses. Die weite Fruchtlandebene war ständig schmaler geworden, bis sie schließlich nur noch schüttere, aneinander gereihte leere Felder aufwies. Doch selbst die waren bald verschwunden und einer Wüstenebene gewichen, in die sich der Nil tief eingeschnitten hatte. Links und rechts türmten sich haushoch Felsen und Geröll. Der andernorts so gemächlich dahinfließende, breite Strom, war hier zu einem halbwegs reißenden Fluss geworden, so dass die Kapitäne einige Mühe hatten, gegen die Strömung voranzukommen. Inmitten des Nils tauchten nun immer häufiger Inseln und Inselchen auf, die meisten kaum mehr als schroffe Felsen. Hat-schepsut verstand nun sehr gut, wie schnell es in dieser Jahreszeit zu den gefürchteten Schiffsstaus kommen konnte, denn nicht jedes von den Inseln abgeteilte Rinnsal war tief genug für eine Durchfahrt. Teilweise hatte man sogar den Eindruck, als ob der Fluss sich zwischen all dem Geröll in einem plätschernden Rinnsal verlieren würde. Es waren die Vorboten des ersten Kataraktes, der gleich hinter Sunu auf die Reisenden wartete. Doch überraschend weitete sich das enge Tal wieder. Die Ufer waren nach wie vor kahl, doch gab es nun zahllose, auch größere Inseln, die allesamt sattgrün bewachsen waren. Es war als führe man in einen riesigen Garten, der von zahllosen Wasserläufen durchströmt war. Am östlichen Ufer sah man dann auch schon Sunu liegen: Reich und prächtig wie eine üppige Oase in öder Wüstenei.

      Selbstverständlich hatte man sich auf Pharaos Ankunft vorbereitet. Kaum, dass die ersten Späher den Konvoi erblickt hatten, wurden Räuchergefäße entzündet, es wurde mit Sistren gerasselt und die Priester ließen ihre düsteren Gesänge hören. Nein, Pharao steuerte nicht wie sonst üblich Elephantine an, die größte der Inseln im Nil mit ihren prächtigen Tempelbauten, sondern das am östlichen Nilufer gelegene Sunu, das Hat-schepsut auf den ersten Blick nichts weiter zu sein schien, als ein riesiger Marktplatz, auf dem alles feilgeboten wurde, was es überhaupt in Kemet zu erstehen gab. Auf einem niedrigen Hügel oberhalb der Stadt prangte der weitläufige Palast des Gaufürsten, der von einem blühenden Garten