FEURIGE RACHE. Ralf Feldvoß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ralf Feldvoß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738056068
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mögliche wissen, was er doch eigentlich selber wissen sollte?

      Alessandro hingegen kam Paul wirklich so vor, wie er auch tat – völlig ratlos ob der laufend aufkommenden Probleme. Aber Paul konnte sich natürlich auch täuschen. Schließlich war er nur ein einfacher Kurierfahrer und kein promovierter Wissenschaftler, der die Zusammenhänge vielleicht besser hätte einschätzen können. Vielleicht musste ein Assistent auch keine Ahnung haben, sondern nur die Aufgaben erledigen, die ihm übertragen wurden. Doch wenn dem so war, fragte sich Paul, dann hätte auch er selber diesen Posten übernehmen können. Über diesen Gedanken dachte er einen Moment lang nach und zerschlug ihn wieder. Wenn es so einfach wäre, dann hätte Petra ihm das Angebot sicher unterbreitet. Möglicherweise wollte sie einfach nur verhindern, dass sie beide sich über ihre Arbeit in die Haare geraten könnten.

      Vielleicht war es auch ehrliches Interesse seitens Enricos an der Materie, könnte ja sein. Aber dennoch behielt Paul ein ungutes Gefühl. Auch jetzt, als Enrico völlig sorglos das Frühstück machte, oder gerade deswegen.

      „Hast du gut schlafen können?“, versuchte Paul ihn in ein kleines Gespräch zu verwickeln.

      „Sehr gut sogar“, antwortete Enrico. „Ich muss sagen ich habe hier besser geschlafen, als im Zelt. Die Matratze dort ist so unerträglich weich, das tut meinem Rücken gar nicht gut. Und die Luft hier – na ja, der Gestank ist nicht der beste, aber dennoch – es ist viel weniger stickig. Und du?“

      „Geht so. Ich habe definitiv schon besser geschlafen.“ Paul überlegte kurz, ob er die Frage, die in seinem Kopf herumschwirrte, stellen sollte, oder nicht. Schließlich tat er es. „Was hast du eigentlich vorher gemacht? Ich meine bevor du den Posten hier als Petras Assistent bekommen hast?“ Paul wollte seinem eigenen Bauchgefühl folgen und versuchen Enrico etwas auszufragen. Nicht das er über eine ausgezeichnete Menschenkenntnis verfügte, das wusste Paul, das dem nicht so war, aber es würde sein Gewissen etwas beruhigen.

      „Vorher? Ach, dieses und jenes. Gelernt habe ich Bäcker, aber das habe ich nach der bestandenen Ausbildung direkt wieder abgebrochen“, erzählte Enrico freimütig. „Viel zu frühe Zeiten, verstehst du? Die Ausbildung habe ich auch nur meinen Eltern zuliebe durchgezogen. Meine Mutter wäre vor Scham den Nachbarn und der Familie gegenüber wahrscheinlich im Boden versunken. Und dann, nachdem ich mir eine eigene kleine Wohnung gesucht habe, habe ich mich so durchgeschlagen, mal hier einen Job, mal dort, ganz unterschiedliche Sachen. Ich hatte Glück, das meine Familie mich immer mit durchgezogen hat. Mein Vater sah es nämlich nicht so dramatisch, wie meine Mutter. Zuletzt habe ich bei meinem Cousin gelebt, bis er.....“ Enrico machte eine Pause, als wenn er überlegen musste, was er als nächstes sagte. „Bis er weggezogen ist“, beendete er den Satz.

      „Und was waren das für Jobs?“

      „Och, nichts besonderes. Meistens nur irgendwelche Hilfsjobs, Zeitungen austragen, Chauffeurdienste, solche Sachen eben. Der Job jetzt hier ist glaube ich der erste richtige, den ich seit meiner Ausbildung habe. So mit Vertrag und so. Das kannte ich vorher nicht.“

      Paul kam das alles merkwürdig vor. So, als wenn Enrico irgendetwas verheimlichen wollte. Er konnte es allerdings an nichts bestimmten festmachen. Es war einfach so ein Gefühl.

      Alessandro kam und setzte sich zu Paul und Enrico. Seine Augen waren immer noch stark gerötet, obwohl er versucht hatte sich mit kaltem Wasser wach zu bekommen. „Guten Morgen. Oh man, habt ihr auch so fürchterlich geschlafen? Ey, mal ehrlich, auf diesen Matten kann man doch nicht liegen, die machen einem doch total den Rücken kaputt. Mal ganz abgesehen davon, dass ich eh die halbe Nacht wach war und an den Kompassen und Uhren herumgedoktert habe.“ Alessandro streckte sich und seine Gelenke knackten hörbar. „Ah, schon besser. Gibt´s schon Kaffee?“

      „Natürlich!“ Enrico schenkte einen weiteren Becher voll und reichte ihn dann Alessandro hinüber.

