Der Mann mit der Säge. Jens van der Kreet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens van der Kreet
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738085389
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und mit meinem Handy gespielt. Dann kommt der und grinst mich an. Und ich grins natürlich zurück. Dachte nicht, dass der mir dumm kommt. Dann fängt der an zu labern. Hat mir irgendwas erzählt von … Schmetterling und Orkan und so. Voll penetrant, der Typ. Dabei war ich doch grad dabei, voll den neuen Rekord aufzustellen bei Snake …“

      „Du und dein Handyspiel. Wozu brauchst du überhaupt ein Handy?“

      Nina schien die Anekdote als Beweislage nicht ausreichend, um den Typen offiziell als Psycho einzustufen. Sie beschloss, nicht mehr darüber nachzudenken und weiterzuspielen. Doch der große Wurf wollte ihr heute nicht gelingen. Christina gewann das Spiel nach dreißig Minuten. Als die beiden an ihren Stammplatz am Fenster auf die gegenüberliegende Seite des Pubs am Markt strebten, saß der Typ noch da. Er hatte einen Bierkrug vor sich und den Kopf zwischen den Armen eingeklemmt. Entweder schlief er oder er meditierte.

      Die beiden unterhielten sich kurz über die Ereignisse der vergangenen Woche, da setzte Christina plötzlich ein hämisches Grinsen auf.

      „Was ist los? Was glotzt du mich an?“, fragte Nina.

      „Nichts“, erwiderte Christina.

      „Dann ist gut.“

      Doch Christina behielt ihren leicht herablassenden Gesichtsausdruck bei.

      „Ich kann dir einen besorgen“, sagte Christina.

      „Was?“ fragte Nina.

      „Ich kann dir einen Typen besorgen.“

      „Ich will keinen Typen von dir, Christina. Wir haben lang und breit drüber gesprochen.“

      „Ehrlich. Er ist süß. Passt zu dir. Ich hab mit Miriam drüber gesprochen.“

      „Du hast … was?“ fragte Nina, „du hast mit Miriam drüber geredet?“

      „Ja, hihi.“

      „Na toll, dann weiß es bald jeder in meiner Schule. Hast du echt gut hingekriegt!“

      Christina kramte ein Passfoto aus ihrer Handtasche und hielt es Nina hin.

      Auf dem Foto war ein blässlicher Junge mit kurzgeschorenen dunkelbraunen Haaren, hohen Wangenknochen und Pickeln abgebildet.

      „Na?“ fragte Christina.

      Nina hielt das Foto in einer Armlänge Abstand von sich weg und betrachtete dann das Bild des Jünglings.

      „Er ist schon ganz niedlich“, sagte sie, „ein Automatenfoto. Nun ja, jeder hat mal einen schlechten Tag.“

      „Das ist Basti. Der gehört zu der Clique, die Nadine und Michelle letzte Woche im Eclair kennen gelernt haben. Er hat noch keine Freundin. Aber er sucht eine, die aussieht wie du“, erläuterte Christina.

      „Hat er das gesagt?“

      „Er hat gesagt, er sucht eine mit langen roten Haaren, großen Titten und einsachtzig groß.“

      „Was will er dann von mir?“

      „Ich glaube, er hat sich nicht so genau festgelegt.“

      „Und jetzt?“

      „Jetzt würde ich sagen, treffen wir uns doch einfach mal mit Basti. Tim und ich kommen mit. Wir können ihn unter irgendeinem Vorwand mitnehmen. Und dann ergibt sich das wie zufällig.“

      Nina schüttelte den Kopf. Christina hatte schon viel dummes Zeug erzählt, aber das hier war die Krönung.

      „Das ist so abgeschmackt. Da merkt doch jeder gleich, was los ist. Was glaubst du, wie verkrampft die Stimmung bei dem Treffen sein wird?“

      „Na und? Dann weiß er es eben. Hauptsache, ihr lernt euch endlich einmal kennen.“

      „Na gut, ich mache den Quatsch mit. Aber nur einmal. Damit du Ruhe gibst.“

      „Klar“, antwortete Christina und küsste ihre Freundin auf die Wange.

