Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Hauck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037500
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Ferner habe ich auch einige Medikamente dabei, so eine Art Notfallapotheke.”

      “Deshalb warst du in der Apotheke...”

      “Richtig. Wenn nämlich einer von uns krank wird, haben wir ein extrem großes Problem!”

      Jerry blickte den Bruder gebieterisch an.

      “So, und jetzt werde ich mir deine Verletzung ansehen, denn ich glaube nicht, dass es nur ein kleiner Kratzer ist, wie du behauptest. Das Blut war bis in den Ärmel des Jeanshemdes durchgesaftet, es ist bestimmt eine größere Wunde. Am besten wird sein, du machst den Oberkörper frei.”

      Thomas tat, wie ihm geheißen und hängte Jeanshemd und T-Shirt an einen abgestorbenen Ast, um sich sofort wieder dem Bruder zuzuwenden.

      “Hm, sieht nicht gut aus”, murmelte er besorgt, holte sich die Petroleumlampe heran und leuchtete auf die Stelle.

      “Was ist?”, erkundigte sich Thomas, der jetzt auch ein wenig besorgt war.

      “Sieht aus wie ein Streifschuss”, erklärte Jerry, “hat ein schöne Fleischwunde gegeben. Dabei hab ich doch nur auf die Reifen gezielt.”

      “Vielleicht hast du einen Knick in der Optik”, entgegnete Thomas gereizt.

      “Jetzt werd mal nicht frech”, rechtfertigte sich Jerry, “kann ja auch von einer verirrten Kugel stammen. Und außerdem hab ich’s nicht absichtlich gemacht. Im Gegensatz zu dir. Das war echt ein starkes Stück von dir, Tom, dass du mich in Handschellen gelegt hast. Werd ich bestimmt nicht so schnell vergessen.”

      “Mann, sei nicht so nachtragend. Ich hatte Angst. Immerhin wolltest du mich meinen Feinden ausliefern. Und du hast mich erst auf die Idee mit den Handschellen gebracht, weil du sagtest, du wollest mich k.o. schlagen, fesseln und bei der nächsten Polizeistation abliefern. ‘Das wird meine Glaubwürdigkeit erhöhen!’ Deine Worte, Jeremiah!”, konterte Thomas.

      “Okay, und jetzt nimm deine neugierige Nase mal da weg, du behinderst mich.”

      Jerry war aufgestanden und holte aus dem Seesack ein Päckchen. Er drückte Thomas einige Utensilien in die Hand und holte ein sauberes Tuch hervor, mit dem er die Wunde notdürftig säuberte, so gut es eben ging. Thomas zuckte ganz schön zusammen.

      “Tut’s weh?”, fragte Jerry besorgt.

      “Nein, du kitzelst mich!”, gab Thomas mit einem säuerlichen Unterton zurück.

      “Nun sei mal nicht so zimperlich”, murrte Jerry, “ein Indianer kennt keinen Schmerz.”

      “Und ein Indiana Jones schon gar nicht oder wie?”, hielt Thomas dagegen.

      Jerry musste lachen.

      “Scheinst dich da ja auszukennen.”

      “Nein, nicht wirklich, aber in der letzten Zeit bin ich von diversen Leuten damit genervt worden.”

      “Das verstehe ich nicht.”

      “Ach, ich war da auf einer elenden Cocktailparty beim Bürgermeister. Als ein paar von den Typen in der Gesprächsrunde hörten, dass ich nach Venezuela fahren will, meinten sie, das wäre ja wie bei Indiana Jones.”

      Jerry kriegte einen Lachanfall und wand sich.

      “Was ist daran so komisch?!”, fuhr Thomas ihn an.

      “Aber sie haben dir nicht empfohlen, an Hut und Peitsche zu denken, wie?!”

      Jerry krümmte sich immer noch.

      “Wenn dein Heiterkeitsanfall irgendwann mal beendet sein sollte, Jeremiah, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du mir erzählen würdest, was dich so erheitert hat!”, grummelte Thomas.

      “Ich denke, du kennst dich aus”, meinte Jerry und kicherte immer noch ein wenig.

      “Nein, nicht wirklich”, knurrte Thomas verstimmt.

      “Hut und Peitsche sind sozusagen das Markenzeichen von Indiana Jones, so wie die schlechte Laune dein Markenzeichen ist.”

