Pfeil gerade in die Schulter hinein, so daß sein Blut über den Panzer hinabströmte. Pandaros, solches
sehend, jauchzte und rief hinterwärts zu seinen Genossen: »Drängt euch heran, ihr Trojaner, spornt
eure Rosse! Ich habe den tapfersten Danaer getroffen! Bald wird er umsinken und ausgewütet
haben, wenn anders mich Apollo aus Lykien zum Kampfe selbst herbeigerufen hat!« Doch den
Diomedes hatte das Geschoß nicht tödlich verwundet; er stellte sich vor seinen Streitwagen und rief
seinem Freund und Wagenlenker Sthenelos zu: »Steige doch vom Wagen, mein Geliebter, und zeuch
mir den Pfeil aus der Schulter!« Sthenelos sprang eilig herab und tat also: das helle Blut spritzte dabei
aus den Panzerringen. Da betete Diomedes zu Athene: »Blauäugige Tochter des Zeus! Wenn du je
schon meinen Vater beschirmt hast, so sei auch mir jetzt gnädig! Lenke meinen Speer auf den Mann,
der mich verwundet hat und jetzt frohlockt, auf daß er nicht lange mehr das Licht der Sonne
schaue!« Athene hörte sein Flehen und beseelte ihm Arme und Füße, daß sie leicht wurden wie der
Leib eines Vogels und er, unbeschwert von seiner Wunde, in die Schlacht zurückeilen konnte. »Geh«,
sprach sie zu ihm, »ich habe auch die Finsternis von deinen Augen genommen, daß du Sterbliche und
Götter in der Schlacht unterscheiden kannst; hüte dich darum, wenn ein Unsterblicher auf dich
zugewandelt kommt, dich mit solchem in einen Kampf einzulassen! Nur Aphrodite, wenn sie dir naht,
magst du mit deinem Speere verwunden!«
Nun flog Diomedes in das vorderste Treffen zurück, mit dreifachem Mut und mit Kraft wie ein
Berglöwe ausgerüstet. Hier hieb er den Astynoos durch einen Streich ins Schultergelenke nieder; dort
durchbohrte er den Hypeiron mit der Lanze; dann erlegte er zwei Söhne des Eurydamas, dann zwei
spätgeborne Söhne des Phainops, daß dem Vater nur der Gram zurückblieb; dann warf er zwei Söhne
des Priamos, den Chromios und Echemmon zugleich aus dem Wagen mit Gewalt und beraubte sie
der Rüstung, indes die Seinigen den erbeuteten Streitwagen nach den Schiffen abführten.
Äneas, der tapfere Eidam des Königes Priamos, sah, wie dünn die Reihen der Trojaner unter den
Streichen und Stößen des Tydiden wurden. Deswegen eilte er durch die stürmenden Geschosse hin,
bis er den Pandaros traf, den er so anredete: »Sohn Lykaons, wo bleibt dein Bogen und Pfeil, wo dein
Ruhm, den bisher kein Lykier, kein Trojaner dir streitig machte? Sende doch dem Manne, der den
Troern so viel Böses tut, noch ein Geschoß zu, wenn er nicht anders ein unsterblicher Gott in
menschlicher Gestalt ist!« Ihm antwortete Pandaros: »Wenn es nicht ein Gott ist, so ist's der Tydide
Diomedes, den ich erschossen zu haben glaubte. Ist er es aber, so hat sich ein Unsterblicher seiner
erbarmt und steht ihm auch jetzt noch zur Seite! Dann bin ich wohl ein unglücklicher Kämpfer! Schon
gegen zween griechische Heerfürsten sandte ich den Pfeil ab, verwundete beide, ohne sie zu töten,
und habe sie nur wütender gemacht! Wahrhaftig, zur Unglücksstunde habe ich Köcher und Bogen
genommen und bin damit vor Troja gezogen! Kehre ich je wieder heim, so soll mir ein Fremdling das
Haupt abschlagen, wenn ich nicht Bogen und Pfeile mit den Händen zerknicke und diesen nichtigen
Tand, der mich begleitet hat, ins lodernde Feuer werfe!«
»Nicht also!« sprach, ihn beruhigend, Äneas. »Besteige vielmehr meinen Streitwagen und lerne die
