Als der königliche Geleitzug wenig später im Hafen von Nechen ablegte, um seine Reise fortzusetzen, war der Jubel der Einwohner schier unbeschreiblich. Hatte der Thronfolger ihrem Gott Horus doch die Ehre erwiesen, ihn in seinem Tempel zu besuchen, ihn anzubeten und zu ihm zu opfern. Zudem hatte ihm Thot-mose noch eine stattliche Zuwendung zugesprochen. Zunächst war Pharao über das Ausmaß der Spende ein wenig verärgert. Doch schließlich musste auch er Hat-schepsut beipflichten, die der Ansicht war, dass man gar nicht wissen könne, wozu es eines Tages gut sein mochte. Auch ein Bauer musste sich in Geduld üben, bis sich seine Aussaat irgendwann einmal bezahlt machte.
„Also wenn du auf diese Art und Weise ein Land regierst“, lachte Pharao, „bist du bald verloren. Es gibt nämlich keine armen Könige, mein Kind. Jedenfalls nicht lange. Vergiss das nicht! Vergiss das nie, hörst du …“ Er küsste seiner Tochter zärtlich die Hand.
Unter einem Baldachin an Deck der Barke wartete Sen-en-Mut bereits mit Isis auf Hat-schepsut und Thot-mose, um endlich mit dem Unterricht beginnen zu können. Heute würden seine Schützlinge Wissenswertes über die Städte Edfu und Nubet erfahren, die sie heute anlaufen würden. Hat-schepsut erinnerte sich an die Erzählungen Ah-hoteps, wonach Edfu zwar die Hauptstadt des fruchtbaren Falkengaus war, aber trotzdem nichts weiter als ein ausufernd gewuchertes Bauerndorf. Selbst der Gaufürst lebte in einem Gebäude, das eher einem stattlichen Gutshaus als einem Fürstenpalast glich. Auch wenn man so etwas wie höfisches Leben dort nicht erwarten dürfe, war der Falkengau doch einer der reichsten und zuverlässigsten Lebensmittellieferanten des ganzen Reiches. Den ganzen Tag würden sie an üppigen Feldern und riesigen Plantagen vorbeifahren. Es war gutes, schwarzes Land, es war heiliges Land. Dementsprechend wäre das in schlichter Bescheidenheit lebende Fürstenpaar mit größtem Respekt zu behandeln, erinnerte Sen-en-Mut seine Schüler. Gegen Abend, so berichtete er weiter, würde man Nubet erreichen, wo man auch die Nacht verbringen werde. Und zwar in der Residenz des obersten Schreibers der Felder.
„Residenz“, fragte Isis skeptisch. „Also, wenn ich Residenz höre, muss ich immer an einen Gutshof mit Rinderställen direkt neben dem Wohngebäude denken.“
Sen-en-Mut sah sie grinsend an. „Ich war noch nie in Nubet. Aber man erzählt viel von der Pracht der dortigen Residenz. Wir dürfen also gespannt sein.“
„Oh“, rief Isis erfreut und strich ihre Kalasiris glatt. „Wir dürfen gespannt sein.“ Die beiden Mädchen kicherten.
„Hauptsache, sie haben ein Bad dort“, grummelte Thot-mose.
„Davon ist ganz bestimmt auszugehen“, beendete Sen-en-Mut das Thema und begann von der langen Geschichte Edfus zu erzählen, dessen weiße Häuser bereits weit in der Ferne am westlichen Nilufer aus dem satten Grün der Plantagen herausleuchteten.
Edfu war so, wie Hat-schepsut es von Ah-hotep gehört hatte: Ein riesiges, ausuferndes Bauernkaff. Der Gaufürst war vollkommen durcheinander, weil er den Guten Gott zu Gast hatte. In einer wurmstichigen Sänfte, die nach Kuhstall roch, wurde Isis in das Haus der Gastgeber getragen. Manchmal hatte sie Angst, dass die Bauernburschen, die sie in dem beängstigend knarrenden Tragstuhl den Hügel hinauf schleppten, auf dem die Villa des Gaufürsten stand, über den nächsten Stein stolpern könnten. Sie betete insgeheim zu Upuaut, dem Finder der Wege, und versuchte, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Pharao, der Thronfolger und auch Hat-schepsut hatten natürlich ihre eigenen Sänften und Träger dabei und konnten sich entspannt zurücklehnen. Sie machten einen Umweg über den Horus-Tempel, um auch seinen verschiedenen Erscheinungsformen zu huldigen, die man in Edfu verehrte: Hor-Behdeti, Hor-Behdeti-em-cherepuef-en-Re, Hor-Behdeti-em-set-wenep, Hor-Behdeti-Re-Min und wie sie alle hießen. Pharao interessierte allein die Tatsache, dass es hier war, wo Horus der Sage nach seinen entscheidenden Sieg über Seth errungen hatte.
