Paradoxe Gerechtigkeit. Stefanie Hauck. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Hauck
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738037500
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und kam erst wieder zu sich, als Jerry ihn ansprach.

      “Buenas dias, Tom! Na, wie hast du geschlafen?”

      “Super”, erwiderte Thomas zerknirscht.

      “Ich habe dich ja gewarnt, Bruderherz!”, entgegnete Jerry ungerührt und musste sich ein Grinsen verkneifen. Bestimmt hatte Tom seine nächtlichen “Exzesse” vernommen.

      “Wie steht’s, Tom, willst du ‘nen Kaffee? So als kleinen Muntermacher?! Hab ich eben aufgebrüht!”

      Und innerlich dachte er: Tom hasst Kaffee. Er würde lieber verdursten, als eine Tasse Kaffee zu trinken.

      “Nein danke”, meinte Thomas mürrisch und fügte hinzu, “aber lieb von dir.”

      Du hast noch nie so viel in so kurzer Zeit gelogen wie in den paar Stunden, in denen du bei mir warst, Tom, amüsierte sich Jerry. Dass mir diese Genugtuung noch zuteil werden durfte! Aber irgendwie habe ich das auch verdient, so als kleine ausgleichende Gerechtigkeit für all die Demütigungen. Und wenn ich mit ihm heute den Trip nach Trinidad und zurück gemacht habe, dann wird er dafür gesorgt haben, dass ich für den Rest der Woche nicht mehr zu arbeiten brauche. Anschließend wird er wieder abhauen, mal ganz egal, ob wir uns versöhnt haben oder nicht. Und dann kann ich mit Catarina die ganze Woche lang völlig ungestört eine Liebesnacht nach der anderen verbringen. Hm, das werde ich ihm noch stecken, dass ich so lange nicht arbeiten muss und wie ich die Zeit nutzen werde, aber nur für den Fall, dass das mit der Versöhnung nicht klappt.

      Jerry hatte seinen Kaffee ausgetrunken und ging zur Tür. Thomas sah ihm irritiert nach und meinte: “Wo willst du hin?”

      “Du wolltest doch nach Trinidad, oder?”

      “Ja, natürlich.”

      “Nun, ich werde das Boot jetzt startklar machen. Zähl schon mal die Schein­chen ab und futtere dir noch einen Happen, es wird eine etwas längere Fahrt.”

      Sprach’s und verschwand im Freien.

      Thomas setzte sich auf und stöhnte. Dann kramte er seine Sachen zusammen, ging an den Kühlschrank und holte nochmal die Salami heraus. Das war das einzige Lebensmittel, was ihm einigermaßen genießbar anmutete. Während er am Küchentisch saß und kaute, hörte er draußen ein Motorengeräusch.

       Na, wenigstens das Boot ist funktionstüchtig, dachte er. Und Haupt­sache, es geht gleich los. Mir ist gar nicht wohl dabei, dass ich immer noch hier bin.

      Nachdem er die Wurst verspeist hatte, wischte er sich die Hände an seiner Jeans ab, das Wasser war ihm zu suspekt, und holte sein Jeanshemd. Gerade in dem Moment, als er es angezogen hatte, meinte er, eine Bewegung an der Tür zu vernehmen. Er trat einen Schritt darauf zu und wollte sie eben öffnen, als das Inferno über ihn hereinbrach. Die Tür wurde mit Wucht aufgestoßen, und ins Zimmer stürmten zwei Polizisten mit Revolvern im Anschlag. Eine ganze Flut von spanischen Worten und Kommandos ging auf ihn nieder, während ein weiterer Beamter hereinstürmte, ihn packte und mit dem Gesicht gegen die Wand schleuderte.

      “Hände gegen die Wand und Beine auseinander”, fuhr er ihn auf Englisch an. Thomas war so verdattert, dass er willenlos gehorchte. Der Fahnder tastete ihn nach Waffen ab, um dann, als er nichts fand, Thomas’ rechtes Handgelenk unsanft auf dessen Rücken zu ziehen. Thomas hörte das Geräusch von einrastenden Handschellen, dann wurde seine linke Hand auf den Rücken gezogen, und er spürte das kalte Metall an seinen Handgelenken.

      Jetzt ist es vorbei, dachte er, das war’s. Hier kommst du nicht mehr ungeschoren raus.

      Er hatte ein Gefühl, als würde ihm jemand die Kehle zudrücken, und er schluck­te unwillkürlich. Noch nie im Leben hatte er solche Angst gehabt. Er war den Tränen nahe und verdrehte die Augen, um nicht loszuheulen. Das wäre das Letzte gewesen.

      Der Beamte packte ihn brutal und stieß ihn zur Tür hinaus. Thomas blinzelte in das grelle Morgenlicht.

