Unbekannt Verzogen. Thorsten Nesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thorsten Nesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847651802
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Nachbarn in Bornum gucken immer seltsam, wenn wir kommen. Dann schon lieber Mühlenberg, da fallen wir nicht so auf.

      „Ich glaube, die Wettberger Weiber wollten uns einfach aus der Mannschaft raushaben, alle drei“, sage ich.

      „Geht ja auch nicht anders“, sagt W-Lan.

      Und Jamaika bestätigt, „So eine Freundschaft kennen die gar nicht.“

      „Die wollen unter sich sein, und sie sind eifersüchtig, weil Markus immer mit Jamaika geflirtet hat, stimmts?“, frage ich zum Ende hin W-Lan, und sie nickt und guckt grinsend an mir vorbei zu Jamaika.

      „Hat er überhaupt nicht“, protestiert die gleich und viel zu laut, „du spinnst, ihr spinnt.“

      „Nee, echt. Der guckt dich immer voll geil an.“

      „Quatsch.“

      „Klar!“

      „Nein!“

      „Sabber-Sabber...“

      „Hör auf!“, und sie schubst mich, so dass ich mit einer Schulter W-Lan anrempele, und sie gibt's mir zurück. Und ich fliege wie eine Flipperkugel zwischen den beiden hin und her, drei, vier Mal, bis ich jeweils einen Arm um die Hälse meiner Freundinnen schlinge. Wir lachen.

      „Ihr seid die Besten“, sage ich.

      „Und du solltest am besten besser auf dein Outfit achten“, sagt Jamaika.

      Damit spielt sie auf mein Trikot an.

      „Ach, ist der Ruf erst ruiniert ...“, und die beiden fallen in unseren Spruch ein, wie immer, und mit den Armen deuten wir eine La Ola-Welle an, „lebt es sich ganz ungeniert!“

      Ein Ü40-Ehepaar in Joggingklamotten – beide Arme gestreckt von den prallen blauen Einkaufstüten – schaut zu uns herüber.

      „He, was gibt’s zu glotzen?“, sage ich.

      Sie gucken weg, nach vorne, gehen weiter, flüstern.

      „Wer flüstert, der bettnässt.“

      Getuschel.

      „Hab ich gehört!“, rufe ich.

      Keine Reaktion.

      3 – Sollen wir jetzt sieben Tage chillen die Woche, oder wie?

      Nicht, dass ich grundsätzlich etwas gegen das Chillen hätte, nein-nein, und wahrscheinlich könnte ich das auch einige Wochen durchhalten, aber 365 Tage im Jahr? Bis zur zehnten Klasse? Ich weiß nicht. Da steigt in mir irgendwie das Bild von dem Mammut auf, dass man im Eis gefunden hat. Das hat auch gechillt. Lange gechillt.

      „Lasst uns mal überlegen, was wir jetzt dienstags und donnerstags immer machen“, sage ich.

      „Chillen“, kommt es in Stereo zu mir.

      „Außer chillen.“

      „Was ist falsch mit chillen?“, fragt Jamaika.

      „Irgendwann hast du alle Knoten aus deinen Haaren herausgedreht.“

      „Na und?“

      „Sollen wir uns dann gegenseitig lausen?“

      W-Lan tut so, als picke sie Läuse aus meinen Haaren und steckt sie sich in den Mund wie Erdnüsse. Ich spiele mit, kratze mich unter dem Arm, gucke so bescheuert wie möglich und tue, als popele ich in meiner Nase. Leider guckt keiner. Jamaika klatscht in die Hände vor Lachen.

      „Ich meine ja nur, das kann irgendwann öde werden“, sage ich.

      „Dann ist es früh genug, sich um das Problem zu kümmern“, sagt Jamaika, legt den Kopf schief und kämmt sich mit gespreizten Fingern.

      Jetzt wurmt mich die Sache mit dem Handball ein bisschen. Ich hätte Merle genauso gut nach dem Training eins verbraten können. Aber das hätte ich dann auch nicht mehr gemacht, weil ich bis dahin runtergekocht wäre.

