Sinja und der siebenfache Sonnenkreis. Andreas Milanowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Milanowski
Издательство: Bookwire
Серия: Sinja
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748596837
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kann? Die Verbindungen nach Fasolanda sind doch durch den Bau der neuen Stadtmauer und den Mauergraben unterbrochen worden, oder?“

      „Wann wirst du das endlich begreifen?“, knurrte der Mann, „die Verbindungen laufen über das Myzel und das liegt tief unten in der Erde. Sie können gar keine Mauern bauen, die so tief in die Erde reichen, dass sie die Verbindung durch das Myzel zerstören. Es würde drum herum oder unter der Mauer durchwachsen. Oder es wächst einfach in die Mauer hinein. Die Fasolander, vor allem, seitdem diese Halbelfin dort regiert, sind dumm genug, zu glauben, dass sie es durch Mauern oder irgendwelche Bauwerke aufhalten können, aber das können sie nicht!“ „Nenne Myriana nicht Halbelfin!“, zischte die Alte.

      „Aber sie ist es!“, erwiderte der Mann, „ihr Vater war Gesiondar von Ildindor und der war ja wohl ein Elf!“

      „Er war kein Elf, er war ein Vampir!“, bellte die Frau. Ihre Augen glühten rot vor Zorn. „Die Elfen sind ein Volk, das die Schönheiten der Natur liebt, zu schätzen und zu nutzen weiß, doch dieser Mann berauschte sich nur an der Macht, die ihm durch die Ehe gegeben wurde. Er war ein Blutsauger! Er hinterging seine eigene Frau, durch die er auf den Thron gekommen war!“

      „Und doch entstammte er dem Volk der Elfen!“, beharrte der Alte.

      „Er wurde als Elf geboren, doch als er starb, war er eine Kreatur der Hölle, ein Nichts, ein Niemand, ein Wurm!“

      „Es ist wunderbar, wenn du so wütend bist!“, freute sich der alte Mann und lächelte, „es weckt Erinnerungen in mir. Fast wie in alten Zeiten, aber jetzt solltest du dich beruhigen, damit wir lauschen können.“

      Sie versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Das, was das Haus mitzuteilen hatte, war wichtiger, als ihre alten Geschichten. Langsam verrauchte ihr Zorn.

      „Du alter Schmeichler“, krächzte sie und legte ihm sanft ihre Hand auf den Arm.

      „Du hattest recht!“, sagte er, „es bewegt sich. Ich spüre es jetzt auch! Es erzählt, dass die Königin entführt wurde und sich in den Händen eines Fremden befindet.“

      „Nein! Das sagt es nicht! Es sagt, dass die Königin nicht mehr im Schloss wohnt und dieser Fremde behauptet, er hätte sie entführt! Das ist ja wohl ein Unterschied!“

      „Bei allen Geistern! Wo soll sie denn sein, wenn sie nicht mehr im Schloss wohnt? Natürlich ist sie entführt worden!“

      „Davon wissen wir noch nichts. Dass du nie richtig zuhörst!“

      „Es gibt hier nichts zu hören. Man kann es fühlen und man muss es richtig übersetzen und damit hast du schon immer Schwierigkeiten gehabt! Es ist ja auch egal, ob Bugga die Königin wirklich hat oder die Fasolander nur glauben, dass er sie hat. Wichtig ist, dass er das flammende Herz dafür bekommt.“

      „Woher weißt du, dass er es war?“

      „Ich weiß es!“

      „Traust du es ihm zu?“, fragte die alte Frau misstrauisch.

      „Es wird ihm schlecht bekommen, wenn er versagt!“

      „Heißt das, dass er in deinem Auftrag handelt?“

      „Genau das heißt es!“

      „Das bedeutet aber noch nicht, dass er es auch schafft!“

      „Richtig, aber die Tatsache, dass er weiß, was ihm droht, wenn er es nicht schafft, wird ein ungeheurer Ansporn für ihn sein!“

      Der Alte lachte ein teuflisches Lachen. In diesem Moment teilten sich die Kronen der Bäume über dem Haus und ein großer, schwarzer Vogel ließ sich geschmeidig auf einem der dicken Äste nieder.

      35 Das geheimnisvolle b

      Knarrend öffnete sich eine schwere, dunkelbraune Holztüre. Sinja schätzte, dass sie mindestens zwei Meter fünfzig, vielleicht auch drei Meter hoch sein musste. Dafür war sie allerdings so schmal, dass ein Mensch von durchschnittlicher Statur gerade eben hindurchpasste. Allzu dick durfte man nicht sein, wenn man hier lesen oder Bücher ausleihen wollte, sonst kam man nicht durch die Tür. Schon bevor man es betrat, konnte man an der bloßen Größe des Gebäudes erkennen, wie stolz die Fasolander auf ihre Bibliothek der Musik und ihre Bücher waren. In goldenen Lettern stand es über dem Eingang geschrieben: biblioteca musicae. Das gewaltige Portal hatte Sinja mit seinen hohen, weißen Marmorsäulen mächtigen Respekt eingeflößt. Der wurde noch größer, als sie jetzt den Lesesaal betrat.

