„Solltest du nicht besser an der Seite deines zukünftigen Gemahls gehen?“, sprach Pharao seine Tochter an.
„Noch bin ich nicht seine Große königliche Gemahlin“, entgegnete Hat-schepsut freundlich. „Ich bin jedoch die Gottesgemahlin des Amun. Und wer vermag schon Gott Amun auf Erden besser zu vertreten als du.“
Durch lange Gänge und an prächtig blühenden Gärten vorbei schritten die königlichen Gäste zum Festsaal. Hat-schepsut nutzte die Gelegenheit, mit ihrem Vater über etwas zu reden, das ihr auf der Seele brannte.
„Sei so lieb, Babu, und nimm sie Thot-mose nicht weg. Isis ist es einerlei, ob sie seine Nebengemahlin wird oder deine. Thot-mose aber nicht. Und du hast selbst gesagt, dass es nichts gibt, was einen Mann mehr schmückt als eine schöne Frau. Thot-mose braucht sie nötiger als du.“
Pharao sah seine Tochter erstaunt an. „Na, sag einmal. Ich lass mir doch nicht von dir in mein Liebesleben hineinreden.“ Er lachte ungläubig. „Ich nehme mir, was ich will. Ganz einfach. Denn es steht mir zu.“
„Es liegt mir fern, mich darum zu kümmern, wer sich in deinem Bett wälzt“, entgegnete Hat-schepsut mit fester Stimme und winkte einigen Zuschauern huldvoll zu, denen sie auf ihrem Weg begegneten. „Ich kümmere mich aber um Thot-mose. Ich gebe Acht auf ihn und ich werde versuchen, ihn vor jeglichem Leid zu bewahren. Nur deswegen bitte ich dich, Babu. Tu es deinem Sohn zuliebe.“
Pharao sagte kein Wort. Ein paar Schritte später schenkte er seiner Tochter einen langen Blick und lächelte sie an. “Wie alt bist du jetzt? Zwölf, nicht wahr?“
Hat-schepsut nickte. „Ich werde bald dreizehn.“
„Welcher König würde sich nicht eine Große königliche Gemahlin wünschen, wie du sie eines Tages Thot-mose sein wirst. Ich weiß, ich bin kein besonders guter Vater, denn ich beneide meinen Sohn darum …“
Es war ein überraschend kurzweiliger, gut gelaunter Abend. Die Speisen waren hervorragend, wenn auch ein wenig überzogen extravagant, wie Hat-schepsut meinte. So gab es mit Datteln, Honig und Feigen gefüllte Nilbarsche, mit Weintrauben gestopfte Singvögel oder auch in Granatapfelsaft geschmorte Kalbszungen, die so rot leuchteten, dass man meinen konnte, sie seien noch roh und nur gehäutet. Die Musik klang bereits etwas anders als in Waset. Das Nubische machte sich hier bereits bemerkbar. Und zwar sowohl in der Musik als auch in der Aufmachung der Damen, die hier deutlich kräftigere Farben bevorzugten. Und man trug sehr tiefe Ausschnitte, stellte Hat-schepsut fest, eine Tatsache, die auch Pharao beschäftigte, als er seine erfreuten Blicke auf Erkundungsreisen schickte. Insofern dürfte das schier endlose Dekolleté von Isis’ Kleid kaum größere Aufmerksamkeit hervorrufen, dachte Hat-schepsut. Die schönsten Frauen des Landes, ja, der ganzen Welt lagen ihrem Vater zu Füßen. Also sollte es ihm nicht allzu schwer fallen, auf Isis zu verzichten.
Hätte man Isis gefragt, was aber natürlich niemandem in den Sinn gekommen wäre, so hätte sie wohl Pharao bevorzugt, obgleich er soviel älter war als sie. Allerdings wäre sie nichts weiter als eine seiner zahllosen Haremsdamen gewesen, die unter Umständen zur Nebenfrau erhoben werden würde, falls sie Pharao und Kemet einen gesunden Sohn schenkte. Hat-schepsuts Freundschaft würde sie außerdem verlieren, denn die hatte sie an der Seite von Thot-mose vorgesehen. Nein, dem Thronfolger gehörte eindeutig die Zukunft. Und es gab keinen Zweifel daran, dass er Isis, so wie er sie bisweilen ansah, einen größeren Platz in seinem Leben einräumen würde als der Vater, von dem man wusste, dass er kein Kind von Traurigkeit war. Zudem bliebe ihr die Gottesgemahlin des Amun auch weiterhin zugetan.