      „Und die Saison hatte noch nicht mal angefangen“, ich stampfe mit meinen weißen Nikes auf. Erst zwei Wochen alt, strahlend weiß draußen in der Sonne, gleißend hell. Auf die hatte ich ein halbes Jahr gespart. Ich stehe auf und schlendere zu meinem Fahrrad.

      Hinter mir höre ich Jamaika, „Tschö, bis morgen, war super mit dir hier ...“

      „Ich fahre doch nicht einfach so“, sage ich, „ich hole mir meine Sonnenbrille.“

      „Bring meine mit, in der Außentasche.“

      „Meine auch“, sagt W-Lan.

      Auch meine Brille ist in der Außentasche. Auf halben Weg werfe ich erst Jamaika und dann W-Lan die Brille zu. Beide fangen sie unter Protest.

      „Ihr habt so schlapp ausgesehen“, sage ich.

      Wir setzen uns die Sonnenbrillen auf, und meine Welt tönt sich grün. Die habe ich im Juni draußen vor dem LIDL gefunden. Mal etwas anderes: Grün.

      W-Lan wischt mit dem Zeigefinger übers Display, die Thumbnails purzeln nach oben, und sie öffnet einen Browser, „Mal sehen, was so geht diese Woche ... Im Jugendzentrum gibt’s ne Aktion ...“

      „Gemeinsam kochen?“, fragt Jamaika.

      „Gemeinsam runterkochen“, sage ich.

      „Geocaching für Mädchen.“

      „Was'n das?“, frage ich.

      „Also, bei uns Menschen gibt es Jungen und Mädchen, und Mädchen unterscheiden sich ...“

      „Reiz mich nicht, ich habe mich gerade beruhigt!“

      „Geocaching. Weißt du nicht? Schatzsuche mit GPS.“

      „Was für Schätze? Mit dunkelblauen Augen und Sixpacks?“

      „Ja, genau, Anecken.“

      Jamaika vermutet eine wahrscheinlichere Variante, „Wohl eher eine Tüte Kekse.“

      „Selbst gebacken.“

      Das kann ich mir gut vorstellen in der Weißen Rose, wie unser Jugendzentrum heißt, und ich sage, „Och nee. Die Tote Hose ist öde.“

      „Außerdem hängen da die ganzen Penner aus der Schule rum.“

      „Und Sozialarbeiter.“

      „Iiiiieeeh!“, machen wir alle drei gleichzeitig und kreuzen die Finger wie zur Vampirabwehr. Gelächter.

      „Ey, geil!“, ruft W-Lan.

      „Was denn?“

      „Guckt mal, guckt mal, guckt mal! Hier, auf der PRINZ-Seite: da findet n Musikwettbewerb statt: Nachwuchsbands können einen Song einreichen. Danach gibt’s nen Konzertbattle, und wer den gewinnt, wird VORBAND BEIM GOSSEN POSSE-OPEN AIR AUF DER PARKBÜHNE!“

      „Wie geil ist das denn?“, stöhne ich.

      „Ey, da kann man die Gossen Posse treffen, hinter der Bühne“, ergänzt Jamaika.

      „Und anschließend ist Party.“

      „Mit anfassen!“, kiekse ich absichtlich.

      „Das ist ...“

      „Ich sag nur ...“

      „GOSSEN POSSE!“, rufen wir aus.

      Vor einem Jahr hatte W-Lan ein Video von ihnen auf YouTube entdeckt, seitdem waren wir geradezu infiziert von ihrer Musik. Ihr Live-Mitschnitt war der Hammer. Er ist das Letzte, was ich vor dem Einschlafen höre, und das Erste morgens beim Zähneputzen. Und ich glaube, den beiden geht es genauso.

      „Darauf eine Ziggy“, sagt Jamaika.

      Ich nicke. Und sie zaubert eine krumme Filter aus ihrer Hosentasche und eine Packung Streichhölzer. Mit einer geschmeidigen Bewegung reißt sie ein Streichholz an und zieht an