Zunächst guckten die Menschen in Djertis Hafen noch ungläubig als die königliche Barke mit drei Kriegsschiffen und einer weiteren Barke völlig unerwartet anlandete. Sie konnten es kaum glauben, dass der Gute Gott höchstpersönlich ihrer Stadt und ihrem Tempel einen Besuch abstattete. Hat-schepsut war der Meinung, dass es unter Umständen angebracht sein könnte, wenn es der Thronfolger war, der voranschritt, wurde Month als Kriegsgott doch insbesondere von den Soldaten verehrt. So wäre dies eine gute Gelegenheit für Thot-mose, sich bei den Truppen beliebt zu machen. Dann würde der Besuch auch eindeutig zeigen, dass sowohl der zukünftige wie der gegenwärtige Pharao nicht vergaßen, diesen Gott zu ehren. Pharao war ausgesprochen stolz auf seine so kluge wie umsichtige Tochter.
Als Pharao, der Thronfolger und die Gottesgemahlin des Amun wieder den Tempel des Month verließen, waren die Straßen dicht gesäumt von Menschen, die das Unfassbare mit eigenen Augen sehen wollten. Offenbar war es der Thronfolger, er führte schließlich den Zug an, der auf diesem Besuch bestanden hatte. Der Jubel war unbeschreiblich.
„Siehst du“, flüsterte Hat-schepsut ihrem Bruder ins Ohr. „Dieser Jubel gilt nur dir allein. Hörst du, wie sehr man dich liebt?“
Kaum waren sie wieder am Hafen angelangt, als General Pen-Nechbet zu bedenken gab, dass man nun möglicherweise in Senet und Necheb verstimmt sein könnte, wenn man ohne Halt an diesen Städten vorbeifuhr, um nur Nechen anzulaufen. Er selbst stammte aus Necheb, gab Onkel Pen-Nechbet zu bedenken und er würde für seinen Teil voller Eifersucht auf die anderen Städte am Weg blicken, die Pharao mit seinem Besuch beehrt hatte. Pharao machte ein gequältes Gesicht.
„Dann müssen wir morgen auch in Edfu Station machen, bevor wir gegen Abend Nubet erreicht haben werden. Sei es drum“, entschloss sich Pharao. „Es ist nicht gut, wenn es den Anschein hat, dass der Vater ein Kind dem anderen vorzieht.“
Bis der Konvoi das ein Stück weiter südlich am westlichen Nilufer gelegene Senet erreicht hatte, waren bereits Tausende von Menschen im Hafen zusammengeströmt, um zu sehen, ob die königliche Gesellschaft auch ihre Stadt mit ihrem Besuch beehren würde. Hier war es der Tempel des Chnum, in dem die hochwohlgeborenen Personen beten und opfern konnten. Der widderköpfige Chnum war einer der Schöpfergötter, welche mitgeholfen hatten, die belebte Natur zu erschaffen. Auf seiner Töpferscheibe hatte Chnum am Anfang der Zeit Pflanzen und Tiere, aber auch die Menschen aus Ton geformt; jetzt unterstützte er seine Tochter Setjet beim Hervorrufen der Nilflut. Sen-en-Mut war mit seinen Schülern zufrieden, da sie die Geschichte des Gottes bereits kannten. Auch in Senet jubelten die Massen, zeigte der Besuch ihres gegenwärtigen wie auch ihres zukünftigen Königs doch deutlich, wie sehr ihnen die Stadt und ihre Bewohner am Herzen lagen.
Bis der Konvoi Necheb erreichte, war die Sonne bereits am Sinken. Wie immer war auch hier das Gerücht schneller als jede Barke. Jubelnd wurden die Besucher empfangen. Hier befand sich das Heiligtum der Nechbet, der Landesgöttin des südlichen Kemet, die zusammen mit Wadjet, der Göttin des Nordens, die Schutzgöttin Pharaos war. Er trug sie neben der Kobra des Nordens als Geierkopf stilisiert auf der Stirn. Es wäre ein Versäumnis gewesen, hätte sich Pharao ihres Schutzes nicht vergewissert, indem er zu ihr betete und ihr Opfer darbrachte. Natürlich vermuteten die Bewohner, dass sie den königlichen Besuch allein Pen-Nechbets Einfluss zu verdanken gehabt hatten, der schließlich einer von ihnen war. Niemand widersprach, so dass er die Huldigungen seiner Heimatstadt ungestört genießen konnte.
