Ich hatte vergessen, das Fenster zu schließen. Der Duft von frisch gebackenem Biskuitboden liegt noch immer in der Luft.
Der Flur wurde vorübergehend zur Sammelstelle für gebrauchte Geschirrtücher, Topflappen, Schüsseln, Schneebesen und dergleichen mehr. All das Zeug, für das in der Küche zwischenzeitlich kein Platz mehr gewesen ist, liegt in der Diele verstreut.
Nein, – im Sinne von nein. Ab und zu braucht der Mensch eine Pause. Kurzentschlossen leiste ich der Diva in meinem Badezimmer Gesellschaft. Denn jener vorsorglich abgedunkelte und gekachelte Raum ist nicht nur angenehm kühl sondern auch frei von Wespen.
Die Türglocke lässt mich aus meinem Nickerchen aufschrecken. Jetzt aber hurtig.
Wie abgesprochen, stelle ich den Einhornkuchen auf meine Fußmatte und lege den Kassenbon unter das Glas mit den bunten Streuseln und Blumen. Rasch schließe ich die Tür wieder. Gespannt lausche ich auf die Schritte im Treppenhaus.
Ein Juchzen erklingt. Treffer.
Aufrichtig freue ich mich mit der mir unbekannten Enkeltochter und ihrer Oma.
Erst nachdem das Taxi weggefahren ist, öffne ich meine Wohnungstür erneut.
Neben dem Geld für die Lebensmittel und einem zusätzlichen zwanzig Euro-Schein liegen fünf frische Waffeln. In Backpapier eingedreht.
Darunter ein Zettel:
Vielen, vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen.
P.S.: Waffeln kann ich.
*
„… und wie geht es Sebastian inzwischen? Hat er sich von dem Schrecken erholt?“
„Ach, da denkt der schon gar nicht mehr dran. Der hat vier Tage lang jeden Abend seinen Rücken von mir mit Salbe eingerieben bekommen und dann war gut.“
„Na, umso besser.“
„Ach Mensch, es wäre so cool, einfach mal wieder in Ruhe mit dir klönen zu können. So ganz unkompliziert, weißt du. Einfach irgendwo sitzen und quatschen und den Kleinen dabei im Blick haben. Wenn dieser ganze Pandemie-Mist vorbei ist und man endlich wieder so richtig normal `raus kann, besuche ich dich wieder. Mit Falk und Sebastian. Und dann gehen wir alle miteinander zu diesem liebenswerten alten Herrn bei dir in der Nähe. Der, der uns die Weißwürste und den Schokopudding serviert hat, als ich mit Sebastian schwanger gewesen bin. Meine beiden Jungens freuen sich schon sehr darauf. Falk hat ewig keine Weißwürste mehr gegessen und Sebastian kennt so etwas überhaupt noch nicht.“
„Tja. Ich fürchte, da werden sie kein Glück haben.“
„Wie jetzt? Wieso das denn nicht? Was meinst du?“
„Der alte Herr hat seine Gastronomie dicht gemacht. Direkt im März, im ersten Lockdown. Stand in der Zeitung und im Lokalradio kam es auch. Einen Nachfolger hat er wohl noch nicht gefunden, – aber er möchte sich den Stress mit den Auflagen nicht mehr antun. Er möchte seinen Lebensabend genießen, – so lange er noch da ist. Ich kann es ihm nicht verdenken.“
„Oh. Nein. Ich auch nicht. Schade ist es trotzdem. Der hat wirklich leckere Sachen aufgetischt. Nicht so`n vorgefertigtes Zeug.“
„Oh ja, – da sprichst du ein wahres Wort gelassen aus. Meinst du, Falk und Sebastian werden diese niederschmetternde Nachricht verkraften? Werden sie sich mit einer anderen Verköstigung arrangieren können?“
„Ach klar. Bestimmt. Zur Not nehmen wir uns eben eine Decke mit und picknicken irgendwo im Freien. Dann kann Sebastian mit Falk auch Fußball spielen und solche Sachen. Hauptsache, wir haben ein Stückchen Normalität zurück. So, wie wir es von vorher kennen. Was das betrifft, gehe ich irgendwie auf dem Zahnfleisch.“
„Das kann ich mir vorstellen. Und wie geht es dir sonst zur Zeit? Mit deinem Schlafpensum? Und den alltäglichen Anforderungen?“