      „Ich werde mal sehen, dass ich Petra und die anderen wach bekomme.“ Paul stand auf, gab den leeren Becher Enrico zurück und ging zu seinem Schlafplatz. Petra regte sich noch kein bisschen. Auch Marie schien sich noch tief im Land der Träume zu befinden. Nur Franz saß auf seiner Isomatte und wischte sich den Schlaf aus den Augen.

      „Moin moin Meister! Na, ausgeschlafen?“ Paul setzte sich zu seinem Freund.

      „Ausgeschlafen kann man das nicht wirklich nennen, aber was will man machen. Du riechst komisch, hast du schon was zu trinken bekommen. Dein Atem stinkt penetrant nach einem herrlichen schwarzen und heißen Gesöff.“

      „Wenn du Kaffee haben willst musst du rüber zu Enrico gehen. Der macht gerade Frühstück und Kaffee ist fertig.“

      „Enrico? Nein, lass mal, dann verzichte ich lieber. Der geht mir doch nur wieder mit seiner Fragerei auf die Nerven.“ Franz schien also doch nicht so begeistert zu sein einen wissbegierigen Schüler zu haben.

      „Sollten wir nicht Petra langsam wecken? Ich habe zwar keine Ahnung wie spät es ist, aber ich denke, da sowieso alle wach werden, können und sollten wir auch bald weiter gehen, oder?“ Paul hätte sie am liebsten schlafen lassen, nach dem Ärger der letzten Tage, aber auch ihm war bewusst, dass es hier eine Aufgabe zu erledigen gab und Petra die Verantwortung trug.

      „Ich habe es knapp halb sechs“, sagte Franz mit einem Blick auf seine Armbanduhr. Reflexartig schaute auch Paul auf seine. „Stimmt“, bestätigte er.

      Beide schauten sich verdutzt an. Wieso zeigten beide Uhren die selbe Zeit? Gestern hatten sämtliche Uhren unterschiedliche Zeiten angezeigt. Sechsundzwanzig Mitglieder im Team und es gab sechsundzwanzig verschiedene Uhrzeiten.

      Franz ging zur schlafenden Marie und schob vorsichtig, um sie nicht zu wecken, ihren Ärmel hoch. Auch ihre Uhr zeigte halb sechs an, desgleichen stellte Paul fest, als er auf die Uhr an Petras Arm schaute. Petra regte sich.

      „Was ist denn los? Warum weckst du mich?“ Sie gähnte ausgedehnt, setzte sich auf und streckte sich.

      „Nichts weiter, ich wollte nur sehen welche Zeit deine Uhr anzeigt. Schlaf weiter, wenn du willst.“

      „Nein, nein, ist schon in Ordnung. Aber warum wolltest du das sehen? Ist doch sowieso egal, wenn alle Uhren anders gehen.“

      „Das ist es ja. Franz´ und meine Uhr zeigen die gleiche Zeit. Deine im Übrigen auch, wenn ich das dazufügen darf.“ Paul setzte sich neben Petra, die ihn anschaute, als hätte er gerade behauptet einen Geist gesehen zu haben.

      „Die Uhren gehen wieder richtig? Alle?“, fragte sie erstaunt.

      „Keine Ahnung. Zumindest zeigen unsere vier Uhren alle die gleiche Zeit, was mit den anderen ist weiß ich nicht. Und ob das die korrekte Uhrzeit ist, sei auch noch dahingestellt.“

      Petra sprang förmlich von ihrer Matte hoch. „AUFWACHEN! ALLE AUFWACHEN UND ZWAR SOFORT!!“

      Paul zuckte zurück angesichts des plötzlichen Ausbruchs seiner Frau. Der Ruf hallte in der Höhle nach. Alle, die bereits wach waren, schauten irritiert Petra an und die, die noch im Dämmerzustand waren, regten sich und kamen langsam zu sich.

      „Alle wach?“, fragte Petra nun deutlich leiser als zuvor, aber immer noch laut genug, dass sie auch von den Letzten in den hintersten Ecken der Kaverne gehört werden konnte. Sie blickte in die Runde und zählte die empor gereckten Köpfe. Vollzählig. „Uhrenvergleich!“, rief sie. Nacheinander nannten alle die Zeit, die ihre Uhren zeigten. Es gab die übliche Abweichung von ein, zwei Minuten, die auf falsch gestellte Uhren zurückzuführen war, aber keine Differenzen wie noch am Abend zuvor. Von allen kam mehr oder weniger halb sechs als Antwort.

      Petra setzte sich wieder nachdem sie noch ein zerknirschtes „Danke“ von sich gegeben hatte.

      „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr, aber egal, wird sich schon aufklären“, sagte sie mehr zu sich selber, als zu irgendwem bestimmten „Ich brauche einen Kaffee. Bist du so lieb und holst mir einen?“, bat sie Paul der gleich darauf aufstand und zu Enrico ging.

      „Ist schon seltsam, oder?“, fragte Petra in die Runde ihrer Freunde, nachdem auch Franz und Marie von Paul mit Kaffee versorgt