Der Mann mit der Säge. Jens van der Kreet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens van der Kreet
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738085389
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Tim Bescheid geben. Es wird Zeit. Gehen wir nach Hause.“

      Tim tat wie geheißen. Er löste die Veranstaltung auf. Basti blickte Tim entgeistert an.

      „Wir gehen? Äh! Wieso jetzt schon?“

      Beim Hinausgehen verabschiedete er sich von seinen Kumpels, behielt sich aber noch eine Rückkehroption offen, als er sich am Ausgang einen Stempelabdruck auf dem Handrücken anfertigen ließ. Sicher war sicher.

      Tim und Christina waren vorgegangen, Tim war schon fast auf Höhe des Autos. Im Halbdunkel des Eingangsbereiches der Diskothek war es relativ ruhig. Es kamen zu diesem Zeitpunkt kaum neue Besucher. Basti, der Nina nun fest im Arm hielt, roch ein wenig nach Schweiß. An einer nahezu lichtundurchlässigen Stelle unter der Überdachung blieb er plötzlich stehen. Nina stockte der Atem.

      Der Ort, an dem sie gerade standen, war noch weit genug von Tims Golf entfernt, jedoch schon wieder zu weit weg, als dass die Eingangswächter des Eclair sie hätten sehen oder dass sie hätten hören können, was gesprochen wird.

      Etwas in Nina zog sich zusammen.

      Sie fest an sich drückend, versuchte der blonde Teenager jetzt, sie sich zu erobern. Er drückte seine von Flaum umsäumten Lippen an ihren Hals, dann versuchte er sie zu küssen.

      „Nicht“, sagte Nina. Panik kroch in ihr hoch.

      Er packte sie fest an den Hüften. Dann versuchte er erneut, ihr einen Kuss aufzudrücken.

      „Du willst es doch auch, äh“, stöhnte der Junge.

      „Hör auf“, keuchte Nina. Sie versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu entwinden, mit der rechten Faust prügelte sie auf ihn ein. Doch Basti ließ nicht locker.

      Er hielt Ninas Hüfte jetzt fest unterhalb ihres Tops, sie spürte seine Hände auf ihrer Haut. Erneut versuchte er, seine Lippen und seine Zunge in ihrem Gesicht zu platzieren.

      „Hör auf!“ schrie sie nun, „lass mich los! Lass mich los!“

      Es dauerte kaum einen Augenblick, dann spürte sie einen Stoß. Basti wurde herumgerissen. Er ließ sie los, als Tims energischer Griff ihn aus der Umklammerung von Nina herausriss und den Jungen in die ihr entgegengesetzte Richtung warf.

      „Lass das Mädchen in Ruhe, du Arschloch!“, schrie Tim, sein Gesicht war mit Wut aufgeladen.

      Basti, der kurz davor gewesen war, zu Boden zu gehen, aber inzwischen sein Gleichgewicht wiedererlangt hatte, konnte sich jedoch nicht recht darüber freuen, da ihn im nächsten Moment Tims Faust in die Magengrube traf.

      „Du Vollidiot!“ schrie Tim, „was hast du dem Mädchen angetan?“

      Blind vor Wut schlug Tim auf den blonden Jungen ein. Christina, die inzwischen an Ninas Seite stand und sie in den Arm nahm und tröstete, begann plötzlich erregt loszuschreien.

      „Gibʹs ihm! Gibʹs ihm!“, schrie sie, während Nina noch benommen in ihrem Arm lag und sich froh über die schnelle Befreiung aus dieser unangenehmen Situation an den Hals ihrer besten Freundin schmiegte.

      Tim trat gerade mit dem Fuß gegen das Hinterteil des mittlerweile am Boden liegenden Jungen, da näherten sich die Eingangswächter der Diskothek schnellen Schrittes.

      „Was ist los hier?“ schrien sie.

      „Es ist Zeit zum Aufbruch“, sagte Tim ruhig, Christinas bewundernden Blick genießend, „lasst uns gehen.“

      Nina und Christina folgten Tim schnell, als sie hinter sich die wütenden Sicherheitskräfte hörten, die sie aufhalten wollten.

      Als sie im Auto saßen und knapp den Häschern entwischt waren, begann Nina sich wieder zu fangen. Was sie heute Abend erlebt hatte, widerte sie in höchstem Maße an. Das Schlimmste daran war, sie wusste nicht einmal, was sie schlimmer entrüstet hatte. Die Art ihrer Beschämung oder die Art ihrer Rettung. Obwohl sie Tims Heldentat womöglich davor beschützt hatte, Opfer einer Straftat zu werden, hatte sie ein ehrliches Problem damit, seine Galanterie zu honorieren, wie er es zweifellos verdient hatte.

