Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Hauck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037500
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      “Nein, habe ich nicht, Zoe”, versuchte er seine Frau zu beruhigen und erzählte ihr, was man ihm gerade vorgeworfen hatte.

      “Martha tut mir leid”, befand Zoe, “bei der waren sie bestimmt schon. Hoffentlich denken sie nicht, dass sie Thomas’ Komplizin war, genauso wie Jeremiah.”

      “Tja, hoffentlich ist das so”, gab Philip zurück, “obwohl es mich auch irgendwie amüsiert, wenn ich mir vorstelle, wie Thomas und Jeremiah auf der Flucht sind. Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, dass die beiden Brüder es auch nur vierundzwanzig Stunden lang miteinander aushalten können, ohne sich gegenseitig zu zerfleischen. Aber Not lässt einen zusammenhalten. Wer weiß schon, wie Ramírez Thomas aufs Kreuz gelegt hat.”

      Und hoffentlich kommt nicht Ramírez auf die Idee, mir bzw. uns einen kleinen Besuch abzustatten, unkte Philip, der Drogenbaron ahnt was, keine Ahnung, warum und woher. Aber er weiß nicht genug, deshalb hat er Thomas gelinkt und will ihn jetzt ganz geschickt einkassieren. Sonst hätte die Polizei Thomas doch nicht so schnell auf frischer Tat ertappt. Oh weh, das wird eine heiße Sache. Aber vielleicht habe ich noch die Hoffnung, dass Ramírez wirklich nichts von dem Beweismaterial weiß. Das bedeutet nämlich, dass wir hier in New York nicht so extrem in Gefahr sind. Wenn Ramírez seine Handlanger hierher schickt, um uns zu liquidieren, ist das nicht mehr logisch, dass Thomas sein Freund ist. Tja, da kann ich nur hoffen, dass Thomas von dem Kolumbianer nicht einkassiert wird, sonst können alle, die enger mit dem Herrn Richter zu tun hatten, sich bald die Radieschen von unten ansehen.

      “Weißt du was?!”, meinte er dann zu seiner Frau, “wir sollten uns ein bisschen entspannen nach dem Schrecken.

      Als er das sagte, sah er seine Frau scharf an. Die hatte verstanden.

      Philip machte Musik an und drehte die Lautstärke ziemlich hoch. Dann setzte er sich mit Zoe aufs Sofa und turtelte mit ihr. Dabei biss er ihr zärtlich ins Ohrläppchen, um ihr dann aber vorsichtig zuzuflüstern: “Wenn sie schon denken, ich könnte mit drinhängen, wäre es möglich, dass sie unser Haus verwanzt haben. Und unser Telefon auch. Also, führ keine Gespräche mit Martha. Wir dürfen ferner auf keinen Fall mit ihr Kontakt aufnehmen, sonst bestätigt das noch die Vermutung der Ermittler, dass wir alle zusammenarbeiten. Es tut mir zwar leid, dass wir ihr unser Mitgefühl nicht aussprechen können, aber es ist besser für uns alle.”

      “Okay, ich verstehe”, befand Zoe, “aber eine Frage habe ich noch. Meinst du, dass die Drogenbosse als nächstes bei uns auftauchen?”

      “Nein, das denke ich nicht”, beruhigte Philip seine Frau, “es würde Ramírez’ Behauptung, dass er und Thomas Freunde waren und sehr vorsichtig agierten, abschwächen.”

      “Hm, das tut gut zu wissen.”

      Philip nahm sie in den Arm. Sie strich ihm über den Rücken und drückte ihn an sich. Philip spürte, wie ihn eine warme Welle durchströmte. Die Loyalität und Liebe seiner Frau taten ihm sehr gut. Wie gut, dass ich dich habe, Zoe.

      In der Nacht konnte Philip nicht schlafen. Seine Frau hatte sich eine Schlaf­tablette genommen, aber er wollte das irgendwie nicht. Nachdem er sich stundenlang hin und her gewälzt hatte, stand er schließ­lich auf und zog sich T-Shirt und Jeanshose an. Anschließend ging er an den Kühlschrank, holte sich ein Bier und setzte sich auf die Veranda. Die Nacht war sehr mild und der Himmel sternenklar.

      Thomas hat niemals ein Doppelleben geführt, dafür würde ich sogar meine Hand ins Feuer legen, dachte Philip, mal abgesehen von dem Beweismaterial, das er zusammengetragen hat. Ist schon eine paradoxe Sache mit der Gerechtigkeit. Ein Unschuldiger wird für Dinge verantwortlich gemacht, die er gar nicht begangen hat. Komischerweise werden es die meisten Leute aber trotzdem als gerecht empfinden, weil es gar nicht wichtig ist, ob er schuldig ist oder nicht. Denn schuldig ist Thomas schon, wenn auch nicht in Bezug auf die Gesetze unseres Landes. Aber er hat sich gegenüber den Menschen in seiner Umgebung schuldig gemacht, indem er sie verächtlich, beleidigend und unfair behandelt hat. Allerdings gibt es dafür keine Gesetze, die das ahnden können. Und nun muss Thomas sozusagen für Dinge büßen, die er nicht getan hat, weil er nicht für Dinge büßen kann, die er getan hat. Was für ein Paradoxon. Das verstehe, wer will.