      „Du, ich muss mal zur Toilette. Kommst du mit oder passt du auf die Getränke auf?“ Ninas Caipirinha war noch voll.

      „Ich bleib hier, schaffst du das auch alleine?“, antwortete Christina und holte ihr Handy aus der Handtasche.

      Sie hat zu tun, dachte Nina, na denn.

      Mittlerweile dröhnte laute Musik aus den Boxen, gerade lief ihr aktuelles Lieblingslied „Narcotic“ von Liquido. Doch die Musik konnte nicht den gellenden Schrei übertönen, der plötzlich den Raum erfüllte und der von der Toilette zu kommen schien.

      „Du Scheiß-Ding!!!“ schrie die Person wie am Spieß.

      Nina, die gerade auf dem Weg dahin war, konnte sehen, dass der Schrei von dem Typen mit der langen Mähne kam, der in der Mitte des Raumes gesessen hatte, als Christina und sie den Pub betreten hatten. Dem Typen, den Christina einen Psycho genannt hatte.

      Jetzt, da sie der Toilette näher kam, konnte sie sehen, wie der Blonde seinen Fuß mit Schwung gegen den Zigarettenautomaten donnerte, der ein altmodisches, klobiges Teil war.

      „Was soll denn das?“, blaffte ihn André, der Kellner, an, der herbeigeeilt war.

      „Der Automat da ist kaputt. Ich habe fünf Mark hineingeworfen, und der Schacht klemmt. Und zurück gibt er mir das Geld nicht“, sagte der Typ.

      „Ich will nicht, dass du mir hier die Bude zerlegst“, sagte André.

      „Ist schon gut“, sagte der Typ und drückte wie bekloppt auf den Knopf, der die Münzenrückgabe aktivieren sollte.

      Nina, die darauf wartete, dass André den engen Weg zur Toilette räumte, damit sie an dem rebellierenden Gast vorbei zum Klo gehen konnte, fand die Szenerie peinlich.

      „Dieses Scheißding“, wiederholte der Langhaarige.

      Als Nina von der Toilette zurückkam, stand er noch da. Diesmal hämmerte er mit der Handfläche gegen den Ausgabeschacht des altmodischen Gerätes.

      „Wenn du mich fragst, hat das alles Methode“, nuschelte er.

      „Sprichst du mit mir?“, fragte Nina. Ihr wurde mit einem Male mulmig.

      „Mafia-Methoden sind das, jawohl“, ereiferte sich der Dunkelblonde und schaute Nina dabei an.

      Nina ging wortlos an dem Mann vorbei und zu ihrem Tisch zurück.

      „Der Typ da spinnt voll“, sagte sie.

      „Sag ich doch“, meinte Christina, „ich habe den Krach gehört. Es war ja auch nicht zu überhören.“

      Der blonde Typ trottete jetzt an ihnen beiden vorbei.

      „Psycho! Psycho!“ raunzte Christina ihn an.

      Verständnislos glotzte der Typ Christina an und ging dann kommentarlos an ihr vorbei.

      „Sag mal, spinnst du?“ warf Nina ein.

      „Ich? Wieso ich jetzt auf einmal?“

      „Na, du kannst ihn doch nicht einfach so mit Schimpfwörtern überhäufen. Was würdest du denn sagen, wenn dir jemand auf der Straße die Worte ‚Schlampe! Schlampeʽ entgegenschleudern würde?“

      „Das kann man doch überhaupt nicht vergleichen.“

      Als sie sich wieder gesetzt hatten, hakte Christina nochmal nach.

      „Oder findest du gut, wie er sich benimmt?“

      „Vielleicht hat er gar nicht so Unrecht. Weißt du? Er möchte etwas haben. Er möchte rauchen. Und das ist ihm so wichtig, dass er dafür auf die Barrikaden geht. Vielleicht sollte ich das auch einmal tun.“

      „Was? Einen Zigarettenautomaten zerstören?“

      „Auf die Barrikaden gehen. Ich könnte auch mal zu Oma gehen und ihr ins Gesicht schleudern, dass ich mit sechzehn Jahren nicht mein kaputtes Elternhaus kitten, meine Schwester erziehen und meinen Vater in die Entzugsklinik