      Dennoch quälte sie sich, schenkte ihm ein Lächeln und hauchte ihm ein „Dankeschön“ zu. Damit gab er sich zufrieden, denn sie beide wussten, dass er die eigentliche Belohnung heute Nacht von Christina empfangen würde. Christina liebte starke Männer, die Frauen beschützen konnten.

      Für Nina hatte sich die Situation hingegen maßgeblich verschlechtert.

      Sie blieb Single.

      Schlimmer noch: Sie hatte keine Lust mehr, Männer kennen zu lernen.

       10.

      Martin Wolf saß in der Bibliothek seines Hauses im Dachgeschoss auf seinem Ledersessel, doch ließ er die in den Deckenpaneelen eingelassenen Spotlampen ausgeschaltet. Aus der Musikanlage erklang Brahms. Das Gläschen Rioja mundete vorzüglich. Das Licht der Straßenlaternen drang schwach durch die Fenster, als er seine Gedanken schweifen ließ.

      Es hatte schlechtere Zeiten in seinem Leben gegeben. Ein Politiker, der im Wettbewerb steht, so wie er, vergleicht sich gerne. Wählte man den richtigen Vergleich, schnitt man gut ab. Den Oskar, den Reinhard, den - Gerd, diese Jungs würde er nie wieder einholen können. Gut, Oskar hatte sich selbst ins Aus geschossen. Doch dann, dachte er bei sich im Stillen, könne er sich ja auch mal mit Michael Lohse vergleichen.

      Was hatte er ihn beneidet! Martin durfte, wenn die Noten stimmten, den Käfer, das Zweitauto seines Vaters, nutzen. Michael fuhr einen BMW Null-Zwei. In orange, fast ein Neuwagen. Die Weiber waren hinter Michael her gewesen. Und Michael hatte ausgerechnet Renate Hoxberg bekommen, die mit ihren langen schwarzen Haaren und ihrem funkelnden Blick nicht die schlechteste First Lady für Altweiler abgegeben hätte.

      Martin Wolf seufzte.

      Und nun siehe, was aus seinem alten Kampfgefährten geworden war. Er ging zum Fenster und sah hinaus. Er wollte nicht so enden. Er wollte es richtig machen. Draußen regnete es.

      Martin öffnete das Fenster und atmete die regenfrische Luft ein. Die Dunkelheit und den fruchtig herben Geschmack des spanischen Rotweins auf der Zunge, überzog der Hauch der kalten Luft seinen Körper mit einer Gänsehaut.

      Dann unterzog er sich einer quälenden selbstreflexiven Übung, einem Interview mit sich selbst:

      Hatte er bislang alles richtig gemacht?

      Martin war überzeugt davon, dass das, was er erreicht hatte, das Maximum dessen darstellte, was ihm aus seiner Sicht möglich gewesen war. Mehr ging eben nicht. Nicht mit diesen Leuten, nicht in diesem Kaff.

      Wäre sein Vater zufrieden mit dem, was Martin erreicht hatte?

      Martin wusste, dass sein Vater zu Lebzeiten durch nichts zufriedenzustellen war.

      Wäre sein Vater heute stolz auf ihn?

      Ganz klares Nein. Stolz auf seine eigenen Nachkommen zu sein, war ein Wesenszug, der seinem Vater ganz und gar fremd gewesen war.

      Nun, dachte Martin, bleibt eben so oder so keine Gelegenheit mehr, heimzuzahlen, was er ihm angetan hatte. Die Knute, unter der er gelitten hatte in Gestalt der Schläge mit dem Gürtel, die sich in seine nackte Haut eingebrannt hatten, auszumerzen. Gar dem Alten zu beweisen, dass er eben doch funktionierte. Jetzt blieb nur noch, es für sich selbst zu machen. Es richtig zu machen. Es besser zu machen. Damit es irgendwann für die Überholspur reichte.

      Und dazu gehörte, sich der neuen Zeit nicht zu verschließen. Man würde sehen, wie die moderne Energiepolitik ankam, die er plante. Er würde in Kürze mehr über diese neuen Möglichkeiten erfahren, denn noch vor Beginn der heißen Phase des Wahlkampfes würde er eine Dienstreise antreten, auf der er die Entscheider kennen lernte. Er fieberte dieser Reise entgegen.

      Plötzlich hörte er ein Geräusch aus dem Erdgeschoss. Ein Türschloss. Wolf erhob sich von seinem Sessel, ging zur Galerie und sah herab auf den Eingangsbereich. Er sah, wie der Junior die Treppe zu seinem Zimmer im ersten Obergeschoss hochstieg. Der Bürgermeister inspizierte