Schuldig!. Jens R. Willmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens R. Willmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847639886
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– Tod. Interessante Vorgehensweise!«

      »Interessant oder nicht, ich würde es eher als beschissen qualvolles Ende bezeichnen, wird ja wohl für den armen Kerl recht lange gedauert haben das Ganze.« Hartmann konnte sich diese gereizte Reaktion nicht verkneifen. »Sonst noch irgendwas?«

      »Ja, wir können davon ausgehen, dass der oder die Täter sehr darauf geachtet haben, dass das Opfer nach dem Auskegeln der Schultern keine Chance hat, mit den Füßen jemals den Boden zu erreichen.«

      Der Kommissar konnte Nitze im Moment nicht folgen. »Und dennoch fehlten nur wenige Zentimeter, wie geht so was?«

      »Moment!« Der Ermittler der Spurensicherung musste das Opfer erneut drehen, was ein eigenartiges und sehr unangenehmes Geräusch des Seils auslöste: »Wenn man jemanden so hinaufzieht, stellen sich die Arme in eine beinahe rechtwinklige Position.« Er ließ das Opfer wieder los und der aufgehängte Körper drehte sich zurück, was bei Hartmann fast eine Übelkeit hervorrief, die er in seinem Job eigentlich bisher nicht kannte.

      »Wie ich bereits erwähnte, ließ irgendwann die Muskulatur nach und der Körper fiel durch sein Eigengewicht wie ein Sack nach unten. Aber dadurch, dass seine Füße den Boden nicht erreichen konnten, zog sich die Schlinge hier am Hals fest zu und das Opfer wurde auf eine nicht alltägliche Art und Weise erhängt.«

      Hartmann fragte nach dem Abdruck auf der Stirn. »Vorher oder nachher, woher kommt dieser Abdruck?« Nitze wusste zuerst nicht, was er meinte, bis der Hauptkommissar darauf deutete. »Vermutlich der Abdruck von etwas Rundem, aber Genaueres werden wir noch herausfinden.« Hartmann war mit dieser Antwort absolut nicht zufrieden.

      »Wie kommt dieser dahin?«

      »Eingebrannt, so sieht es zumindest aus.«

      »Wie bitte?«

      Nitze wiederholte seine Antwort und wollte ihm das näher erklären, doch Hartmann gab zu verstehen, dass er weiter nichts darüber hören wollte.

      »Entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt komme, aber dieser verdammte Verkehr …« Hinter ihnen tauchte Dr. Miguel, der Pathologe, auf. Ein kleiner Typ, den man schon mal in der Menge übersehen konnte. Unscheinbar, mit einer großen Nase, Halbglatze. Das linke Bein zog er etwas hinter sich her, was man aber kaum sah. Hartmann meinte sich zu erinnern, dass er bei einem Kanada-Urlaub in eine Tierfalle geraten war. Dr. Miguel hatte charakterlich seine Stärken, ganz zu schweigen von seinem fachlichen Wissen. Er galt als ein sehr spezieller Rechtsmediziner, der auch gelegentlich von anderen Instituten angefordert wurde, was wohl für sein Können sprach. »Was haben wir?«

      Hartmann deutete zu dem Baum, an dem der Tote hing.

      »Ach herrje, das ist aber eine recht seltsame, wenn auch interessante Methode, jemanden zu töten. Vor allen Dingen effektiv, wie es scheint. Aber so auf den ersten Blick, irgendwo habe ich das schon mal gesehen. Hm, muss ich mal überlegen …«

      »Ja, eigentlich ist dies eine alte Foltermethode, nur ein wenig erweitert, bla bla bla«, fiel ihm der Kommissar ins Wort.

      »Och, so alt ist diese Methode auch wieder nicht. Selbst Nazis wandten sie noch an. Wenn sie auch eigentlich eher dazu genutzt wurde, um jemanden zum Sprechen zu bringen. Aber das meinte ich nicht, als ich sagte, ich hätte diese Methode schon einmal gesehen. Es gab schon mal einen solchen Fall. Noch nicht lange her, scheiße, verdammt, wann und wo war das bloß?«

      »Na, dann strengen Sie sich mal an!« Hartmann war ungeduldig. Er projizierte seinen Ärger darüber, dass er sich in letzter Zeit auch an allerlei Dinge nicht präzise erinnern konnte, auf Dr. Miguel, der eben dasselbe Problem hatte.