      “Vielen Dank!”, entgegnete Thomas eingeschnappt.

      “Hey, war nicht bös gemeint”, lenkte Jerry ein.

      “Bei dir ist anscheinend nie was bös gemeint”, murrte Thomas und war immer noch ein wenig beleidigt.

      “Okay, jetzt halt still, damit ich ein bisschen Jod auf die Wunde tun kann. Es wird brennen, das kann ich dir prophezeien, und ich halte dich auch nicht für eine Mimose, wenn du schreist. Okay, es geht los. Der böse Onkel Doktor Jeremiah verarztet jetzt den kleinen Tom.”

      Jerry hatte nicht zu viel versprochen. Als er die Wunde mit Jod beträufelte, schrie Thomas auf.

      “Das macht dir wohl Spaß!”, jammerte Thomas.

      “Ja, ohne Ende!”, meinte Jerry ironisch, “in meinem früheren Leben war ich Folterknecht!”

      “Oh Mann, das brennt wie Feuer”, stöhnte Thomas.

      “Kleiner Kratzer, hä? Ich sag dir jetzt mal was: Das ist eine ernstzunehmende Sache. Tut mir leid, dass es jetzt weh tut, aber es muss sein. Wenn es sich entzündet, kriegen wir richtig Freude. Also, halt still. Es ist gleich vorbei”, entgegnete Jerry tröstend.

      “Na gut.”

      Beim zweiten Mal ging’s schon besser. Thomas verzog zwar das Gesicht und biss die Zähne zusammen, aber es ließ sich besser aushalten als eben.

      “Das war wohl der Schreck, dass du so geschrieen hast”, meinte Jerry mütterlich, “und jetzt werde ich dich verbinden. Dann kannst du dich wieder anziehen, großer Meister. Und leg dich bitte heute Nacht nicht auf die rechte Seite, damit die Wunde nicht gereizt wird, okay?”

      “Ich werd mich bemühen”, versprach Thomas, “aber ich kann für nichts garantieren.”

      “Schon gut, der gute Wille zählt”, erwiderte Jerry versöhnlich.

      “Allerdings glaube ich, dass ich sowieso kein Auge zumachen kann in der Nacht”, meinte Thomas.

      “Solltest du aber”, mahnte ihn sein Bruder, “wir haben morgen viel vor. Von daher musst du Kräfte sammeln. Da du sonst den ganzen Tag im Büro bist, dürfte unser Marsch sehr anstrengend für dich werden.”

      “Ich treibe Ausgleichssport”, rechtfertigte sich Thomas.

      “Ja, aber der besteht bestimmt nicht darin, bei mindestens 90° F (entsprechen 32° C) und 98% relativer Luftfeuchtigkeit einen Gewaltmarsch durch den Dschungel zu machen. Und ehrlich gesagt, ich bin an sowas auch nicht gewöhnt. Höchstens an die Temperaturen. Das wird also noch richtig ätzend für uns, so viel ist sicher.”

      “Mach mir noch Mut”, maulte Thomas.

      “Hey, ich wollte das nur mal realistisch darstellen. Also, es wird anstrengend, aber wir wissen ja auch, wofür wir das machen. Schließ­lich wäre die Alternative Gefängnis oder Tod. Apropos Alternative, morgen musst du mir erzählen, was du angestellt hast, dass sie so hinter dir her sind, damit ich endlich im Bilde bin und uns nicht um Kopf und Kragen bringe.”

      “Ja, das war allerdings sehr blöd von dir, dass du in der Bar geplaudert hast.”

      “Komm, komm, du hattest mich doch nicht eingeweiht. Im Gegenteil, du hast mir diese Versöhnungsgeschichte aufgetischt. Ich weiß bis heute noch nicht, was passiert ist, und warum Ramírez dich abschießen will.”

      “Kann’s dir gern erzählen!”

      “Morgen, für heute habe ich die Schnauze voll vom Abenteuer.”

      “Wie du meinst!”

      “Ja, ich meine, und jetzt halt die Klappe, damit ich schlafen kann.”

      Jerry rollte sich an einem Baumstamm zusammen und schlief schon bald ein. Thomas hatte sich ebenfalls zurückgelehnt und starrte in die undurchdringliche Dunkelheit. Nachdem Jerry die Lampe ausgemacht