       Als die Ermittler am Freitagabend endlich verschwunden waren, fühlte sich Sophie elend. Sie ging auf ihr Zimmer und ließ sich erschöpft auf’s Bett fallen. In was war der Vater da nur hineingeraten! Sophie tat ihre Mutter leid. Die war völlig aufgelöst gewesen. Kein Wunder, die Ermittler hatten die Mutter ja fast wie eine Terroristin behandelt.

      Als wenn Mama was dafür könnte, was Paps da angestellt hat, dachte Sophie. Ein bisschen zurückhaltender hätten diese Leute schon sein können.

      Und zur absoluten Krönung hatte Justin noch angerufen und gemeint, dass es seinem Image schade, wenn sein Vater negativ in die Schlagzeilen geriete.

      Die Mutter ist doch schon fertig genug gewesen, und da muss Justin auch noch mit seinen Imageproblemen kommen, ärgerte sich Sophie. Der hat Nerven. Sonst hat Papas Image ihm doch immer weitergeholfen. Der Sohnemann vom Herrn Dr. McNamara. Alle haben ihm auf die Schulter geklopft. Viele Türen haben sich für Justin leichter geöffnet, weil er der Sohn des berühmt berüchtigten Richters von New York ist. Und jetzt kommt er so daher.

      Im Grunde ist er eine noch viel größere Ratte als sein Vater, dachte Sophie, wenn Paps denn wirklich schuldig ist. Wie gut, dass du jetzt außerhalb wohnst, Justin, und mich nicht zwei McNamaras mit ihrer Besserwisserei nerven. Deinen Vornamen hast du jedenfalls zu Unrecht. Von wegen der Gerechte. Ein Speichellecker bist du und ein Opportunist. Hängst dein Mäntelchen nach dem Wind.

      Sophie hatte ihre Mutter danach erst mal getröstet und ihr gesagt, dass Justin es nicht so gemeint habe - obwohl Sophie ganz sicher war, dass er es so gemeint hatte - und dass der Bruder bestimmt auch ganz durcheinander sei. Das hatte Martha gut getan. Sie nahm sich anschließend etwas zur Beruhigung und meinte, sie wolle sich ein wenig ausruhen.

      “Mach das”, meinte Sophie.

      “Bist du auch in Ordnung, Kleines?!”, fragte Mutter.

      “Klar”, erwiderte Sophie, “hinter mir ist der CIA ja nicht her.”

      Martha lächelte, strich ihrer Tochter über den Kopf und legte sich ins Bett.

      Nun war Sophie mit sich und ihren Gedanken allein. Am liebsten hätte sie Großtante Laetitia angerufen, aber sie war sich ziemlich sicher, dass die Ermittler in einem unbeobachteten Moment Abhörgeräte ins Telefon eingebaut hatten.

      Keine Lust, mein Innerstes dem CIA auf Band zu sprechen, dachte Sophie. Was für eine Woche! Am Montag einen total ungenießbaren Vater freundlicherweise über ein paar Sachen aufgeklärt, von denen er keine Ahnung hat und dafür Stubenarrest gekriegt - mit siebzehn! - und am Freitag steht der CIA vor der Tür und behauptet, mein Vater sei ein langjährig gesuchter Drogenhändler. Der ist doch nicht wegen Onkel Jeremiah da runter gefahren. Oh Papa, du hättest wirklich besser mal öfter ins Kino gehen sollen, dann wäre dir sofort klar geworden, dass es einen Sieg gegen die Drogenmafia nur im Film gibt. Und ich dachte schon, du würdest Onkel Jeremiah mitbringen. Oder ich dürfte ihn vielleicht mal besuchen, wenn ich achtzehn geworden bin. Aber so fährst du nach Venezuela, um dich mit den südamerikanischen Drogenkartellen anzulegen. Paps, du bist einfach nur ein absoluter Idiot!

      Und sie war böse auf ihren Vater, weil er die Familie unvernünftigerweise in solch ein Chaos gestürzt hatte. Im nächsten Augenblick tat es Sophie aber schon wieder leid. Erstens stand in der Bibel, man solle Vater und Mutter ehren (Die Bibel, AT, 2. Mose 20, Vers 12 - Das sollte man aber nicht als Freifahrtschein sehen, um die Kinder zu unterdrücken und mit ihnen zu verfahren, wie man es gerade will. s. die Vergleichsstelle im NT, Brief des Apostels Paulus an die Epheser, Kap. 6, Verse 1 - 4.), was Sophie unendlich schwer fiel in Bezug auf ihren Vater.

      Trotzdem, dachte sie, Strafe muss sein. Paps hat sich so oft unchristlich verhalten und anderen das Leben zur Hölle gemacht, irgendwann musste Gott ja mal der Kragen platzen. Auch wenn Gott alle Menschen lieb hat, duldet er nicht unbesehen unseren miesen Lebenswandel. Ist schon ein schwieriges Thema. Ich meine, wir machen