Gaufürst Hor-hotep, der ständig betonte, dass sein bescheidenes Heim sicherlich nicht den Ansprüchen der hochwohlgeborenen Gäste genügen würde, hatte für ein überaus üppiges Mittagsmahl gesorgt. Berge von Gebratenem und ausladende Schüsseln mit Gemüse und Eintöpfen wurden aufgetragen. Eigentlich war Hat-schepsut überhaupt nicht sonderlich hungrig. Doch alles duftete so einladend, dass sie es nicht lassen konnte, von allem zu kosten und sei es nur ein klitzekleiner Happen. Während Thot-mose mit leidender Miene an einem Entenbein herumnagte und seinen Affen mit Datteln fütterte, entzückte sich Hat-schepsut an der überraschenden Vielfalt der dargebotenen Köstlichkeiten. Ihr Vater, der ansonsten immer so vernünftig und zurückhaltend war, ließ sich von ihrer Begeisterung mitreißen. Schließlich empfahlen sie einander Leckerbissen, die der jeweils andere keinesfalls versäumen dürfe. Der Gastgeber sah es mit Freude, großem Gefallen und zufriedenem Stolz. Die dazu aufspielenden Musiker waren zwar nicht im Geringsten das, was man höfisch nennen konnte, allerdings dennoch virtuos, so dass sich Hat-schepsut vornahm, sich stärker um die Qualität der in ihren Diensten stehenden Musiker, Sängerinnen und Tänzer zu kümmern, sobald sie wieder in Waset war. Es musste der königliche Hof sein, an dem die bei weitem besten Künstler des Landes beschäftigt waren. Der königliche Hof sollte zukünftig auch diesbezüglich der Stern sein, nach dem alle anderen sich zu richten hatten.
Wider Erwarten fand es Hat-schepsut außerordentlich nett und entspannt in der Provinzstadt. Nach ein paar Bechern Wein war der Gaufürst sogar richtig lustig geworden. Er berichtete, dass man sich in Edfu noch heute die Geschichte erzählte, wonach die große Ah-hotep seine Großeltern überraschend besucht hatte und mit ihnen den schlichten Eintopf aß, den es nur alltags gab. Die Große königliche Gemahlin war seinerzeit mit ihrem noch kleinen Sohn Ah-mose auf dem Weg zu seinem im Sterben liegenden Vater Ka-mose, dem Gerechtfertigten. Ah-hotep hatte sich an diesem Abend satt und rund gegessen, so sehr mochte sie den Eintopf.
„Jawohl“, freute sich Hat-schepsut, „noch lange gab es bei uns in der Familie diesen Eintopf, auf dem Ah-hotep immer wieder bestanden hatte. Aber das, was wir heute zu essen bekamen, war gewiss nicht weniger köstlich.“
„Wie hätte ich auch vor meinen Ahnen bestehen können“, brachte Hor-hotep gerührt hervor, „wenn ich euch nicht ebenso von den Leckerbissen aus Efdu überzeugt hätte.“
Wieder an Bord bestand Hat-schepsut darauf, sich unbedingt ein wenig ausruhen zu wollen. Eigentlich hatte Sen-en-Mut vorgehabt, seinen Unterricht sofort fortzusetzen, doch auch er hatte schließlich so reichlich von den schmackhaften Speisen genossen, dass er sich ebenfalls schläfrig fühlte. Außerdem wusste man ja, wie gefährlich es sein konnte, einem vollen Magen bei seiner Verdauungsarbeit keine Ruhe zu gönnen. Erbrechen, Eingeweideaussackungen, ja, sogar faule Zähne konnten die Folge sein. Also zogen sich Hat-schepsut und Thot-mose in das kleine Zelt am Heck der Barke zurück und machten es sich auf ihren Liegen gemütlich, während Sen-en-Mut und Isis sich jeweils ein Fleckchen auf dem Boot suchten, wo sie ungestört ein wenig schlummern konnten. Derweil setzten sich Sit-Re und Merit-Amun vor das Zelt, um jederzeit ihrer Herrin oder ihrem Herrn zu Diensten sein zu können. Die Beiden kannten sich bereits seit Jahrzehnten. Sie waren immer höflich und respektvoll miteinander umgegangen, wussten sie doch nur zu gut um die Pflicht der jeweils anderen. Nun waren sie Verbündete. Stolz streckte Merit-Amun ihre flache Hand aus und ließ den Ring in der Sonne funkeln. Sit-Re hielt die Ihre daneben. Auch sie trug einen Ring mit Hat-schepsuts Namen. Er war aus tiefblauer Keramik, so dass man fast hätte meinen können, er sei aus Lapislazuli.
„Ach, irgendwann einmal wird sie dir auch einen aus Gold schenken“, versuchte Merit-Amun die vermeintliche Traurigkeit Sit-Res zu trösten.
Die lachte nur und zupfte an einer Kette, die sie um den Hals trug und die unter ihrer Kalasiris verschwand. Es gab Gerüchte im Palast, was an dieser Kette wohl hängen mochte. Gar nichts, meinten die einen spöttisch, während andere wiederum die unglaublichsten Erklärungen hatten. Von Edelsteinen war die Rede und von Gold. Doch niemand