„John, das sind einfach nur – Probleme. Verstehst du denn nicht?“
Mit seinem gütigen Lächeln versuchte Benedikt ihm wohl auf die Sprünge zu helfen.
„Ja, und?“
„Probleme sind Hürden, die man gemeinsam überwinden kann. Mit Kreativität, mit Kompromissen, mit Liebe und manchmal mit Opfern. So, wie du als Taktiker in der Lage bist, schwierige Situationen für die Wächter zu meistern, kannst du auch für euch beide immer einen Weg finden – wenn du nur willst.“
Die Sonne war untergegangen. Der dunkler werdende Himmel zeigte nun eine grandiose rötlich violette Färbung. Benedikt nahm die Hand von seinem Nacken.
„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, zitierte John nachdenklich.
„Jetzt verstehst du es, John. Und mein Rat an dich, Johannes Ritter der weißen Lilie ist …“
„Ora et labora – wie immer?“, unterbrach er ihn lächelnd.
Der Mönch schmunzelte und hob den Zeigefinger. „Was ich sagen wollte, ist: Liebe, arbeite und bete.“
Fragend hob John eine Augenbraue und hakte erstaunt nach.
„Meinst du lieben im Sinne von amare oder ähm“, er räusperte sich verlegen, „concube?“
„Ich glaube, was jeweils vonnöten ist, findest du von allein heraus.“
Hatte der Mönch ihm gerade zugezwinkert?
„Und darüber hinaus solltest du Lara im Augenblick wie einen Schmetterling behandeln.“
„Wie einen Schmetterling?“
John runzelte die Stirn. Sie benahm sich eher wie eine Katze, die ihre Krallen zeigte.
„Wenn du einen Schmetterling in deinen hohlen Händen hältst, um ihn zu beschützen, sagen wir vor dem Regen, was wird geschehen?“
Er schloss die Augen und versuchte, sich das vorzustellen.
„Um freizukommen, würde der Schmetterling wahrscheinlich nicht aufhören zu flattern und sich dabei die Flügel zerstören, was ihn auf lange Sicht ebenfalls töten würde.“
John fragte sich jedoch im Stillen, wie er Lara in Zukunft schützen sollte, ohne das zu tun. Elisabeth hatte er bereits verloren, Lara beinahe. Er wollte Benedikt gerade danach fragen und öffnete die Augen, doch der Mönch war verschwunden.
Kapitel 10
Raúl hatte keine Zeit verloren und war mit dem Großteil seiner Männer angerückt. Boris, der Stellvertreter seines Bruders Ramón, hatte einen fragwürdigen Bericht abgegeben. Dabei hatte er keine Gelegenheit ausgelassen, Hassan, den Leibwächter seines Bruders, zum Sündenbock zu machen und ihm die Schuld an seinem Tod zuzuschieben.
Vielleicht log Boris, offensichtlich hasste er ihn auch, denn er hatte ihn eingesperrt und ihm kein Blut zukommen lassen, damit sein Körper nicht in der Lage war, sich zu regenerieren.
Zu seinem Leidwesen brauchte er diesen Boris jedoch, um die vorhandenen Kontakte zu nutzen, damit er die Drogengeschäfte seines Bruders weiterführen konnte.
Gleich würde er dieser Ratte Boris aber vor Augen führen, was ihm in Zukunft blühte, sollte er ihn je enttäuschen. Wenn er das Gebiet seines Bruders übernehmen wollte, müsste er sich Autorität verschaffen und ein für alle Mal klarstellen, wer das Sagen und die Macht hatte. Er würde diesen Hassan nutzen, um ein Exempel zu statuieren.
Außerdem war Ramón trotz allem sein Bruder gewesen und der Leibwächter bot ihm eine willkommene Gelegenheit, die Wut und den Schmerz über seinen Verlust herauszulassen – und er hatte nicht vor, sich zurückzuhalten.
„Das habt ihr zu erwarten, wenn ihr euch mir widersetzt“, warnte Raúl, als der klägliche Rest von den Leuten seines Bruders vor ihm versammelt war.
Auf einen Wink von ihm wurde Hassan von zwei seiner Vampire hereingebracht und festgehalten. Bevor der auch nur den Mund aufmachen konnte, schlug Raúl auf ihn ein.