„Gute Frage. Einerseits könnte man sagen, es ist alles beim Alten, aber das stimmt so nicht ganz. Denn andererseits sind Falk und ich ja ein gut aufeinander eingespieltes Team. Und genau das macht sich dieser Tage sehr bezahlt.“
„Aha? Inwiefern?“
„Tja, wie beschreibe ich dir das? Irgendwie haben wir das im Umgang mit Sebastian gemerkt. So gewisse Erziehungs-Bausteine haben sich auch bei uns eingebürgert. Aber ohne dass es zwischen Falk und mir eine Erziehung ist, – sondern mehr so im Miteinander. Und das ist irgendwie richtig klasse.“
„Das klingt tatsächlich super. Bei welchen Gelegenheiten macht sich das denn bemerkbar? Und ist das nur für dich so oder…?“
„Nein, das ist für uns alle so. Also, pass’ auf, ich gebe dir mal ein Beispiel: Wenn Sebastian in seiner Eigenschaft als kleines Kind seine alterstypischen fünf Minuten hat, müssen wir als Eltern das natürlich irgendwie aushalten können, es irgendwie auffangen und, wenn nötig, gegensteuern.“
„Klar. So weit kann ich dir folgen. Und weiter?“
„Wenn Sebastian zum Beispiel quengelig ist, weil er im Grunde einfach nur müde ist oder wenn er aufdreht, weil er von irgendetwas frustriert ist oder uns nicht seinen Willen aufzwingen kann,…“
„… dann…?“
„Dann sagen wir ihm zu ihm so etwas wie ‚Du kannst dich jetzt auf den Boden werfen und mit den Fäusten trommeln, das wird trotzdem nichts ändern.’ Oder Falk hat noch so einen schönen Wecker mit rundem Zifferblatt. Aus den Neunzigern. Dann sagen wir auch mal ‚Guck, der große Zeiger steht jetzt hier. Und wenn der große Zeiger dort steht, komme ich in dein Zimmer und dann sagst du mir, ob du noch eine Weile sauer oder etwas anderes sein möchtest.‘ Mal sagen wir so etwas in einem strengen Ton, mal in einem freundlichen, mal in einem verständnisvollen. Ganz so, wie es die Situation erfordert. Und ob du es glaubst oder nicht, – aber es funktioniert. Interessanterweise sogar recht häufig ohne irgendwelche Zerwürfnisse.“
„Wow. Nicht schlecht. Nur… Inwieweit hat das mit Falk und dir zu tun? Oder mit deinen Schlafstörungen?“
„Naja, wir haben das in gewisser Weise auch für uns übernommen. In abgewandelter Form natürlich, aber – es klappt. Und es geht uns richtig gut damit. Es gab da mal so einen Schlüsselmoment und seitdem machen wir das so.“
„Nämlich?“
„Ach, das war eine ganz putzige Situation. Ich hatte eine Nacht mal wieder nur knapp vier Stunden geschlafen und fühlte mich am darauf folgenden Morgen wie gerädert. Wir saßen alle am Frühstückstisch und ich sah wohl ziemlich zerknautscht aus und habe auch ein wenig herum gezickt.“
„Mmm.“
„Da ist Sebastian kommentarlos von Falks Schoß herunter gestiegen, hat den Raum verlassen, kam mit Falks Wecker zurück und hielt ihn uns wortlos, aber ganz ernst beteiligt hin.“
„Wuuaahhhahahaaaahahaaahahahahaaaaa!!!!!! Entschuldige… uhahahahhahaaha…“
„Tja… Und seitdem läuft vieles anders. Wenn ich merke, dass ich gerade mal wieder schlecht zurecht bin und weder Falk noch Sebastian um mich haben kann, dann sagen wir uns… mmm… Schlüsselsätze. Und verhalten uns daraufhin so, wie es sich für uns als gut erwiesen hat. Zum Beispiel sage ich dann so etwas wie ‚Tu etwas Sinnvolles, Schatz: Störe mich jetzt nicht.‘“
„Mmmmjaaauuhahahaaa…“
„‚Leg’ dich mit Basti auf das Sofa und meditiere über unseren Einkaufszettel. Basti, du kannst Papa dabei helfen. Solche Sachen wie Backofenpommes oder so vergisst er nämlich ziemlich häufig.‘ Und Falk antwortet dann: ‚Gute Idee. Zu dumm, dass ich manchmal zur Vergesslichkeit neige.‘ … Und dann verziehen die beiden sich. Ich kriege meinen Kram fertig und komme ein paar Minuten zur Ruhe. Und einen fertigen Einkaufszettel habe ich anschließend sogar auch noch.“
„Congratulations, Nici. Euch allen. Besonnenheit und Humor, – das sind zwei gute Ratgeber,