Pinu-djem Meri-Amun und seine Gemahlin Bint-Anat kümmerten sich rührend um ihre Gäste. Sie achteten höchstpersönlich darauf, dass kein Teller und kein Becher lange leer blieben. War ihnen doch offenbar sehr daran gelegen, ihren Gästen zu zeigen, dass ihre Heimat Nubet der Hauptstadt Waset in nichts nachstand, was Gastfreundschaft, Überfluss und Luxus betraf. Nein, antwortete Bint-Anat freimütig auf Hat-schepsuts Nachfrage, sie vermisse Waset keineswegs. Denn hier in Nubet lebte es sich sehr viel entspannter als in der Hauptstadt. Seit den Siegen des großen Ah-mose waren die wenigen Hyksos-Familien, die das Land auf gar keinen Fall verlassen wollten, aus dem Delta nach Nubet oder noch weiter in den Süden übergesiedelt. Und seit Pharao Amun-hoteps Feldzügen hatten sich außerdem noch sehr viele Menschen aus Nubien hier niedergelassen. Hier sah man Haut in all ihren Schattierungen. Vom milchigsten Weiß bis zum samtigsten Schwarz. Blonde Syrerinnen gingen mit kraushaarigen Nubierinnen auf den Markt, schlanke äthiopische Schönheiten schäkerten mit rundlichen Mädchen aus Asien, während die Männer beim Bier beisammen saßen und schwätzten. Hier in Nubet konnte sie ohne missgünstige Anfeindungen leben, erzählte Bint-Anat, was in Waset kaum möglich war.
Hat-schepsut sah sie fragend an.
„Es ist allein schon wegen meines Namens“, klärte Bint-Anat sie auf. „Er bedeutet soviel wie Tochter der Anat. Und Anat ist die Tochter des Gottes El sowie der Göttin Aschera, die beide in Syrien verehrt werden.“
„Ach, dann bist du Syrerin“, fragte Hat-schepsut interessiert.
„Nein, ich bin in Avaris geboren, so wie meine Eltern und deren Eltern auch. Sie gehörten zu den wenigen Hyksos, die seinerzeit das Land nicht verlassen wollten, sondern in Kemet geblieben sind.“
„Ich verstehe. Eine mutige Entscheidung“, pflichtete Hat-schepsut bei.
„In der Tat. Aber Kemet war seit jeher unsere Heimat, auch wenn irgendwelche unserer Vorfahren Asiaten waren. Mein Gemahl Pinu-djem hat sich dennoch für mich entschieden, obgleich ihm durch seine Verbindung mit mir eine viel versprechende Karriere in Waset verwehrt geblieben ist.“ Offenbar war Bint-Anat entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen, Hat-schepsut als Vertreterin der herrschenden Familie, auch diese Folgen ihres Befreiungskampfes vor Augen zu führen. „Es war nicht leicht für ihn, sich gegen seine Familie durchzusetzen“, bestätigte sie. „Hier unten im Süden ist es den Menschen jedoch einerlei, ob man asiatische Vorfahren hat oder nubische. In Waset wird man dafür gehasst.“
„Dann war es also wahre Liebe, was dich und deinen Gemahl zusammengeführt hat“, staunte Hat-schepsut. „Eine Liebe wie sie in den Liedern der Dichter besungen wird. Sehr ungewöhnlich für unsere Kreise, in denen Liebe eine eher untergeordnete Rolle bei der Wahl der Ehepartner spielt.“ Hat-schepsut war in der Tat beeindruckt. „Ich habe noch nie einen Menschen kennen gelernt, der aus Liebe geheiratet hat. Außer bei den Bediensteten vielleicht und bei Onkel Pen-Nechnet. Doch sag mir, nutzt die Liebe sich nicht ab? Jedenfalls erzählt man sich, dass dem so ist. Nimmt man es doch immer als Argument gegen eine Liebesheirat.“
„Alles nutzt sich ab“, zuckte Bint-Anat mit den Schultern, „wenn man es nicht genügend pflegt.“
Pharao war ziemlich erstaunt, als seine Tochter bei der kurzen Ansprache, die sie als Gottesgemahlin des Amun zu absolvieren hatte, ihre Gastgeber besonders hervorhob. Sie wisse, dass Gott Amun voller Stolz auf das rechtschaffene Paar blicke, sagte sie. Es möge ein Beispiel sein für zukünftige Generationen, in denen man alte Feindseligkeiten endgültig überwinden werde. Pharao meinte somit, nicht hintanstehen zu dürfen und lobte Pinu-djem Meri-Amun für seine Zuverlässigkeit und Rechtschaffenheit. Und damit sie sich für den Rest ihres Lebens seiner Dankbarkeit erinnerten, versprach er dem überraschten Paar einen kleinen Weingarten in Djesdjes, dessen köstlicher Tropfen sie stets an die königliche Zugewandtheit erinnern möge. Bei der Vorstellung Turis als Vizekönig von Nubien griff Pharao schließlich die Worte seiner Tochter auf, die von der Überwindung alter Feindseligkeiten sprachen. Unter der Führung Kemets würde es allen Menschen gut gehen können, auch jenen in Nubien oder Syrien.
Es war schon weit nach Mitternacht, als Pharao meinte, sich zurückziehen zu wollen. Was nichts