      »Moment. Warten Sie. Es muss kurz nach meinem Studium gewesen sein, also gut 30 Jahre her. Ja genau, Ihr alter Kollege Sander war mit dem Fall betraut, aber wenn ich mich recht erinnere, wurde er nie aufgeklärt.«

      Sander, dachte Hartmann. Natürlich Sander. Immer wieder mal, wenn wenig zu tun war, sah er die Akte auf dessen Schreibtisch liegen. »Ja, ich kann mich, wenn auch nur dunkel, daran erinnern. Sander sprach ab und an davon.«

      »Richtig. Und ich meine, dass das Opfer damals im Gelpetal gefunden wurde. Übrigens ganz in der Nähe der Stelle, wo wir die drei toten Kinder fanden. Aber da wird es ja noch Aufzeichnungen darüber geben. Nur das mit dem Abdruck ist neu, und mit der Strangulation auch.«

      Der Kommissar nickte und nahm sich vor, gleich mal im Archiv anzurufen. »Wie ist Sander denn damals vorgegangen?«

      »Das, Hartmann, ist eine gute Frage, ich glaube, wir standen genauso dämlich davor wie nun auch. Es wurden damals nur wenige Anhaltspunkte gefunden, die auf einen Täter hinwiesen, und so hat Sander den Fall bereits nach wenigen Wochen zu den Akten gelegt. Wobei man es wohl Glück nennen darf, dass es keine weiteren Opfer zu beklagen gab, bis heute zumindest. Die Presse hatte ihn damals als unfähigen Beamten betitelt. Tja, aber das ist ja nun Schnee von gestern.«

      Hartmann hörte dem Mediziner angestrengt zu und rieb sich nachdenklich das Kinn. Er erinnerte sich, wenn auch nur vage, an den Fall, denn sein ehemaliger Vorgesetzter hatte ihm oft davon berichtet. Deswegen kam ihm das nun auch so bekannt vor.

      »Wo ist eigentlich Krause?«, fragte Hartmann.

      »Der ist doch zum Seminar«, antwortete Nitze.

      Das hatte der Kommissar ganz und gar vergessen und Nitze schüttelte verwundert den Kopf.

      »Typisch, da gibt es mal eine interessante Mordmethode und unser junger Kollege muss zu einer Schulung, sich bekloppte Theorie einhämmern lassen.«

      Dr. Miguel wandte sich zu ihm und meinte, Krause vorhin in der Rechtsmedizin gesehen zu haben. »Heute lernt der Junge das Zerteilen einer Leiche.« Hartmann sah den amüsierten Gesichtsausdruck des Mediziners und zeigte ihm einen Vogel, bevor er sich von ihm abwandte.

      4

      »Idiot«, dachte Hartmann und suchte erneut nach seinen Zigaretten. Er war jetzt schon sichtlich nervöser. Wenngleich er versuchte, seine Aufmerksamkeit auf die Schaulustigen und deren neugierige Blicke zu richten.

      »Können wir die nicht wegschicken?«, Nitze, der am Boden kniete, erhob sich und meinte, dass es dafür wohl zu spät sei.

      »Okay, was ist mit der Presse?«

      Fragend sah sein Kollege ihn an.

      »Schon jemand von denen hier?« Hartmanns Stimme klang gereizt.

      »Nein.«

      »Gut, dann müssen wir dafür sorgen, dass dies so bleibt.«

      »Das wird kaum möglich sein«, meinte Nitze vorsichtig.

      »Weiß ich, aber versuchen können wir es.«

      Nitze bemerkte den scharfen Unterton und nickte nur kurz. Aber auch Hartmann glaubte nicht ernsthaft, dass es funktionieren könnte, erst recht nicht nach dem letzten Fall.

      »Okay, ich sehe mich mal ein bisschen um, ihr kommt ja auch allein zurecht.«

      Ohne auf eine Reaktion zu warten, schritt Hartmann den Weg zurück, den er gekommen war. Dabei betrachtete er das alte Gemäuer näher, das irgendwie schon arg mitgenommen aussah. Direkt an den Mauern wucherte allerhand Grünzeug und von Pflege war hier nicht viel zu erkennen. Bei der Absperrung angekommen, traten die neugierigen Gaffer zur Seite. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, ging er an ihnen vorbei. Es fielen ihm die alten Stufen auf, die zum Eingang des Gebäudes führten.

      Mit der linken Hand am rostigen Geländer folgte er dem Treppenverlauf, bis er an einer alten Glastür zum Stehen kam. Über dieser Tür hing noch das alte DB-Schild und noch weiter oben eine in die Wand eingelassene Uhr, die im Laufe der Jahre irgendwann stehen geblieben war. »So ist das wohl, wenn alte Gemäuer verlassen werden. Die Zeit bleibt einfach stehen«, dachte Hartmann, als sich plötzlich etwas in der Scheibe widerspiegelte, das seine Aufmerksamkeit hervorrief. Blitzartig wandte er sich um und hastete die Treppe wieder nach unten, wobei er fast die oberste Stufe verpasst hätte.

      »Stopp!«