Der Mann mit der Säge. Jens van der Kreet. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens van der Kreet
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738085389
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schüttelte den Kopf.

      „Was soll denn das?“

      „Das traue ich ihnen nicht zu“, sagte Erwin, „aber ich habe es ihnen auch nicht zugetraut, dass sie sich alle gegen mich als Spitzenkandidat aussprechen, obwohl die Listenwahlen schon längst vorbei sind.“

      „Erwin, mir gefällt das gar nicht, wie sie dich behandeln. Du wirst doch auf Dauer krank, wenn du das mit dir machen lässt.“

      „Ach komm, Hedwig, da bin ich doch aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Was Machtkämpfe betrifft, macht mir keiner was vor. Die Genossen werden sehen, was sie davon haben und dann lassen sie es gut sein mit ihren Attacken.“

      „Wenn du das sagst“, meinte Hedwig, „aber du bist nicht mehr der Jüngste. Daran solltest du denken.“

      „Mach dir mal keine Sorgen“, sagte er, dann verschwand er in den Keller, um die Paneelen zurechtzuschneiden.

       12.

      „Kopf hoch, kleine Maus“, sagte Frank, während Nina ihre Beine vom Kopierer eins baumeln ließ. Niemand sonst hatte das Recht, auf Kopierer eins sitzen zu dürfen. Aber Nina hatte dort schon als kleines Mädchen gesessen, und Frank führte den Kopierladen nun schon sechs Jahre.

      „Es wird viele Männer geben in deinem Leben. Und die meisten davon werden sich als Pfeifen herausstellen.“

      Er goss sich noch ein Tässchen Kaffee ein.

      „Es kommt alles zusammen“, sagte Nina, „zuerst verliert mein Vater den Verstand, dann lässt meine Mutter Becky und mich alleine und zum Schluss werde ich noch fast vergewaltigt! Was mache ich bloß falsch, dass man mir das antut?“

      Tränen kullerten über ihre Wange.

      „Nina, du bist ein ganz starkes Mädchen. Du schaffst das alles.“

      Frank nahm sie in den Arm und drückte sie ganz fest an sich. Sie spürte seinen Schnurrbart leicht unterhalb ihres Ohrs.

      „Danke, Frank. Wenn ich dich nicht hätte, wer bliebe da noch übrig?“

      „Du hast doch auch noch deine Großeltern und deine Freundin Christina. Ihr mögt euch doch noch, oder?“

      „Einen Patenonkel hat man nur einmal. Ist hier immer so wenig los?“

      „Es ist Samstagmittag! Die Studenten schlafen ihren Rausch aus.“

      „Beneidenswert.“

      „Du wirst noch genug Gelegenheiten haben zu feiern in deinem Leben.“

      „Oh. Soll das eine Anspielung sein?“

      „Ich verstehe nicht ganz.“

      „Ich dachte, ihr wolltet noch dieses Jahr heiraten. Oder habe ich das falsch verstanden?“

      „Katja und ich sind noch unschlüssig.“

      „Also wird es wieder verschoben.“

      „Können wir das Thema wechseln?“

      „Wie Sie wünschen.“

      „Was hast du heute noch vor?“

      „Ich gehe gleich zu Omi, zu Mittag essen und Rebecca abholen.“

      „Gehst du heute Abend wieder mit Christina aus?“

      „Hör bloß auf. Nach dem, was gestern vorgefallen ist, habe ich keine Lust mehr darauf. Das ist ja das Schlimme!“

      Nina schaute auf die Uhr, die hinter dem Tresen hing.

      „Oh, ich bin schon spät dran, ich wollte in einer Viertelstunde bei Oma sein.“

      „Na dann, richte ihr einen schönen Gruß aus“, sagte Frank und begleitete sie zur Tür.

      Draußen stand sein Motorrad, ein Honda Sporttourer, Baujahr 1998, frisch geputzt vor dem Copyshop.

