Unbekannt Verzogen. Thorsten Nesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thorsten Nesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651802
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Groupies“, sage ich.

      Wir lachen.

      „Kommt!“, feuert uns Jamaika an.

      „Wie denn? Wir sind doch keine Band“, sage ich.

      „Na und? Dann werden wir eben eine!“

      „Ist das wirklich Nikotin, was du da rauchst?“, fragt W-Lan.

      „Ja!“, Jamaika ist Feuer und Flamme. Ich habe sie selten so gesehen. Sonst ist sie eher die Coole, „Los, was sagt ihr?“

      „Meinst du, nur weil du ein bisschen Krach auf der Gitarre von deinem Stief machen kannst, reicht das?“

      Einmal hatte sie ein wenig auf dem Ding herumgeschrammelt, als ich bei ihr war, nichts, was wirklich mit Musik zu tun gehabt hätte.

      „Hey, besser als nichts, und wenn ich ihn frage, bringt er mir bestimmt noch mehr bei. Der will mich seit Tag Eins auf seine Seite ziehen, egal wie, Hauptsache punkten bei Mutti, wie gut er mit mir klarkommt. Der bringt mir die Nationalhymne rückwärts bei, wenn ich ihn frage.“

      „Und du hast letztes Jahr in Musik ganz leuchtende Augen gehabt, Anecken, als du den Bass ausprobiert hast“, fällt W-Lan ein.

      „Nee, da bin ich nur rot geworden, weil Popp-Ei mich auf einmal gelobt hat.“

      Popp-Ei war unser Musiklehrer. Eigentlich hieß er nur Popp. Warum haben Lehrer oft so blöde Namen? Und bei seinen Unterarmen lag es nahe, dass wir ihn ... Ach, egal. Dass ich danach ein paar Stunden Bass-Unterricht bei Popp-Ei genommen habe, habe ich den beiden nie erzählt. Die Sprüche wollte ich mir sparen. Ja, ein bisschen war ich verknallt. Aber das binde ich doch keinem auf die Nase.

      „Okay“, sage ich schließlich, „wir können ein bisschen Gitarre und ein bisschen Bass. Na und? Wir haben nicht mal eigene Instrumente. Und W-Lan? Was spielt die?“

      „Ey, diez mich nicht!“, protestiert W-Lan.

      „Und was spielst DU, W-Lan?“

      „Schlagzeug, was sonst? Das geht einfach. Nur zwei Stöcke in die Hände und loskloppen. Wie im richtigen Leben.“

      „Leute, das kann doch nur schiefgehen“, seufze ich.

      Jamaika zieht einen Flunsch, als hätte sie ein ganzes Netz Zitronen ausgelutscht. Das macht sie immer, wenn sie nachdenkt. Sie runzelt dann ihr ganzes Gesicht, als hätte sie keine Knochen im Schädel, kräuselt die Nase und verzieht die Augenbrauen, dass ihre Stirn sich wellt wie die Fensterfolie an dem Golf von Henrik aus der Oberstufe.

      Dann steht sie auf und geht in Luftgitarrenpose. Sie imitiert einen Gitarrenriff, in dem sie die Backen aufbläst und Luft und Zigarettenqualm durch die Schneidezähne pustet.

      „Die Gitarre von meinem Stief“, sagt Jamaika, „die können wir bestimmt schon mal nehmen.“

      „Die ist nicht elektrisch, die ist aus Holz! Willst du rumjammern oder Musik machen?“

      „Gossen Posse, die rocken.“

      „Yeh!“

      „Jedenfalls“, sagt Jamaika, während sie einen perfekten Kringel bläst, „ich hätte da voll Bock drauf! Ne Mädchenband gibt es hier weit und breit noch nicht. Ich sag nur: FAME!“

      W-Lan haut in die gleiche Kerbe, „Genau, nicht wie Handball, nur herumlaufen. Das geht da richtig ab, Studio, Bühne, und die Klamotten!“

      Sie und ihre Klamotten. W-Lan ist immer perfekt gestylt, nicht nur mit ihrer Manga-Frisur, deren langer Scheitel die Hälfte ihrer Sonnenbrille verdeckt. Sie hat ihren eigenen Stil. Ich weiß nicht, wie viel Paar Chucks sie hat, aber auf jeden Fall so viele, dass sie jeden Tag in der Woche eine andere Farbenkombination trägt. Links pink, rechts rosé ist ihre Lieblingskombi. Oder grün mit charcoal, oder gold mit rot. Ihre Eltern verbieten natürlich unterschiedliche Schuhe, deshalb tauscht sie immer auf dem Weg zur Schule die Farben. Ich kenne sonst niemanden, der ein zweites Paar Schuhe im Rucksack mit sich rum trägt. Aber wenn es aus Eimern schüttet und ihre Schuhe durchgeweicht sind, holt sie in der Schule ihre Reserve aus dem Rucksack.