Es dämmerte bereits, als der königliche Konvoi endlich in Necheb ablegte. Eigentlich hätten sie schon lange vor dem Einbruch der Dunkelheit in Nechen eintreffen sollen, wo man sie sicherlich schon voller Ungeduld erwartete. Doch die unvorhergesehenen Zwischenaufenthalte hatten den Zeitplan des königlichen Besuchs endgültig durcheinander gebracht. Jetzt zu später Stunde war es angenehm auf dem Nil zu fahren. Der Nordwind wehte, die Sterne glitzerten um die Wette und die Luft war angenehm frisch. Fast war Hat-schepsut ein wenig enttäuscht, als sie schon so bald die Lichter der Stadt in der Ferne sich im Nil spiegeln sah. Es war nicht ganz ungefährlich bei Dunkelheit den Strom zu befahren, konnte man dabei doch nur allzu leicht ein Stück Treibholz, ein Krokodil oder gar eines der Nilpferde übersehen. Gerade die Nilpferde, die bei Nacht den schützenden Fluss verließen, um weit ins Land hinein zu ihren Fressplätzen zu laufen, tummelten sich nun in Ufernähe. Thot-mose stand angespannt im Bug der Barke und klammerte sich an der Reling fest, um ja nicht über Bord zu gehen, falls es zu einem überraschenden Zusammenstoß kommen sollte. Auch das Äffchen spürte seine Angst und hielt sich furchtsam an Thot-moses Ohren fest. Doch die Kapitäne der Schiffe waren erfahren genug, um den sich im Nil spiegelnden Lichtschein der Stadt genau zu beobachten und um somit festzustellen, ob die glatte Wasseroberfläche von irgendetwas gestört wurde. Tatsächlich fühlte sich eine Nilpferdmutter in Ufernähe in die Enge getrieben und meinte, ihr Junges verteidigen zu müssen. Mutig griff sie eines der Begleitboote an, das mit Soldaten besetzt war. Das Schiff war mindestens zehnmal so groß wie das riesige Tier und dennoch versuchte es immer wieder, seine Hauer in die Planken des Schiffes zu rammen. Erst als eine Gruppe tapferer Soldaten einen dieser Angriffe nutzte, um das tobende Tier mit seinen Speeren zu durchbohren, beruhigte sich das Wasser wieder und war spiegelglatt wie zuvor. Derjenige, der endgültig den tödlichen Stoß ausgeführt hatte, wurde augenblicklich zu Thot-moses Held, so dass er verkündete, ihn noch am Abend mit einer goldenen Fliege sowie einer Beförderung auszeichnen zu wollen. Hat-schepsut jedoch suchte mit den Augen das Ufer nach dem erbärmlich schreienden Jungtier ab, das nach seiner Mutter rief. Irgendwo im Schilf musste es sich versteckt halten. Hat-schepsut hoffte, dass es dort auch blieb, denn die Soldaten würden nicht einen Augenblick zögern, das Kleine wie seine Mutter zu töten. Sie gelobte, ebenfalls noch am Abend der Nilpferdgöttin Tawret zu opfern, damit sie diesen Frevel verzieh.
Nechen, die Stadt des Horus, war eine der ältesten Städte des Landes und erwartete die Reisenden mit Fackelschein und Jubelrufen. Insbesondere der Erbprinz, den man auch als Horus im Nest bezeichnete, würde dem falkenköpfigen Gott huldigen müssen, als dessen Nachfolger er schließlich galt, bis er den Thron bestiegen hatte. Doch für einen Besuch des Tempels war es nun bereits zu spät. Das Licht des Tages war längst schon der Nacht gewichen. Thot-mose wusste, was dies bedeutete: Er würde morgen, gleich mit dem ersten Tageslicht, die Opferriten abhalten müssen. Und da Hor-meni, der Bürgermeister von Nechen seine hochwohlgeborenen Gäste in seinem Palast natürlich entsprechend willkommen heißen wollte, hatte er ein üppiges Festmahl ausgerichtet, das sicherlich bis tief in die Nacht dauern würde. Thot-mose maulte, dass er in dieser Nacht wohl kaum genügend Schlaf bekommen würde und am liebsten auf der Barke zurückgeblieben wäre. Doch Hor-meni hatte in seinem Palast großzügig Räume für seine Gäste herrichten lassen, so dass es einer Beleidigung gleichgekommen wäre, wenn Thot-mose die Barke nicht verlassen hätte. Hat-schepsut rief ihm in Erinnerung, dass er sich gerade als Thronfolger einen Mangel an Aufmerksamkeit gegenüber Horus keineswegs leisten konnte. Und auch Hor-meni galt es, nicht zu enttäuschen, der sich gegenüber der königlichen Familie schon seit Langem durch besondere Treue und unerschütterliche Loyalität ausgezeichnet hatte.
„Komm, reiß dich zusammen“, flüsterte Hat-schepsut ihrem Bruder ins Ohr, als sie die Barke verließen. „Hor-meni hat es wahrlich verdient, dass du freundlich, nett und aufmerksam zu ihm bist. Es ist deine Pflicht, Thot-mose. Also vergiss das Bett. Und es hat auch bestimmt niemand etwas dagegen, wenn du den Affen mitnimmst.“
Eigentlich hätten die Gäste sich zunächst in die für sie vorbereiteten Räume zurückziehen sollen, um sich ein wenig auszuruhen, frisch zu machen und schließlich für das Festmahl neu zu kleiden. Doch es war inzwischen so spät geworden, dass man die Neuankömmlinge unmittelbar in den Festsaal des Bürgermeisters führte, um sogleich das Essen auftragen zu lassen. Glücklicherweise hatte Sit-Re an das Tuch sowie die Kanne Wasser gedacht, so dass sich Hat-schepsut wenigstens die Hände waschen konnte, die vollkommen verschwitzt waren. Sit-Re schaffte es sogar, ihrer Herrin in einer verschwiegenen Ecke die Augen mit Kohol nachzuziehen, ihr eine frische Kalasiris überzuwerfen und ihr