      “Vamos, amigo!”, meinte der Fahnder und gab ihm einen weiteren Stoß. Vor der Tür warteten ein Streifenwagen und ein Jeep in zivil.

      Das war also das Motorengeräusch gewesen, das er gehört hatte. Wie hatte er nur so dumm sein können!

      Die beiden Polizisten nahmen ihn in die Mitte und brachten ihn zu dem Streifenwagen. Die Tür wurde geöffnet und der Gefangene unsanft hinein geschubst. Thomas saß wie ein Häufchen Elend auf dem Rücksitz.

      Wo ist Jeremiah wohl? überlegte Thomas, ob er mitbekommen hat, dass ich verhaftet worden bin? Ob sie ihn auch verhaften werden? Oder hat er mich verraten? Vielleicht hat er gestern in der Kneipe mitbekommen, dass ich gesucht werde, und sie haben ihm mehr geboten als ich? Das wäre doch die perfekte Chance, sich an mir zu rächen, wo er doch gar nicht scharf auf eine Versöhnung war? Das würde auch erklären, warum die so schnell hier aufgekreuzt sind.

      Thomas’ Fragen wurden umgehend beantwortet. Er sah Jeremiah aus der Richtung der Boote auftauchen und bemerkte, wie einer der Polizisten auf ihn zuging. Anscheinend kannten sie sich.

      “Hola, Angelo!”, meinte Jerry, “was liegt an?! Was macht die Polizei bei mir?”

      “Hola, Solimár”, gab Angelo zurück, “alles in Ordnung, wir haben nur gerade einen Verdächtigen festgenommen.”

      “Einen Verdächtigen? Bei mir? Machst du Scherze, Angelo?”, Jerry sah den Kumpel aus dem Dorf ungläubig an.

      “Ja, deinen Bruder. Den Richter aus New York”, entgegnete Angelo.

      “Moment mal, ihr habt meinen Bruder verhaftet!”

      Jerrys Augen weiteten sich in ungeahntem Ausmaß. Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben.

      “Sag das nochmal, Angelo, wen habt ihr verhaftet? Meinen Bruder? Das soll wohl ein Witz sein!”

      “Nein, das ist mein voller Ernst, Solimár”, gab Angelo zurück, “und ich gebe dir auch was von der Belohnung ab, amigo!”

      “Welche Belohnung?! Was läuft hier eigentlich, kannst du mir das mal erklären?!”

      Jerry war völlig aus dem Häuschen.

      “Nun, amigo”, klärte Angelo den Freund auf, “du hast doch gestern Abend bei José erzählt, dass dein Bruder aus New York zu Besuch gekommen ist und dass er mit dir nach Trinidad einen Bootstrip machen will.”

      “Das habe ich Eugenio erzählt und José, aber...”

      “Genau, und als du mit Catarina verschwunden warst, haben die beiden mir die ganze Geschichte erzählt. Nun ja, gestern ist nicht sonderlich viel passiert bei mir auf der Wache, ein langweiliger Tag. Aber als ich bei José war, bemerkte ich, dass ich mein Portemonnaie im Büro vergessen hatte. Deshalb bin ich spät am Abend nochmal dorthin gegangen. Als ich es geholt hatte und gerade wieder abschließen wollte, kam just ein Fax rein. Irgendwie war ich neugierig, weswegen spät am Abend noch ein Fax ankommt. Das musste ja wohl was sehr Wichtiges sein. Und dann hab ich gesehen, dass landesweit ein Dr. Thomas McNamara gesucht wird, der sich am frühen Nachmittag seiner Verhaftung durch Flucht entzogen hat. Tja, dein Bruder ist gar nicht der Saubermann, für den er sich immer ausgegeben hat. Er ist ein Schwein...”

      “Das wusste ich immer schon”, unterbrach ihn Jerry grinsend.

      “Nein, mal im Ernst, Solimár”, hielt Angelo dagegen, “dein Bruder ist ein Busenfreund von... halt dich fest... Señor Miguel Ramírez!”

      Angelo machte eine Pause und betrachtete voller Genugtuung Jerrys blödes Gesicht.

      “Damit hast du im Leben nicht gerechnet, nicht wahr?!”, amüsierte sich Angelo.

      “Allerdings nicht”, hauchte Jerry völlig entgeistert.

      “Tja, man soll sich nie zu sicher sein”, feixte Angelo, “ich hab also noch am selben Abend versucht, die Fahnder zu kontaktieren, aber bei denen liefen die Leitungen heiß. Schließlich habe ich es aufgegeben und es ganz früh am Morgen nochmal versucht. Und wie schön, wir haben euch ja noch erwischt. Natürlich habe ich den Kollegen gesagt,