Gewandtheit der trojanischen Pferde im Verfolgen und Entfliehen kennen. Verleiht Zeus dem
Diomedes durchaus die Siegesehre, so werden sie uns sicher nach Troja hineintragen. Ich selbst will
indessen zu Fuße des Kampfes warten.« Aber Pandaros bat ihn, die Rosse selbst lenken zu wollen, da
er dieses Werkes nicht kundig sei, schwang sich zu ihm auf den Wagen, und so sprengten sie mit den
hurtigen Tieren auf den Tydiden zu. Sein Freund Sthenelos sah sie herankommen, rief den Genossen
an und sprach: »Sieh da, zwei tapfere Männer, die auf dich losstürmen, Pandaros und der Halbgott
Äneas, Aphroditens Sohn! Diesmal laß uns zu Wagen entfliehen; dein Wüten dürfte dir nichts nützen
gegen diese!«
Aber Diomedes blickte finster und erwiderte ihm: »Sage mir nichts von Furcht! Es liegt nicht in
meiner Art, vor einem Kampfe zurückzubeben oder mich zu schmiegen. Meine Kraft ist noch nicht
erschöpft; es verdrösse mich, untätig im Wagen stehen zu müssen. Nein, wie ich hier zu Fuße bin, will
ich ihnen entgegenwandeln. Gelingt es mir, sie beide zu töten, so hemme du unsre Pferde, den Zaum
am Sesselrand befestigend, und führe mir die Rosse des Äneas als Beute zu den Schiffen!« Indem flog
die Lanze des Pandaros dem Tydiden entgegen, durchfuhr den Schild und prallte vom Panzer ab.
»Nicht getroffen, gefehlt!« rief Diomedes dem jauchzenden Trojaner entgegen, und sein die Luft im
Bogen durchsausender Speer fuhr dem Gegner unter dem Auge in den Kiefer, durch die Zähne und
Zunge hindurch, daß die Spitze am Unterkinn wieder herauskam. Pandaros stürzte rasselnd vom
Wagen und zuckte sterbend in der glänzenden Rüstung auf dem Boden. Seine Rosse rannten flüchtig
auf die Seite; Äneas aber sprang herab und umwandelte den Leichnam wie ein trotziger Löwe, Schild
und Speer vorstreckend und jeden zu erschlagen bereit, der ihn antasten würde. Jetzt ergriff
Diomedes einen Feldstein, wie ihn zwei gewöhnliche Männer nicht aufheben konnten. Mit diesem
traf er den Sohn des Anchises am Hüftgelenk, zermalmte dieses und zerriß ihm die Sehnen, daß der
Held, die Rechte gegen den Boden stemmend, ins Knie sank und ihm die Sinne vergingen; und er
wäre gestorben, wenn nicht Aphrodite ihren trauten Sohn mit den Lilienarmen umschlungen, ihn mit
den Falten ihres silberhellen Gewandes umhüllt und aus der Schlacht getragen hätte. Sthenelos hatte
inzwischen Wagen und Rosse des Äneas, dem Befehle seines Freundes folgsam, zu den Schiffen
geführt und war auf dem eigenen Wagen bald wieder an der Seite des Tydiden angekommen. Dieser
hatte mit seinen von Athene geöffneten Augen die Göttin Aphrodite erkannt, durch das
Schlachtgetümmel verfolgt und mit ihrer Beute erreicht. Der Held stieß mit der Lanze nach ihr, und
sein Speer drang durch die ambrosische Haut in die Handwurzel, daß ihr unsterbliches Blut zu rinnen
begann. Die verwundete Göttin schrie laut auf und ließ den Sohn zur Erde sinken. Dann eilte sie
ihrem Bruder Ares zu, den sie zur Linken der Schlacht, Wagen und Rosse in Nacht gehüllt, sitzen fand.
»O Bruder«, rief sie flehend, »schaff mich weg, gib mir die Rosse, daß ich zum Olymp entkomme;
mich schmerzt meine Wunde; Diomedes, der Sterbliche, hat mich verwundet: er wäre imstande,
selbst mit unserem Vater Zeus zu kämpfen.« Ares überließ ihr den Wagen, und Aphrodite, auf der