Baker Island. Hugo Berger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hugo Berger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748561033
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ein Rutschen. Ich wundere mich, dass ich in diesem Zustand doch noch ein beachtliches Stück nach unten schaffe. Jetzt ist allerdings endgültig Schluss. Der Schmerz tobt und mein innerer Schweinehund weigert sich, noch einen einzigen schmerzenden Schritt weiterzugehen. Depressive Gedanken holen mich ein weiteres Mal ein, wie sie es schon mehrmals auf dieser Tour gemacht haben. Ich möcht wenigstens eine Zigarette, verdammter Bullshit. Wie lang hab ich nicht mehr geraucht?

      Eine eigenartige Stille umgibt mich. Wäre es nicht herrlich, einfach aufzuwachen und festzustellen, dass alles das ein XXL-Albtraum gewesen ist. No, keine Zigarette, kein Traum. Flüsternd, nahezu lautlos streicht ein leichter Windhauch über den an dieser Stelle kargen Felsboden. Die Tierherde ist aus meinem Blickfeld verschwunden, sicherlich weitergewandert. Einsamkeit breitet sich aus, die profanen Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Müdigkeit nehmen Oberhand. Einfach auf einem Stein dasitzend denk ich an… nichts. Die Zeit hat aufgehört, eine Bedeutung zu haben, sogar die Gedanken haben aufgehört Bilder zu malen…. Lethargie überzieht mich wie ein bleierner Mantel. Nur der etwas zunehmende Wind spielt mit mir. Er treibt kleine Staub-Wölkchen vor sich her, besonders hinter dem direkt vor mir liegenden Bergrücken, der mir die Sicht ins Tal versperrt. Die Luft flimmert intensiv und lässt den Staubwolken unmittelbar das Trugbild eines näherkommenden Fahrzeugs folgen. Stink-normale Hirnfantasie in der Vorkammer des Hitzschlagtodes, oder eine klassische Fatamorgana? Vielleicht sollte ich über diese Art von Ironie lachen. Eine Luftspiegelung, die so täuschend echt wirkt? So echt wie Wirklichkeit.

      Ein blitzend blankpolierter weißer Mitsubishi-Geländewagen bleibt wenige Meter vor mir stehen. Die Fenster sind aus verdunkeltem Glas. Ist es Harvey? Nein, der hatte einen völlig heruntergekommenen Ford. In aller Seelenruhe steigt ein Mann aus, schlacksig, groß, weiße Hautfarbe, unauffällig gekleidet. Sein Gesicht verbirgt sich hinter einer gespiegelten Sonnenbrille und unter einem breitgekrempelten Cowboyhut, der an einen Western-Star erinnert. Lediglich der Revolvergürtel fehlt. Ein Security-Mann? Er geht auf mich zu ohne mehr als „Howdy“ zu sagen, bleibt einen Augenblick stehen, betrachtet mich mit einem prüfenden Blick von oben bis unten und hilft mir in den Wagen. „Taxi“ ist das zweite Wort des auffällig wortkargen Cowboys, das ohne erkennbare Mimik aus seinem Mund kommt. In seinem Gesicht ist mit Ausnahme eines längst aus der Mode gekommenen Schnauzbartes nicht viel zu erkennen. Dafür scheint er derjenige zu sein, der versucht meine Gedanken lesen zu wollen. Stumm fährt er den leicht abfallenden Hang hinunter, um hinter dem Hügel eine Staub-Piste zu erreichen, die durch eine gefällige Hügellandschaft führt. Wortlos reicht er mir eine gefüllte Wasserflasche auf dem Beifahrersitz, die ich gleichtuend wortlos in Empfang nehme und bis auf den letzten Tropfen leere. Bald zweigt er ein weiteres Mal ab, es geht einen anderen Hügel wieder hinauf. Sein dritter und letzter Satz „Tuff`s Hill “ nach zwanzigminütiger Fahrt bedeutet vermutlich, dass hier für mich so was wie Endstation ist. Doch statt dankbar zu sein, dafür, dass ich schon wieder ein Katzenleben verbraucht hab, stell ich mir die Frage, wer zum Henker soll Tuff sein.

      3 - Garten der Medizin

      Der Widerhall der Hupe liegt noch abnehmend in der immer noch flimmernden Luft dieses heißen Nachmittags, während eine kleine Staubwolke die Richtung markiert, wohin sich der Taxi-Cowboy, unmittelbar nachdem er mich abgesetzt hat, buchstäblich aus dem Staub gemacht hat. Nicht unsympathisch auf seine Art, aber andererseits doch wiederum ein eigenartiger Typ, der so etwas wie seinen Job gemacht hat, einen Auftrag erledigt hat, oder zumindest wollte, dass es danach aussieht.