Das Knacken der Knochen und das herausgedroschene Blut verschaffte ihm Befriedigung und erzielte bei den Zuschauern den gewünschten Effekt. Am Ende lag nicht mehr als ein Haufen blutüberströmtes Fleisch am Boden.
„Ich habe jetzt die Herrschaft über dieses Gebiet. Wer mir die Treue schwören will, kniet jetzt nieder. Wer stehen bleibt, ist der Nächste.“
Keiner stand mehr, als er seine blutigen Hände an einem Tuch abwischte. „Da wir das jetzt geklärt haben, werde ich Schritte in die Wege leiten, um am Mörder meines Bruders Rache zu nehmen und diese Wächter auszurotten. – Boris, du sperrst diesen Verräter hier zusammen mit seiner Mutter ein, damit er ihr Blut trinken kann. Ich bin noch nicht fertig mit ihm.“
Bald darauf hielt Raúl das Portemonnaie in Händen, das Boris ihm überreicht hatte, und klopfte es ungeduldig in seine offene Hand. Leer! Völlig leer! Kein Führerschein, kein Ausweis! Wütend taxierte er Boris mit seinem Blick.
„Ist das alles, was ihr von dem Wächter und seiner Gefährtin habt?“
Vermutlich verschwieg Boris Informationen, um sich bei ihm unentbehrlich zu machen. Zugegebenermaßen ein kluger Schachzug, doch er würde diese verlogene Ratte umbringen, sobald er sie nicht mehr brauchte.
„Du sagtest doch, dass Oskar den gefangenen Wächter und seine Gefährtin verhört hat. Er war ein Teufel auf diesem Gebiet! Ich verstehe einfach nicht, warum er aus den beiden nichts rausbekommen hat. Zumindest die Frau hätte unter Folter doch den Standort der Wächter verraten müssen.“
„Euer Bruder hat mich nicht ohne Grund zu seinem Stellvertreter gemacht. Ich könnte Euch sehr nützlich sein und dieses Gebiet überaus profitabel verwalten.“
Aha, jetzt spielte Boris seinen Trumpf aus.
„Wenn Ihr die Frau wollt, kann ich Euch vielleicht helfen, aber dazu bräuchte ich ein paar Eurer Kämpfer.“
„Du verlogener Hund! Hältst du etwa Informationen zurück?“ Wutentbrannt packte er Boris und drückte ihm brutal die Kehle zu, während er seine Taschen durchsuchte. Er fand allerdings nur einen handgeschriebenen Zettel, auf dem eine Handynummer und ein Vorname standen.
„Woher stammt der und wer ist Sarah?“
Ungern, aber notgedrungen lockerte er seinen Griff.
„Den hatte die Gefährtin bei sich, aber es gelang uns nicht, den Nachnamen oder die Adresse zu lokalisieren.“
„Und das zeigt mir wieder, was für ein dilettantischer Haufen ihr wart! Aber damit ist jetzt Schluss!“
Er stieß Boris weg, der keuchend nach Luft rang.
„Ich habe einen äußerst talentierten Computerspezialisten rekrutiert, wenn auch gegen seinen Willen. Der wird sich um diese Nummer hier kümmern. Christian ist zwar nur ein Mensch, aber wenn es um das Leben seiner Familie geht, kann er sehr ehrgeizig werden.“
Raúls Augen verengten sich zu Schlitzen und er streckte seinen Zeigefinger zu Boris aus. „Und was dich angeht: Dir gebe ich sogar meine vier besten Männer mit und die werden dafür sorgen, dass du wieder zu mir zurückkommst! Und falls du ohne die Frau hier auftauchst, wirst du Hassan um sein Schicksal beneiden! Haben wir uns verstanden?“
Unter größten Qualen wachte Hassan in einer finsteren, stinkenden Zelle wieder auf. Im gleichen Augenblick zog jemand an seinem Bein. Ein gleißender Schmerz durchfuhr ihn und er verlor erneut das Bewusstsein. Was er als Nächstes mitbekam, war das Schluchzen seiner Mutter.
„Es tut mir leid, Hassan. Es tut mir so leid. Aber ich muss deine gebrochenen Knochen richten, bevor sie schief zusammenwachsen.“
Sie holte zitternd Luft und brachte seinen Unterarm wieder in die richtige Position. Der Schmerz explodierte wie ein Stromschlag. Mit eisernem