      Jamaika fantasiert weiter, „Fame, wir werden berühmt, reich, reisen!“

      Ich korrigiere ihr Bild, „Wir werden gedisst, gemobbt und angespuckt.“

      „Quatsch, sei nicht so.“

      „Ich weiß nicht“, sage ich und bekomme von Jamaika die Kippe gereicht, „warum gehen wir nicht einfach so zum Gossen Possen-Konzert? Dann können wir sie wenigstens von vorne sehen.“

      „Aus 50 Metern Entfernung“, meint Jamaika.

      „Und woher nehmen wir die Kohle?“, fragt W-Lan, meine Eltern geben mir für ein Konzert bestimmt kein Geld.“

      „Parkbühne ist tierisch teuer“, ergänzt Jamaika.

      „Die lachen uns doch aus, und das wär total peinlich. Stell dir vor, wir kommen in die Schule und jeder weiß, dass Gossen Posse uns ausgelacht haben“, sage ich.

      Und W-Lan sagt, „Das meine ich mit Luxusproblem. Dann haben wir Gossen Posse kennengelernt!“

      Jamaika nickt.

      Stimmt, müsste ich zugeben, tue ich aber nicht, „Na, ich weiß nicht. Wir schaffen es noch nicht einmal bis zum Battle.“

      „Nicht, wenn wir es nicht versuchen.“

      „Wir schaffen keinen einzigen Song, weil wir keine Instrumente haben!“

      „Und außerdem – wenn wir uns dann live vor allen blamieren?“

      „So what“, zuckt Jamaika mit den Schultern, als hätte sie einen kleinen Elektroschock bekommen.

      „Dann gibt’s immer noch auswandern oder plastische Chirurgie“, sagt W-Lan.

      „Und du weißt doch, ist der Ruf erst ... Scheiße, Kippe weg!“, zischt Jamaika plötzlich.

      4 – Häuptling Deutschland-Socke, der Robocop von Hangover

      Ich hab echt keine Ahnung, wie Krüger es jedes Mal schafft, sich anzuschleichen. Vor allem hat der Kontaktbulle seine beiden Spitznamen nicht von ungefähr. Er geht zwar nicht so steif wie Robocop, aber er scheint, anstatt eines Genicks aus Wirbeln ein Stahlgerüst zu haben. Wenn er rauf oder runter, nach links oder rechts gucken will, dreht sich sein ganzer Körper eins zu eins mit.

      Er bleibt vor uns stehen und beugt sich vor. W-Lan erzeugt mit dem Mund das Geräusch eines hydraulischen Gelenks. Ich muss ihn unweigerlich anlachen, Jamaika schafft es rechtzeitig, sich wegzudrehen.

      Der grauhaarige Robocop fixiert mich und deutet auf mein Trikot, „Nimmst Handball jetzt so richtig ernst, was?“

      „Oh, ja, gibt nur noch Handball für mich.“

      „Einen Ball fangen und werfen. Erinnert mich an meinen Enkel, von meiner Tochter, der ist drei Jahre alt. Vielleicht ist das wirklich etwas für dich, deine große Karriere.“

      „Ja! Ich lass mir jetzt auch einen Schnauzer wachsen, breiter als ihrer, ich werde der Heiner Brand des Damenhandball! Sie werden sehen. Wollen Sie vorher noch ein Autogramm?“

      „Na, jetzt nicht mal frech werden. Führerschein und Papiere, bitte!“

      „Was?“

      „Kleiner Scherz von meiner Seite. Ihr wisst schon: Ausweise.“

      W-Lan gestikuliert mit ihrem iPhone, „Herr Krüger, Sie kennen uns doch.“

      „Um so schlimmer.“

      „Ist das ein Kompliment? Das ist ein Kompliment, Mädels!“, sagt Jamaika.

      „Sicher nicht“, er wirft einen überflüssigen Blick auf unsere Persos, „Nehmt mal eure Brillen ab.“

      „Warum?“,