      „Ich sehe, du hast die ersten Sonnenstrahlen des Jahres sinnvoll genutzt“, sagte Nina.

      „Man muss so ein Gefährt pflegen, besonders wenn man damit noch Urlaubsreisen plant.“

      „Wo geht’s denn jetzt eigentlich hin? Habt ihr euch inzwischen entschieden?“

      „Portugal. An der Küste entlang. Es gibt da schöne Steilhänge.“

      „Bitte passt auf euch auf. Die Pyrenäen sind bestimmt vereist.“

      „Bis Mai sind die Wege frei, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“

      „Trotzdem. Ich habe so ein ungutes Gefühl in der Magengrube, wenn ich an halsbrecherische Fahrten auf kurvigen Straßen denke.“

      „Das ist ja auch kein Wunder. Wenn man bedenkt, was du ertragen musst. Dabei bist du doch sowieso schon viel zu verantwortungsvoll für dein Alter.“

      „Was soll denn das heißen?“

      „Manchmal muss man im Leben einfach locker sein und sich entspannen können. Sonst nimmt man Schaden an der Seele. Ich fürchte, das musst du noch lernen, meine Kleine.“

      „Wenn du es sagst!“

      „Du hörst dich nicht überzeugt an. Na denn, nimm Omi schöne Grüße mit!“

      Nina verabschiedete sich und machte sich auf den Weg zu ihrer Großmutter. Sie schüttelte den Kopf und warf ihr Haar zur Seite.

      Lachhaft, dachte sie. Sei lockerer. Genieße dein Leben. Dass es ihr schlecht ging und dass niemand für sie da war, dass sie mit niemandem wirklich über alles reden konnte, ohne dass jemand wieder glaubte, ihr gute Ratschläge geben zu müssen, das interessierte niemanden. Dann sollte er sich doch die Nase im portugiesischen Schotterbett blutig schlagen!

       13.

      Nina hatte den Copyshop kaum verlassen, da trat der große Blonde ein, den sie den Psycho nannten. Er trug ein dickes Sachbuch bei sich. Zielstrebig marschierte er zum Kopierer.

      „Kann ich gleich an Nummer Eins kopieren?“

      „Bezahl erst mal deine Schulden. Dann reden wir weiter.“

      „Kannst du bitte mal eine Ausnahme machen? Es geht um Leben und Tod.“

      „Soso, um Leben und Tod.“

      „Wir haben in drei Wochen Prüfung. Ich bin schon spät dran. Es geht um nichts weniger als um meine berufliche Laufbahn.“

      Frank sah dem Blonden tief in die Augen.

      „Also gut. Zum letzten Mal. Aber auch nur, weil du Stammkunde bist und keine Fluchtgefahr besteht.“

      „Da wäre ich mir nicht so sicher.“

      „Was soll denn das nun wieder heißen?“

      „So wie ich hier behandelt werde, kannst du froh sein, dass ich noch nicht ausgewandert bin.“

      „Sei du froh, dass ich nicht die Polizei hole.“

      Der Blonde kapitulierte und stellte sich an das Kopiergerät. Er begann, das Buch von hinten nach vorne durchzukopieren. Dafür brauchte er lange, sehr lange, und als er fertig war, trug er einen schweren Packen in der Hand.

      Ein Blatt fiel herunter. Der Blonde bückte sich, um es aufzuheben. Bei diesem Versuch, der ihn ins Keuchen brachte, weil ihm sein Bauch im Wege stand, fielen weitere Blätter zu Boden.

      Frank beeilte sich, ihm zu helfen.

      „Soll ich dir nicht eine Ringbindung machen? Wenn du mit dem Loseblattstapel durch die Gegend läufst, verteilst du die Blätter noch auf alle Wiesen und Felder in der Umgebung.“

      Der Blonde stimmte zu und Frank begab sich zu seiner Bindemaschine hinter den Verkaufstresen.

      „Das Mädchen, das eben