      But now, sitz ich hier, wie auf`s Neue ausgesetzt auf einer wie von Kinderhand knallbunt bemalten Parkbank, umrahmt von einer Vielfalt wuchernder Blüten, an denen hunderte von Schmetterlingen gierig Nektar saugen wie Säuglinge an einem Schnuller. Von einem Tuff-Hill oder einem wer-auch-immer-das-sein-mag-Tuff dagegen nicht die geringste Spur von Anwesenheit. Was wird mich wohl als nächstes in diesem Spiel erwarten? Darf ich etwa darauf hoffen, dass ein Begrüßungskomitee des Niemandslandes den roten Teppich ausrollt, oder doch eher den Polizeiwagen mit einer Hundertschaft und einem Haftbefehl? Es ist mir irgendwie egal, wenn sich nur endlich jemand um meine Befindlichkeiten kümmert. Die Angst hat sich verkrümelt, an ihrer Stelle wächst ein zunehmendes Gefühl der Gelassenheit und der Neugier in mir. Noch bevor ich mich in zu großer Sicherheit wiege, oder wieder in den gedanklichen Fragemodus wechseln kann, nehm ich aus noch undefinierbarer Quelle ein näher kommendes Sing-Sang wahr. What`s goin on? Und urplötzlich sehe ich mich direkt in zwei extrem leuchtende Augen blicken. Dazu vernehm ich als Begleitmusik ein für meine augenblickliche Erwartung beinah schon zu vorbehaltloses „Howdy Bruder!“

      Tuff? Schmales Gesicht, intensivbraun, schulterlange graue Deadlocks, ein genauso grauer Kinnbart. Er ist gegenteilig von übergewichtig, also schlaksig, trägt ein gelbes Fußball-Trikot mit einer Aufschrift, deren Schrift ich nicht lesen kann, und eine mehrfarbige zerknitterte Leinenhose. Nur einen Erinnerungsblitz lang meine ich, das Gesicht zu erkennen, um es ebenso blitzartig wieder zu vergessen.

      „Hast du eine Zigarette für mich Mann?“, hör ich mich die Frage stellen, die ich bereits beim Cowboy loswerden

      wollte, sofern dieser einen Tick wortreicher gewesen wär.

      Sein Blick klebt förmlich auf meinem Gesicht, während er mich mit einem unablässigem big-easy-smiling fixiert

      und dabei seinen Rastalockenkopf hin und her wiegt. Ich fühl mich dabei so was von durchgeröntgt, als ob

      sämtliche Zahnrächen in seinem Oberstübchen meine DNA entschlüsseln wollten. Mustert er mich in dieser

      außergewöhnlichen Intensität, um mein Gesicht mit der Fahndungsliste abgehauener Häftlinge oder anderer

      unerwünschter Personen geistig abzugleichen? Falls ja, und ich doch ein Straftäter bin, dann wurde ich

      ausgesetzt, entfernt aus diesem sogenannten Paradies, über irgendwelche versteckten Kameras gesichtet,

      dann von diesem Cowboy-Deputy ohne Polizeimarke aufgeschnappt und stehe nun unmittelbar vor einem

      Verhör oder einer neuen Festnahme durch den obercoolsten Insel-Sheriff den man sich vorstellen kann.

      Vielleicht erfahre ich auf diese Weise endlich, who I am. Ohne auf meine Zigarettenfrage einzugehen liegt sein

      observierender Blick immer noch wie ein Abziehbild auf meinem Gesicht wie auf der Suche nach konkreten

      Spuren in meinem Hirn, das so leer ist wie ein ausgelöffelter Suppenteller. Endlich verliert sein Blick eine

      Wenigkeit des undeutsamen Grinsens. Stattdessen mischt sich ein kaum wahrnehmbares Zucken seiner

      Mundwinkel in seinen Ausdruck. Wie auf Knopfdruck wendet er sich abrupt um, die Hand, mir den Rücken

      bereits zuwendend, ein eindeutiges Zeichen gebend, ihm zu folgen.

      „Komm, lass uns ein Stück gehen.“

      „Warte Mann, mein Fuß!“

      Aus dem Nichts zaubert er plötzlich einen Stock zu Tage, den er mir reicht. „Nimm den Bruder!“ Vermischt mit einem sing-sang humpelt er murmelnd vor mir her, wobei ich nicht weniger lädiert versuche, ihm zu folgen. Erst jetzt fällt mir auf, dass ein künstliches Rasta-Bein der Grund seines schlürfenden Ganges ist. Ich hätt es wohl kaum bemerkt, wenn seine Prothese nicht mit diesen bunten Schmetterlingen bemalt gewesen wär. Ein echt abgefahrener Typ mit seinem Schmetterlingsbein.

      War das gerade das ganze Verhör? Dann auch keine Polizei, keine Zelle? Statt Tür mit Schloss, Riegel und Gitter passieren wir zwei Humpelmänner einen Torbogen, der durch das Blütengestrüpp verdeckt war. Gleich dahinter gelangen wir auf einen Steg aus wuchtigen Holzdielen, der sich kurvig durch das Gelände windet. Zu beiden Seiten üppiges Grün ähnlich einer Allee verhindert die Sicht auf die weitere Umgebung. Tuff bleibt kurz stehen, da ich ihm nur mit verzögertem Tempo folgen kann. Als ich ihn erreiche, stehen wir wieder vor einem Torbogen. In einer der schweren Bodendielen kann ich ein eingelassenes Schild lesen: „Garden-of Woods-Schild (Garten der Wälder). Wir betreten weiter dem Steg folgend ein Terrain, das