      Er war nicht übermäßig breit, dafür aber fast unendlich lang und so hoch, dass es sich vor Sinjas Augen drehte, als sie nach oben schaute. Ein üppig buntes Gemälde überspannte die gesamte Decke des Saales. Der Gott Pan war dort zu sehen, wie er seine Flöte blies und einige Engelchen, die ihre Finger sanft über Harfensaiten gleiten ließen. Sinja meinte sogar, leise die Melodie zu hören, die sie spielten, aber das war natürlich nur Fantasie. In der Mitte standen acht Lesetische. Sie ging einige Schritte in den Raum hinein. Begleitet wurde sie dabei, auf Anweisung Menroys, von einem Bibliotheksgehilfen. Ein hagerer, blasser Kerl mit Nickelbrille und wirrer Frisur, der aussah, als würde er sich von Büchern ernähren. Sinja war sich anfangs nicht sicher, ob er ihr behilflich sein oder sie kontrollieren sollte.

      Sie drehte sich um und konnte neben dem Eingang die Büste des Bibliotheksgründers Andor Menroy bewundern, der mit väterlicher Güte, milde lächelnd, auf die Studierwilligen herabblickte. Da sie nicht laut sprechen wollte, um die Lesenden nicht zu stören, zeigte sie einfach mit dem Finger auf die Büste und den Namen, der in großen Buchstaben auf dem Sockel stand. Dann schaute sie den Gehilfen fragend an. Der war nicht nur blass, sondern auch klug, verstand sofort, nickte wissend und flüsterte ihr ins Ohr: „Er war sein Ur-Urgroßonkel!“

      Staunend ging Sinja weiter und schaute sich um. Tausende und abertausende von Büchern und Schriftstücken türmten sich links und rechts in Holzregalen auf zwei Stockwerken. Ein Festessen für Bücherfresser. Jedes der Regale, die durch kleine Säulchen getrennt waren, hatte fünf Stellbretter übereinander, sodass man an die oberen Bücher gerade noch herankommen konnte, wenn man sich auf die Zehenspitzen stellte und ganz lang machte. Oder man benutzte die kleinen, dreistufigen Tritte, die überall herumstanden. Sinja konnte die Regale nicht zählen, nicht einmal schätzen, wie viele sich in diesem Lesesaal aneinanderreihten. In das zweite Stockwerk gelangte man über zwei schmale Holztreppen, links und rechts jeweils am entfernten Ende des Saales. Wenn man oben war, sorgten kleine, schmale Geländer dafür, dass man nicht, auf der Suche nach seinem Buch oder gar vor Freude, dass man es gefunden hatte, versehentlich ins Erdgeschoss stürzte. Licht fiel durch ein großes, halbrundes Fenster über dem Eingang. Es sah aus, wie das übergroße, halbierte Ziffernblatt einer Uhr. Zusammen mit den Tischlampen hatte man ausreichend Licht zum Lesen, solange es draußen hell war. Sinja wollte daher keine Zeit verlieren.

      „Wo ist `M´ ?“, fragte sie, leise flüsternd, den Gehilfen. Der legte nachdenklich den Zeigefinger auf den Mund, schaute über den Rand seiner Brille in den Saal hinein und antwortete dann, ebenfalls flüsternd: „Also, es beginnt hier vorne links bei `A´ und geht dann auf dieser Seite weiter bis `L´. Dann wechselt es auf die andere Seite. `M´ beginnt also ganz hinten rechts mit `Ma´. Der Rest von `M´ steht oben.“

      „Vielen Dank! Ich hatte befürchtet, dass ich da rauf muss“, flüsterte Sinja. „Das heißt dann wohl klettern?“

      „Das heißt es“, sagte der Hagere trocken, „jedenfalls wenn du M suchst. Du wirst sicher nicht enttäuscht sein. Notendrucke, Originalhandschriften der Komponisten, Briefe, Biografien, alles da, was das Musikerherz begehrt.“

      Damit verabschiedete er sich von Sinja, mit dem Hinweis, dass er ihr jederzeit zur Verfügung stehe, sollte sie Fragen haben. Sinja war erleichtert. Ihre Schritte hallten durch den Saal , als sie langsam zum entferntesten Ende des Raumes ging. Dort fand sie, wie von dem Gehilfen angekündigt, auf der rechten Seite ein Regal mit der Signatur Ma. Noch einmal schaute sie ehrfürchtig an den Wänden entlang, an denen sich, bis hinauf zur Decke, Bücher über Bücher stapelten. Puh! Eine Menge Papier. Das kann verdammt viel Arbeit werden,